Der Wunsch wohnt dem Menschen inne als eine weiche und zugleich lodernde Kraft, auch einer Hoffnung gleich. Welche Bedeutung dem Wunsch in der Bibel und im Märchen zukommt. Eine Analyse.

Hätt ich ein Kind so weiß wie Schnee, so roth wie Blut, und so schwarz wie das Holz an dem Rahmen". Am Anfang von "Sneewittchen" steht einer der berühmtesten Wunsch-Sätze unserer Märchen. Dieser Wunsch wird erfüllt bis aufs i-Tüpfelchen. Doch warum bekommt die Königin ein Kind, wie sie es sich wünscht? Was sind Wünsche? Schon das Strahlen von Kinderaugen, wenn sich die Kleinen ihre Nasen plattdrücken an weihnachtlich geschmückten Schaufenstern, verweist auf ein erstes Stichwort bei der Erforschung des Wunsches in der Literatur: die Kraft des Haben-Wollens. Das zweite Stichwort liefert Religionsphilosoph Leopold Ziegler in seinem Buch "Überlieferung": " (...) der Mensch als Wunschwesen, das ist der homo magus , das ist der Magier." Es ist das zweite Stichwort also die Magie, der Zauber. Das dritte findet sich bei Ernst Bloch in "Das Prinzip Hoffnung". Für Bloch spiegelt das Märchen immer noch unsere Wunschbilder als die älteste utopische Erzählung. Utopie ist begründetes Sehnen und Hoffen in die Zukunft, für Bloch ausgedrückt durch den märchenhaften weiten Weg, den geheimnisvollen Ort. Der Wunsch entwirft demnach Zukünftiges. Die eigentliche Heimat des Wunsches ist das Märchen. Aber auch in der Bibel, in der Literatur finden sie sich.

Am Anfang war der Wunsch Wir alle kennen die ersten drei Sätze der biblischen Schöpfungsgeschichte: "Am Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde. Die Erde aber war wüst und öde, und Finsterniss lag auf der Urflut, und der Geist Gottes schwebte über den Wassern. Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht." (Genesis I, Vers 1-3) Doch was hier geschieht, ist merkwürdig wie die Sache in "Sneewittchen". Gottes Wort "Es werde Licht!" kommt dank seiner Allmacht einem Befehl gleich, könnte aber eigentlich ein Wunsch sein.

Ein Befehl setzt voraus, dass etwas gemacht werden soll, das auch gemacht werden kann. Das heißt, alles, was dazu notwendig ist, muss vorhanden sein, ansonsten wäre der Befehl widersinnig. Das göttliche "Es werde Licht!" dagegen ist reine Utopie. Er zielt auf etwas, das noch nicht ist. Dies zutiefst Schöpferische unterscheidet den Wunsch vom Befehl. Was allerdings für uns Menschen beim Wünschen dazugehört, ist der Umstand, dass ein echter Wunsch nicht unserem Willen, Wollen und Können unterliegt. Seine Erfüllung liegt außerhalb unserer Macht. Der göttliche Wunsch dagegen fällt zusammen mit göttlichem Willen und Wollen und Können.

Der Wunsch und das Wort Die Bedingungen für den göttlichen Wunsch in der Schöpfungsgeschichte sind dieselben wie für unser menschliches Wünschen. Zum einen ist etwas so, wie es ist, nicht in Ordnung: "Die Erde war wüst und öde ..." Offensichtlich kein Zustand, der gefällt. Also überlegt Gott hin und her, und dann hat er es: Licht fehlt. Das Wichtige ist, dass er vorher die Erde schlicht schuf. Für die Schaffung des Lichtes jedoch ist ein reflexiver und ein leidender Akt notwendig: Das Aushalten eines Mangels, das sich als innere und äußere Unruhe zeigt - das Schweben des Geistes -, führt zur Besinnung auf das, was fehlt. Es gibt auch hier eine Spanne Zeit, in der nicht klar ist, wie es weitergeht. So lange nicht, bis das entscheidende Wort fällt. Gottes Wort wird dann im selben Augenblick, da er es ausspricht, Wirklichkeit - es zeitigt sofort Wirkung. Vielleicht ist sein Wort sogar bereits die Wirklichkeit. Wille, Wunsch und Wort jedenfalls unterscheiden sich zwar ihrer Bedeutung nach auch hier, aber sie fallen zeitlich in eins. Betont sei hier das Gewicht des Wortes: Auch der Gott der Bibel muss dasjenige in Worte fassen, was sein Geist in dessen Schwebe über den Wassern vorher erkannte.

