Tim Hedrich trägt zwei Hosen übereinander, eine wasserabweisende Kunststoffhose über der Jeans. Aber nass wird die Hose heute gar nicht, sie hilft...

Tim Hedrich trägt zwei Hosen übereinander, eine wasserabweisende Kunststoffhose über der Jeans. Aber nass wird die Hose heute gar nicht, sie hilft nur gegen die Kälte. Die Nacht hat Reif gebracht, er verziert das Dach der Bauernkate und das Gras neben Hedrichs Schuppen. Die Luft ist klar. Muffin, ein Mischling aus Schäferhund und Bouvier, läuft unruhig zwischen Schuppen und Haus hin und her, Hedrich kümmert sich nicht um die Hündin. Er näht. Vor ihm hängen die Netze und Reusen, mit denen er auf der Elbe seinem Beruf nachgeht. Hedrich ist Fischer. Seines Wissens nach der letzte, der nur auf der Elbe fischt. Und deswegen hat es für Hedrich dieses Jahr nur ein beherrschendes Thema gegeben: Kommt das Kohlekraftwerk in Moorburg oder kommt es nicht? Wenn Hedrich jetzt die Zeit zwischen dem Fangen der Aale und dem der Stinte zum Flicken seines Werkzeugs nutzt, dann denkt er dabei auch darüber nach, ob sein Beruf überhaupt Zukunft hat. Ob das Kraftwerk ihm vielleicht irgendwann die Existenzgrundlage entzieht, den Fischbestand in der Elbe verringert. Hedrich lebt in Moorburg, er ist gleich doppelt betroffen. Seit 2007 wird gebaut, und seit Ende September 2008 steht fest: Es darf auch gebaut werden. Denn die grüne Umweltsenatorin Anja Hajduk musste aus rechtlichen Gründen den Bau genehmigen. Auch wenn Umweltverbände gegen die Entscheidung klagen - für Hedrich ist jetzt endgültig klar, dass das Kraftwerk kommt. "Und wir brauchen den Strom ja auch", sagt er. Er ist da pragmatisch, schließlich helfen alle Energiesparlampen nichts, wenn keine Energie da ist. Hedrich war früher Immobilienmakler, seit sieben Jahren arbeitet er als Fischer. Er hat zwei Boote, viele Kunststoff- und Garnreusen, und er hat große, schwielige Hände. Hände, die anpacken können. Morgens, wenn es hell wird, fährt Hedrich auf die Elbe. Er fängt, je nach Jahreszeit, Stinte, Aale und Zander. Kunden sind unter anderem Hamburger Restaurants, Hedrich kann gut von seinem Job leben, er arbeitet hart.

Er ist ein kräftiger Kerl mit einem wettergegerbten Gesicht, eine Schachtel "Prince" liegt auf dem Tisch. Hedrich hat sich nett eingerichtet in Moorburg. Das Bauernhäuschen ist hübsch, die dazugehörige Scheune 320 Jahre alt. Hedrich wollte immer Fischer werden, ein Jugendtraum. Er versteht sich als traditioneller Fischer. Hedrich sagt: "Mir ist Nachhaltigkeit wichtig." Also fischt er nicht elektrisch und in Schonzeiten, wenn die Fische laichen. Er will auch noch in 20 Jahren angeln, er sagt: "Die Fischerei ist ein Wirtschaftsfaktor."

Einer, der in Gefahr ist, glaubt man den Fischern: Durch die tägliche Entnahme von Kühlwasser würden zur Laichzeit massenhaft Stintlarven sterben. Der Naturschutzbund warnt vor einem Fischsterben, wenn durch eingeleitetes Kühlwasser der Sauerstoffgehalt reduziert wird. "Wir sehen alle die Gefahr", sagt Hedrich, "und wir gehen davon aus, dass die Sauerstofflöcher größer werden." Hedrich sagt: "Bei so einem Projekt muss der Senat mehr umweltrechtliche Auflagen herausholen - mit einer an das Kraftwerk angeschlossenen Aquakultur und einer beruhigten Fischzone."

Es ist jetzt die ruhigste Zeit des Jahres, erst im Februar wird er wieder aufs Wasser fahren. Er macht sich Gedanken über die "140 Arbeitsplätze, die hier verloren gehen können, wenn es Moorburg vielleicht irgendwann gar nicht mehr gibt". Denn die Hafenerweiterung droht ja immer noch. Sie würde Moorburg wie das Nachbardorf Altenwerder von der Landkarte tilgen.


Journal vom 18. Oktober 2008