Sie wollen sich nicht am Konsumrausch beteiligen? In Hamburg gibt es Hunderte von Möglichkeiten, mit Spenden zu helfen. Für die Natur, für Kultur und für Menschen in Not. Ein Beispiel ist die Kemenate.

Vor einigen Monaten musste Rita* Hals über Kopf ihre Wohnung verlassen, die sie gemeinsam mit ihrem Freund, einem Alkoholkranken mit Hang zur Gewalttätigkeit, bewohnte. "Nur meine Papiere und ein paar Kleidungsstücke konnte ich mitnehmen", sagt die 50-Jährige. Was tun? "Ich hatte Angst und habe nur gegrübelt." Nach einer schlaflosen Nacht, die sie auf einer Bank verbrachte, traute sie sich zur Bahnhofsmission. Von dort wurden ihr mehrere Unterkünfte empfohlen. Und die Kemenate .

Mitten in Eimsbüttel, einen kurzen Fußweg vom U-Bahnhof Emilienstraße, können sich Frauen in Not im 1. Stock eines Häuserblocks an der Charlottenstraße tagsüber treffen, zur Ruhe kommen, die Seelenpein lindern. Hier in der Kemenate führen sie Gespräche, können es sich mal gut gehen und kostenlos von einer Ärztin behandeln lassen. Die Kemenate, nach dem lateinischen Caminata (beheizbarer Wohnraum), war in mittelalterlichen Burgen ein Frauengemach. In Eimsbüttel ist sie ein Angebot von Frauen für Frauen, in der Satzung steht bewusst "parteilich und feministisch". Die Frauen, die oft häuslicher Gewalt ausgesetzt sind, sollen sicher sein, hier einen Schutzraum zu finden. Vier Sozialarbeiterinnen helfen ihnen dabei, Elke Hoffmann, Madleen Klaiber, Maren Meyer und Gunda Schütt. "Unsere Besucherinnen wissen: Hier kommen keine Männer rein", sagt Gunda Schütt. "Hier können sie auch mal im Bademantel rumlaufen." Die Frauen wollen und dürfen anonym bleiben.

Der Bedarf ist da. Im Jahr 2007 wurden 7212 Besucherinnen gezählt. Tendenz steigend. Der gemeinnützige Trägerverein besteht seit 1988, der Tagestreff wurde 1992 eröffnet, zunächst an der Bellealliancestraße. "Die meisten Hilfsangebote richten sich an die Bedürfnisse von Männern", hatten die Vereinsgründerinnen festgestellt. Frauen in Notsituationen hielten sie für "gesellschaftlich geächtet". Sozialarbeiterin Elke Hoffmann sagt: "Das Erscheinungsbild wohnungsloser Frauen unterscheidet sich erheblich von dem der Männer. Deren Situation ist meist offensichtlich. Frauen wollen nicht auffallen und greifen auf ihre sozialen Anker zurück. Sie versuchen erst einmal, bei Freunden oder Verwandten unterzukommen, ehe sie sich an das Hilfesystem wenden." Einige landen auch in der Zwangsprostitution, nur um ein Dach über dem Kopf zu haben.

Birgit* , 38, hat ein beinahe schon typisches Schicksal. "Irgendwann konnte ich die Miete nicht mehr bezahlen. Und den Brief, in dem die Mahnung steckte, mochte ich einfach nicht öffnen. Hätte ich es doch nur länger ausgehalten!"

Viele Frauen empfinden Scham und Schuldgefühle. Doch die Spirale dreht sich immer schneller. Vermieter sind selten bereit, Kompromisse einzugehen.

Die Mitarbeiterinnen der Kemenate wollen helfen. Auf 220 Quadratmetern finden Frauen in Not Aufenthalts- und Leseräume, Schließfächer für wichtige Dokumente oder persönliche Dinge, eine Kleiderkammer, Telefonkabine, Duschen, Kopiergeräte, Computer mit Internetzugang und Drucker. Die Waschmaschinen und Trockner sind so begehrt, dass sie nur zu festen Reservierungszeiten benutzt werden können. Für alle Stromverbraucher gilt: Ein bestimmter Satz ist frei.