Der echte Wunsch entspringt demnach nicht reiner Fantasie und wäre von daher gefährlich nah am Wahn, sondern er hat die Qualität einer echten, das heißt tragfähigen, Utopie. Auf die Gefahr des Wahnhaften deutet bereits die Wortfamilie von "Wunsch". Da findet sich neben "gewinnen, gewöhnen, Wonne, wähnen" eben auch "Wahn". Der echte Wunsch dagegen entspringt der meist unangenehmen, vielleicht schmerzhaften und auch andauernden Auseinandersetzung mit dem, was tatsächlich da ist.

Die Zauberkraft des Wunsches Befänden wir uns bei der Schaffung des Lichts nicht in der Bibel, sondern in einem Märchen, würden wir angesichts dieser schier unfassbaren Schöpfer-Mächtigkeit von einem ganz großartigen Zauberer sprechen. Das liegt daran, dass Schöpfungskraft und Zauberkraft sich an einem wichtigen Punkt berühren: der Fähigkeit, Dinge zu verändern allein durch den Willen. Das ist die "Wunschgewalt" als "Fähigkeit, eine Wunschäußerung wirksam werden zu lassen", wie es im Grimm'schen Wörterbuch heißt. Genauso könnte man von Zaubergewalt sprechen, um das Geheimnisvolle, das Nicht-Erklärbare zu fassen. Das Wort "Zauber" im Sinn von "Zaubersprüchen und Zaubermitteln" gehört wohl zum angelsächsischen "teafor" mit der Bedeutung "Roteisenstein, Rötel". Runen, die ersten Schriftzeichen im nordischen Raum, wurden mit roter Farbe eingerieben, das sollte ihnen Kraft verleihen. Zauberei könnte von daher einst "zauberkräftige Geheimschrift" bedeutet haben. Zum Zauber gehörte das Ritual, wie jene frühe Rotfärbung der Runen. Eine bestimmte Umgebung, das bestimme Anordnen von Gegenständen, ein bestimmter Spruch - das heißt, Worte in einer bestimmten Reihenfolge -, auch eine bestimmte Zeit gehörten zum Zauber. Bestimmte Verhaltensmaßregeln sind vielleicht sinnvoll für das Gelingen eines Wunsches.

Wie ist das aber in "Sneewittchen"? Schließlich hatte auch jene Königin am winterlichen Fenster die volle Wunschgewalt. "Es war einmal mitten im Winter, und die Schneeflocken fielen wie Federn vom Himmel herab, da saß eine Königin an einem Fenster, das einen Rahmen von schwarzem Ebenholz hatte, und nähte. Und wie sie so nähte und nach dem Schnee aufblickte, stach sie sich mit der Nadel in den Finger, und es fielen drei Tropfen Blut in den Schnee. Und weil das Rothe im weißen Schnee so schön aussah, dachte sie bei sich 'hätt ich ein Kind ...'" Merkwürdigerweise sitzt die Königin mitten im Winter am geöffneten Fenster und näht. Warum macht sie das? Dass die Schneeflocken wie Federn vom Himmel herabfielen, verweist auf Windstille, auf die Ruhe einer verschneiten Welt und kennzeichnet diesen Augenblick. Reizvoll sind vor allem jene drei Blutstropfen. Schaut die Königin den Schneeflocken zu und sticht sich, weil sie nicht aufmerksam ist? Kaum. Das Rot des Blutes ruft jenes frühe Röteln der Runen mit auf. Die drei Blutstropfen werden so etwas wie Runen: Zeichen im Schnee. Dem Blut im Schnee als Auslöser für einen Kinderwunsch begegnen wir auch in dem Märchen "Van den Machandelboom". Auch dort bekommt die Frau ein gewünschtes Kind.

