Kerim Pamuk steht seit zehn Jahren auf der Bühne und beißt. In alle Richtungen. Der Satiriker von der Schwarzmeerküste lebt seit seinem zehnten Lebensjahr in Hamburg. Das Journal sprach mit ihm am Tag der Deutschen Einheit über besonders Türkisches und besonders Deutsches - und das dazwischen.

Journal:

Deutschland hat gerade seine Volljährigkeit gefeiert - bedeutet Ihnen dieser Tag etwas - so als Hamburger Türke?

Kerim Pamuk:

Als sich Deutschland wiedervereinigt hat, war ich immerhin schon 20 Jahre alt und habe hautnah erlebt, wie beispielsweise Trabbis den Westen überflutet haben. Das war schon ziemlich spannend. Aber ehrlich gesagt habe ich keine emotionale Bindung an den 3. Oktober.



Heißt das, Sie fühlen sich eher als Türke denn als Deutscher?

Ich bin eindeutig beides. Das ist vielleicht für Deutsche schwierig nachvollziehbar, aber im Grunde ist Deutsch- und Türkischsein ein Teil von uns Deutsch-Türken. Man kann es nicht auf eine Herkunft reduzieren.



Das klingt so, als wäre das ganz einfach und eigentlich kein Thema.

Meine Eltern haben mich nach Deutschland geholt, da war ich schon neun Jahre alt und natürlich von der türkischen Schwarzmeerküsten-Mentalität und Kultur geprägt. Anfangs war es in Hamburg als kleiner Türkendötz schon schwierig: Zu Hause lebten wir "türkisch", außerhalb der Wohnung war alles "deutsch". Als Kind und Jugendlicher versucht man da seine Mitte zu finden. Heute bin ich 38 Jahre alt und ziehe das Beste für mich aus beiden Welten und bewahre gleichzeitig immer einen Außenblick - das ist für mich purer Luxus.



Was ist denn das Beste aus den beiden Welten?

An Deutschen schätze ich, dass sie meistens nicht gleich auf die Palme springen, wenn man sie kritisiert. Sie bleiben bei Streitgesprächen sachlich und sind konsequent in dem, was sie tun - heißt: Wenn der Deutsche eine Sache anfängt, bringt er sie auch fast immer zu einem Ende.


Der Türke an sich ist da etwas, sagen wir, lockerer. Er handelt öfter nach der Maxime: Hauptsache, es hält bis morgen, dann gucken wir noch mal. Und, zugegeben, er ist auch schnell beleidigt, weil er vieles persönlich nimmt. Uns Türken fehlt da so ein bisschen die Diskussionskultur. Wir bleiben nicht beim Thema, nehmen schnell etwas persönlich, kriegen gleich einen heißen Kopf. Aber diese Emotionalität macht uns ja auch gleichzeitig liebenswert. Meistens.


Warum sind die Türken Ihrer Meinung nach so?

Vielleicht liegt es daran, dass viele in Deutschland immer noch das Gefühl haben, sie seien Bürger zweiter Klasse. Dieses Gefühl haben sie nicht immer ohne Grund. Dadurch sehen sie sich automatisch in einer schwächeren Position.



Sie sind Kabarettist und Schriftsteller: Wie sehr spielt Ihre Herkunft eine Rolle im Beruf?

Man sagt ja immer: Bayern bringt nur wegen der Katholischen Kirche so viele gute Kabarettisten hervor. Das glaube ich eigentlich nicht. Der erste Impuls ist immer der Wunsch, auf die Bühne zu gehen. Klar, die Herkunft spielt eine große Rolle und liefert mir als Künstler wunderbares Material. Aber ich habe auch andere Themen in meinem Repertoire, nicht nur die Kulturunterschiede zwischen Deutschen und Türken. Ich mache eigentlich das, was ich schon immer machen wollte.



Anscheinend über Umwege: Sie stehen jetzt seit zehn Jahren auf der Bühne, haben aber vorher Informatik, Literaturwissenschaft und Turkologie studiert ...