Am Schwarzen Brett hängen Angebote für mobile Hilfe, Fortbildung oder Wohnmöglichkeiten. Die Mitarbeiterinnen helfen bei Behördengängen, beim Abfassen von Briefen, Anzeigen und Dokumenten. Die Kemenate dient vielen übergangsweise auch als Postadresse. Die Einrichtung ist "niedrigschwellig", das bedeutet im Sozialjargon: Frauen können Hilfe in Anspruch nehmen ohne Vorleistung, ohne Anmeldung, ohne feste Termine. Sie können sagen: "Ich will erst mal meine Ruhe haben oder eine Runde schlafen."

Der Ruheraum wird gern in Anspruch genommen. Hier können sich die Frauen abseits des Trubels auf eins der beiden Sofas legen. Oder unter vier Augen mit einer Psychotherapeutin sprechen. Jede dritte Besucherin zeigt auffälliges Verhalten, das auf eine psychische Störung hindeutet. Auslösendes Moment war oft Gewalt in der Beziehung, auch Trennungen oder Scheidungen. Der Anteil der jungen Erwachsenen, die nicht mehr im Elternhaus leben und keine Bleibe finden, steigt, denn Ämter helfen nur Wohnungssuchenden von 25 Jahren aufwärts.

Kurz vor 14 Uhr bringt ein Transporter drei gut gefüllte Körbe mit frischen Lebensmitteln. "Hamburger Tafel" steht drauf. Die Mitarbeiterinnen kalkulieren 20 bis 25 warme Mahlzeiten am Tag. Beim gemeinsamen Lauchschnippeln in der großzügigen Küche bietet sich die beste Gelegenheit, Kontakte zu knüpfen oder Bekanntschaften aufzubauen. Die Kemenate grenzt sich bewusst von den "Armenspeisungen" in der Stadt ab. Wer wohnungslos ist, zahlt 50 Cent für eine Mahlzeit. Wer eine Wohnung hat, muss einen Euro hinlegen. "Die Frauen sollen selbst Verantwortung für ihr Leben übernehmen", sagt Elke Hoffmann. "Sie sollen aktiv sein, nicht verharren und versuchen, ihre Fähigkeiten herauszuarbeiten. Wir müssen versuchen, ihre Verelendung zu verhindern und sie dort abholen, wo sie gerade stehen. Manche Besucherinnen brauchen lange, ehe sie Vertrauen gefunden haben."

Und genauso schnell, wie sie gekommen sind, gehen die Frauen oft auch wieder. Manche schauen noch einmal vorbei und erzählen: "Es geht mir wieder gut." Manche sind zwei Jahre verschwunden und tauchen plötzlich wieder auf. Elke Hoffmann sagt: "Wir müssen akzeptieren, dass die Frauen ihre eigenen Entscheidungen treffen." Übernachtungen bietet die Kemenate nicht an. Deshalb plant der Trägerverein als weiteres Projekt ganzjährig nutzbare Wohncontainer für sechs bis acht wohnungslose Frauen, die damit überfordert sind, allein zu leben.

Die Kemenate wird von der Behörde für Soziales finanziert, sie muss allerdings eine bestimmte Zahl von Besuchern nachweisen. Alles, was über die Grundversorgung hinausgeht, muss durch Spenden gedeckt werden. Einmal im Monat planen die Frauen die "Unternehmung des Monats", die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben, die vielen von ihnen sonst verschlossen bleibt. Zum Beispiel Museums- und Kinobesuche, Schwimmen, Friseurstunden, Fußpflege und, ganz wichtig, Karten für den HVV. Im Sommer fuhren zehn Frauen aus der Kemenate für drei Tage nach Kühlungsborn an der Ostsee.

Rita* kann sich freuen. Sie hat eine neue kleine Wohnung gefunden. "Da habe ich einmal in meinem Leben Glück gehabt."


(* Namen geändert)

Die Kemenate an der Charlottenstraße 30 ist geöffnet: Mo, Do, Sbd, So 14 bis 19 Uhr, Mi 10 bis 15 Uhr. Telefon 430 49 59. www.kemenate-hamburg.de

Spendenkonto: Haspa 1020/213037 (BLZ: 200 505 50).