Der Wunsch über den Tod hinaus Beide Frauen wünschen mit dem Blick auf ihr Blut im Schnee. Vielleicht war das leuchtende, kraftvolle Blutrot im reinweißen Schnee Teil eines Rituals. Die Märchen sind ein Hort für solche Reste früheren Glaubens und Wissens. Beide Frauen dürfen neues Leben gebären, sie müssen dafür ihr Leben geben - das ist der Handel, auf den sie sich mit ihrem Wunsch, ihrem Blut einlassen. Auffällig ist, dass sie sich nicht nur ein Kind wünschen, wie es Rahel oder Elisabeth in der Bibel auch tun. Die Märchenmütter bestimmen das Aussehen des Kindes mit, sie greifen in die vorgeburtliche Wesensbildung ein. Das ist eine Macht, die keiner Frau in der Bibel zukommt, dort liegt sie bei Gott.

Beide Kinder huldigen durch ihr Aussehen dem mütterlichen Blick auf Blut und Schnee. Das Blut steht symbolisch für Lebenskraft, das Weiß des Schnees steht für Reinheit, aber dank seiner Kälte auch für den Tod. Ebenholz wiederum ist sehr hart, haltbar, deshalb außerordentlich kostbar und wurde für Särge genutzt. Und das zunächst noch frische, kräftig strahlende Blut im Schnee wird sich nach drei, vier Augenblicken dunkel und schließlich schwarz verfärben, verliert es doch fast auf der Stelle seine Leucht- und Lebenskraft. Die Frauen müssen sich deshalb beeilen mit ihrem Wunsch. Eine große Wunsch-Mächtigkeit tut sich hier auf, die Warnung davor trägt das Märchen gleich mit. Beide Mütter sterben, der weiß-rote Sohn aus "Van den Machandelboom" wird ermordet, und Schneewittchen erfährt vier Mordanschläge. Ein rechter Segen ist das Ganze nicht.

Zauber, Beschwörung und Gebet Das Blut weist zurück zum Herzen, Blut ist immer Herzblut. Wenn sich ein innerer Wunsch mit dem eigenen Blut äußerlich verbindet, erhöht das seine Kraft. Das wissen nicht nur die beiden Märchenmütter. Was unterscheidet einen Wunsch von einem Zauber? Bei einem Zauber tritt jene Kraft dazu, die über Menschenmögliches hinausgeht. Wie sollte es eine Mutter fertigbringen, dass ein von ihr geborenes Kind so aussieht wie sie es sich vor der Geburt gewünscht hat? Das bedarf geheimen Wissens, bedarf der Beschwörung. Zauber ist Beschwörung: Wir beschwören eine übermenschliche Kraft, unseren Wunsch, unseren Willen zu erfüllen. Der Anfang von "Sneewittchen" zeigt solche Beschwörung. Dass auch Gott sich beschwören lässt durch den Wunsch eines Menschen, mag zunächst eigenartig anmuten. Aber das Gebet gehört durchaus noch in diesen Zusammenhang der Anrufung übermenschlicher Kraft.

Eines der grausamsten, aber auch wunderbarsten Grimm'schen Märchen zeigt das: "Das Mädchen ohne Hände".

Dies Mädchen verlässt seine Eltern, die es an den Teufel verscherbeln wollten und ihm deshalb beide Hände abgeschlagen haben: "Da kam sie zu einem königlichen Garten, und beim Mondschimmer sah sie daß Bäume voll schöner Früchte darin standen, aber sie konnte nicht hinein, denn es war ein Wasser darum. Und weil sie den ganzen Tag gegangen war und keinen Bissen genossen hatte, und der Hunger sie quälte, so dachte sie 'ach, wäre ich darin, damit ich etwas von den Früchten äße, sonst muß ich verschmachten.' Da kniete sie nieder, rief Gott den Herrn an und betete. Auf einmal kam ein Engel daher, der machte eine Schleuße in dem Wasser zu, daß der Graben trocken ward und sie hindurch gehen konnte."