... und erfolgreich abgebrochen! Aber vielleicht muss man im Leben manchmal durch das selbst gebastelte Labyrinth, um ans Ziel zu kommen. Man braucht Mut, weil man scheitern kann. Aber das Studium hat mir auch ohne Abschluss viel gebracht.



Und zwar?

Beispielsweise habe ich gelernt, wie Drehbücher geschrieben und Kurzfilme gedreht werden. Und ich konnte Geisteswissenschaftler in ihrem natürlichen Schnarchbiotop beobachten.



Ihr Publikum ist ja sehr gemischt. Lachen Türken und Deutsche über die gleichen Dinge?

Türken lachen am lautesten über sich selbst. Es ist ein wenig paradox, obwohl sie im realen Leben schneller beleidigt sind, haben sie viel mehr Übung in Selbstironie. Deutsche lachen auch gern über sich selbst, wenn sie sich gut aufgehoben fühlen und durch Lachen und das eine oder andere Bier gelockert sind.



Sie schreiben gerade an Ihrem dritten Buch, "Allah verzeiht, der Hausmeister nicht", einem kulturellen Reiseführer für Orientalen, die Urlaub in Deutschland machen. Haben Sie Vorbilder in der türkischen Literatur oder halten Sie sich eher an die deutsche?

Ich liebe Kurt Tucholsky sehr und bin beim Wiederlesen jedes Mal erstaunt, was für eine großartige, leichte Schreibe er doch hatte. Aber es gibt auch viele türkische Autoren, die ich verehre.



Viele von ihnen werden sich dieses Jahr auf der Frankfurter Buchmesse präsentieren - die Türkei ist Ehrengast.

Ich glaube, das wird helfen, das Bild von Türken und der Türkei in Deutschland erheblich zu erweitern. Bisher ist es hauptsächlich von türkischen Migranten geprägt. Das ist ja noch nicht alles.



Glauben Sie, dass es türkischstämmige Künstler in Deutschland schwerer haben?

Ich glaube, sie hatten es schon mal schwerer. Aber heutzutage werden ihre speziellen Qualitäten und ihr besonderer Witz besser in der Öffentlichkeit wahrgenommen.



Apropos Witz, bei Ihnen kommt ja keiner gut weg. In Ihrem neuen Programm "Leidkultur" gibt es zwei Figuren, die unterschiedlicher nicht sein könnten: die weltoffene, verständnisvolle Gaby und der chauvinistische Türken-Prolet Hakan.

Jede Seite muss aushalten können, dass über sie gelacht wird - eine Gaby genauso wie ein Hakan. Ich kann beide aufs Korn nehmen, da ich mich nicht über sie erhebe oder auf sie herabschaue. Wer aber als Kabarettist niemandem auf die Füße tritt, macht definitiv etwas falsch. Ich muss den Menschen nicht nur das präsentieren, was sie schon kennen und womit sie sich wohlfühlen.



Aber richtig wohl fühlen Sie sich nicht zwischen Gaby und Hakan, oder? Auf der Bühne stehen Sie zwischen den beiden und sind in ständigen Zwiegesprächen mit ihnen. Aber richtig für eine Seite entscheiden können Sie sich nicht.

Hakan und Gaby sind zwei sehr überspitzte Figuren, die sich wunderbar aneinander reiben. Man kann dadurch sehr unterhaltsam den Kern des Problems herausschälen. Mal ist Gabys Sichtweise die Lösung, mal Hakans. Und sehr oft keine von beiden.



Zum Abschluss noch die ultimative Frage für jeden Künstler - denken Sie manchmal: 'Hätte ich doch etwas Ordentliches gelernt'?

Ich bin sehr glücklich mit meinem unordentlichen Beruf.



Kerim Pamuk tourt gerade mit seinem neuen Programm "Leidkultur" durch Deutschland und veranschaulicht seinem Publikum das Leiden in seinen vielfältigen Formen.