Dieses Mädchen, das durch unsägliches Leiden geht, steht in einer derartigen Beziehung zu Gott, dass seine Gebete für ihn wie Befehle sind. An dieser Beziehung zu Gott hat das Mädchen jahrelang gearbeitet, damit es wenigstens vor dem Teufel sicher war.

Das eine ist es, wenn Gott Wünsche erfüllt - ein anderes ist es, wenn es der Teufel tut. Gott fördert und fordert den Menschen, der Teufel fördert nur scheinbar und fordert nur eines: die Seele des Menschen als dessen kostbarste, weil unsterbliche Kraft. Wer jeden Wunsch erfüllt haben will, der geht zum Teufel.

Der Wunsch und der Teufel Goethes "Faust" geht zurück auf die Geschichte des Teufelsbündners Dr. Faustus aus dem 16. Jahrhundert, einem durchaus märchenhaften Stoff. Auch hier dreht es sich anfangs um Blut, mit dem Faust den Teufelspakt unterzeichnet. Das erste, was sich Faust von Mephisto wünscht, ist die schöne, junge Margarete. Gerade hat Faust die Hexenküche verjüngt verlassen, als er auf sie trifft. Mephisto hört ihn darauf sagen: "Beim Himmel, dieses Kind ist schön! / So etwas hab' ich nie gesehn. / Sie ist so sitt- und tugendreich, / Und etwas schnippisch doch zugleich. / Der Lippe Rot, der Wange Licht, / Die Tage der Welt vergess' ich's nicht! / Wie sie die Augen niederschlägt, / Hat tief sich in mein Herz geprägt, / Wie sie kurz angebunden war, / Das ist nun zum Entzücken gar! / (...) Hör, du mußt mir die Dirne schaffen!" Hier tut sich bereits jener Abgrund in Faust auf, in den Margarete sich zu Tode stürzen wird. Poetisch markiert wird das durch den abrupten Wechsel in Rhythmus und Ton mit dem letzten Vers: Das Schwärmerisch-Verliebte kippt ums ins Fordernd-Kalte. Denn nicht bittet Faust sich von Mephisto etwas aus, sondern er sagt: "Hör, du mußt mir die Dirne schaffen!" Das ist selbst Mephisto zu viel, der doch mit reichlich Wassern gewaschen ist: "Du sprichst ja wie Hans Liederlich, / Der begehrt jede liebe Blum' für sich, / Und dünkelt ihm es wär' kein' Ehr' / Und Gunst die nicht zu pflücken wär'; / Geht aber doch nicht immer an."

Du mußt mir die Dirne schaffen! Fausts Wunsch nach der Begehrten wird herabgewürdigt zum Befehl. Margareten selbst wird dabei herabgewürdigt, gleich nachdem sie vor Faust aufgetaucht war. Doch bewahrt sie sich ihre Würde und ihre Mündigkeit nicht nur gegen den Teufel, sondern auch gegen Faust, den sie aufrichtig liebt: Sie liebt ihn trotz Mephisto. Goethe zeigt, dass sie es selbst ist, die sich für Faust entscheidet. Sie lässt sich hinziehen zu Faust von ihren echten, tiefen Gefühlen. Es ist ihr Wunsch, sich ihm hinzugeben: "Mein Busen drängt / sich nach ihm hin. /Ach dürft' ich fassen / und halten ihn! / Und küssen ihn / So wie ich wollt', / An seinen Küssen / Vergehen sollt'!"

Ihre Liebe jedoch findet in Faust keinen rechten Widerhall. So wird ihm zwar sein Wunsch nach der jungen Frau gewährt. Ihr Wunsch endet für sie als Kindsmörderin. Der Jurist Goethe wusste Bescheid: Die Rechtsprechung des 16. Jahrhunderts kennt Fälle, in denen Kindsmörderinnen aus dem Kerker heraus geheiratet und dadurch frei wurden. Doch Faust als Teufelsbündner darf nicht heiraten, seine Seele ist belegt. Das ist es, was Margarete im Kerker begreift, halb wahnsinnig, halb hellsichtig vor Qual. Margaretens Mutter ist längst am teuflischen, zu starken Schlafmittel gestorben. Margaretens Bruder ist von Faust ermordet worden. Margarete ist und bleibt in all dem rein, ehrlich und echt - am echtesten in ihrem Wunsch, dem so sehr Geliebten nah sein, und zwar um jeden Preis.

Das ist Goethes Botschaft. Das zutiefst Zerstörerische bei Faust ist zudem, dass er die mögliche Erfüllung seiner Wünsche bei dem Teufelspakt wie mit einem Fluch belegt: "Werd ich zum Augenblicke sagen: / Verweile doch! du bist so schön! / Dann magst du mich in Fesseln schlagen, / Dann will ich gern zu Grunde gehn." Was er sich am allermeisten wünscht - zur Ruhe kommen, Glück und Seligkeit empfinden -, hat er damit an seinen ewigen Untergang gekoppelt. Das ist die beste Voraussetzung, um allem Guten und Schönen schnellstens wieder den Rücken zu kehren - besonders dem, was man lieben sollte.

Entwicklung und Wunsch Die Schicksalswende genau wie Wunscherfüllung, Reifung und Entwicklung sind auch die Themen in "Aschenputtel", nur ist dort die Ausgangslage eine ganz andere. "Sie nahmen ihm seine schönen Kleider weg, zogen ihm einen alten, grauen Kittel an, lachten es dann aus und führten es in die Küche. Da mußte es so schwere Arbeit tun, früh vor Tag aufstehn, Wasser tragen, Feuer anmachen, kochen und waschen." Nach dem Sterben der Mutter ist diese soziale Verbannung in die Asche das zweite Trauma für das Mädchen. Der ihm neu zugewiesene Name zeigt sein neues Leben erbarmungslos an: Aschenputtel war früher die Bezeichnung für den Küchenjungen und bedeutete "der, der in der Asche wühlt". Dies alles zusammengenommen lässt höchst fragwürdig erscheinen, was die Mutter dem Mädchen noch auf dem Sterbebett sagte: "Liebes Kind, bleib fromm und gut, so wird dir der liebe Gott immer beistehen, und ich will vom Himmel auf dich herab blicken, und will um dich sein."

Die Kleine übersteht, sie überlebt. Und bei genauerem Hinsehen hat die Mutter ihrer Tochter den einzig richtigen Rat gegeben. Aschenputtel in ihrer Ohnmacht und Qual hält nicht nur durch, sondern die Kleine entwickelt sich sogar überraschend gut - das Symbol dafür ist jener munter wachsende Baum auf dem Grab ihrer Mutter. Er wird ihr nicht nur später die von den Stiefschwestern geraubten schönen Kleider vieltausendfach schöner und prächtiger zurückgeben, sondern eröffnet ihr auch das prächtigere und bessere Leben. Der Baum entsteht aus einem Wunsch-Geschenk, einem ganz kleinen und unscheinbaren.

Die Kraft des Gewünschten "Es trug sich zu, daß der Vater einmal in die Messe ziehen wollte, da fragte er die beiden Stieftöchter, was er ihnen mitbringen sollte? 'Schöne Kleider', sagte die eine, 'Perlen und Edelsteine' die zweite. 'Nun, Aschenputtel', sprach er, 'was willst du haben?' 'Vater, das erste Reis, das euch auf eurem Heimweg an den Hut stößt, das brecht für mich ab.'" Dieser Wunsch ist klug, weil einReis den Stiefschwestern natürlich lächerlich wertlos erscheint. Alles andere hätten sie Aschenputtel sofort weggenommen. Der Vater wird ihr ein Haselreis mitbringen: "Aschenputtel dankte ihm, ging zu seiner Mutter Grab, und pflanzte das Reis darauf, und weinte so sehr, daß es von seinen Tränen begossen ward. Es wuchs aber und ward ein schöner Baum. Aschenputtel ging alle Tage dreimal darunter, weinte und betete, und allemal kam ein Vöglein auf den Baum, und das Vöglein gab ihm, was es wünschte."

Das Grab der Mutter ist der Freiraum, der dem Kind einzig geblieben ist, es nutzt ihn meisterhaft. Die Heranwachsende ist klug und weitsichtig. Denn wenn auch das Vöglein auf dem Baum ihm schon lange gab, "was es wünschte", hält Aschenputtel sich sehr bedeckt - bis der richtige Augenblick für den großen Wunsch kommt. Dies zeigt, dass es unter gegebenen Umständen wichtig sein kann, dass Wünsche klein gehalten werden. Meine Zeit muss reif sein, um Veränderungen vornehmen zu können. Doch nicht das schlichte, lässige Abwarten ist dabei gefragt, oder das starre Durchhalten, sondern die bewusste Auseinandersetzung mit dem Gegebenen, so schwer und düster es auch immer sein mag. Aus solcher Haltung erwächst dann dasjenige, was später den schicksalhaften Umschwung einleiten wird.

"Das kleine Männchen (...) hatte einen bösen Wunsch getan." Zum Wünschen gehört als dessen dunkle Seite das Verwünschen. Im Grimmschen Märchen "Das Wasser des Lebens" verwünscht ein Zwerg. Er steht auf dem Weg, den drei Königssöhne nehmen, die hintereinanderweg für ihren todkranken Vater das Wasser des Lebens suchen. Die beiden ersten Prinzen sind stolz und beleidigen den Zwerg: "Das kleine Männchen aber war zornig geworden, und hatte einen bösen Wunsch getan. Der Prinz kam auf seinem Weg in eine Bergschlucht, und je weiter er ritt, je enger taten sich die Berge zusammen, und endlich ward der Weg so eng, daß er keinen Schritt weiter konnte, und auch das Pferd konnte er nicht wenden, und selber nicht absteigen, und mußte da eingesperrt bleiben." Der böse Wunsch hat Zauberkraft und wirkt als hier Bannung in eine Felsschlucht.

Das Wort "verwünschen" war zunächst eine Verstärkungsform von "wünschen". Wir kennen diese Bedeutung noch im Wort "verwunschen", das im schönsten Sinn Zauberhaftes und Geheimnisvolles, auch Idyllisches anzeigt. Erst im 18. Jahrhundert veränderte sich die Bedeutung zur heutigen.

Eine der bekanntesten Verwünschungen ist die aus "Dornröschen": Dreizehn weise Frauen hat das Land, doch nur zwölf hat der König zur Taufe seines lang ersehnten, ersten Kindes geladen, "weil er aber nur zwölf goldene Teller hatte". Warum das ein Grund ist, so zu handeln wie der König handelt, ist durchaus nicht einsichtig. Auf jeden Fall ist das, was sich daraus ergibt, für alle eine Katastrophe, denn natürlich ist die Nichtgeladene beleidigt und sehr zornig. Das eigentlich Bemerkenswerte an dieser Geschichte ist allerdings das, was in Folge dieses Zorns geschieht. Es trifft wieder mal den Falschen - nämlich das Kind anstatt des Vaters, der das Ganze ja eingebrockt hat.

Der Wunsch bekommt seine Kraft in der Zeit oder auch mit der Zeit. Wir greifen damit ein in den Gang der Welt. Das ist das Wunderbare und Unerklärliche des Wunsches, und das ist seine Gefahr.

Der Wunsch als Kraft in der Zeit Ich wünsche mir das, was ich nicht habe oder das, was ich nicht bin. Oft steht das, was ich nicht habe - wie bei der kleinen Meerjungfrau die Menschenbeine - in Beziehung zu dem, was ich nicht bin. Der Wunsch ist bestenfalls entscheidender Markstein zwischen Wirklichkeit und Sehnsucht. Ich kann mir oder einem anderen etwas wünschen. Wenn ein guter Wunsch erfüllt wird, ist es immer ein Geschenk - etwas, das mir gegeben wird, weil es nicht in meiner Hand liegt, es zu erringen. Das Wünschen verweist auf etwas Unfassbares, das uns Menschen dennoch ausmacht - es scheint bereits auf im Glanz wünschender Kinderaugen: Wir können unser Schicksal erfüllen oder sogar mitbestimmen, weil wir die Kraft unseres Herzens auf die Zukunft projezieren können.

Wir können Zukunft schöpfen. Das kann uns und anderen zum Fluch werden, aber auch zum Segen.