Politikverdrossenheit ist für sie ein Fremdwort: Nadine Kabuth und ihre Mitstreiter aus der Gruppe des Landesjugendwerkes Hamburg haben eine Resolution gegen Kinderarmut verfasst, die Gehör findet. Wo? Im Bundestag natürlich!

Journal:

Nadine, mit 15 Jahren ist man eigentlich noch ein Kind, sind wir uns da einig?

Nadine Kabuth:

Na ja, also schon etwas mehr. Teenager, würde ich sagen.



Einverstanden. Auf jeden Fall hat man in dem Alter in der Regel andere Interessen als langweilige, trockene Politik.

Oft schon, aber ich finde Politik nicht langweilig. Meistens zumindest nicht.



Du machst seit drei Jahren Politik und bist an der Verfassung einer Resolution beteiligt, die sogar in der Kinderkommission des Bundestages diskutiert wird. Wie bist du dazu gekommen?

Eigentlich hat das Bundesjugendwerk der Arbeiterwohlfahrt mein Interesse an der Politik geweckt. 2005 wurde das "Projekt P" ins Leben gerufen. P steht dabei für Partizipation, also die Beteiligung von Kindern in der Politik. Das Motto war "Kinderpolitik den Rücken stärken!" und sich für die Kinderrechte in der Welt starkzumachen.



Klingt ganz schön staatsmännisch.

Das war es auch. Ich hätte nie gedacht, dass es so anstrengend sein könnte, Politik zu machen!



Du meinst, wie schwierig es ist, eine Resolution zu verfassen?

Ja. Wir haben mehrere Monate in einer Gruppe mit 30 Teilnehmern daran gearbeitet, uns immer wieder getroffen. Am Ende wurden wir sogar in die Kinderkommission eingeladen, um unsere Ideen vorzustellen.



Wovon handelt eure Resolution?

Wir haben uns mit dem Thema "Kinderarmut" beschäftigt, weil wir das Gefühl hatten, dass es mehr in den Vordergrund gerückt werden musste. Dann haben wir uns auf mehrere Aspekte geeinigt, die wir besprechen wollten: Gesundheit, Bildung, Erziehung, Betreuung und Freizeitgestaltung. Aber bevor das überhaupt mit dem Niederschreiben losgehen konnte, mussten wir erst einmal die Frage beantworten: Was ist Armut eigentlich? In der Kinderkommission wurden zu der Zeit ganz andere Dinge besprochen.



Zum Beispiel?

Zum Beispiel, ob man bei Geländewagen die Kuhfänger, diese verstärkten Stoßstangen, verbieten sollte, weil diese bei Unfällen die Art der Verletzungen besonders bei Kindern verschlimmern. Es leuchtete uns im Projekt zuerst nicht so ein, warum man auch über so etwas sprechen musste - wir wollten die großen Themen.



Wie war das, vor den "richtigen" Politikern zu sprechen?

Ganz schön aufregend! Der Bundestag war für uns alle so weit weg, so etwas Großes. Und wir hatten so hart dafür gearbeitet, dass wir eingeladen wurden. Leider war es bei unserem ersten Besuch 2006 etwas ernüchternd. Die Politiker der Kommission hatten nur eine halbe Stunde Zeit für uns. Ich hatte nicht das Gefühl, dass sie uns ernst nahmen. Eher, dass wir stören. Aber wir hatten unsere Punkte so gut vorbereitet, dass uns die Kommissionsmitglieder zu einem zweiten Besuch im darauffolgenden Jahr einluden und uns versprachen, dass sie unseren Resolutionsentwurf im entsprechenden Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend einbringen würden. Dort wird dann wieder darüber diskutiert, welche unserer Forderungen realisiert werden können. Und eine Sache habe ich wirklich gelernt: Politikern muss man kurze und sehr präzise Fragen stellen, wenn man eine ebenso knappe und konkrete Antwort erhalten möchte.



Eure Projektgruppe ist also seit drei Jahren mit der Resolution beschäftigt - politische Entscheidungswege können lang sein. Wie schafft ihr es, neben Schule und Hobbys so kontinuierlich am Ball zu bleiben?

Das klingt jetzt vielleicht abgedroschen, aber ich glaube wirklich daran, dass, wenn man etwas wirklich will, man das auch schafft. Uns liegt das Thema Kinderarmut am Herzen, wir wollten einen Beitrag dazuleisten, dass es Kindern besser geht - diesen Beitrag leisten wir. Wir wollten in den Bundestag und mit den Politikern direkt darüber sprechen - auch das haben wir geschafft. Und in den Herbstferien fahren wir wieder nach Berlin. Ich glaube, wir werden wirklich ernst genommen.



Was waren für dich die wichtigsten Punkte unter euren Forderungen?

Als erstes war es uns wichtig, klarzumachen, dass Armut und besonders Kinderarmut nicht nur in Entwicklungsländern vorkommt, sondern mittlerweile keine Seltenheit mehr in Deutschland ist. Jedes siebte Kind gilt als arm. Das sind etwa eineinhalb Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. Ich finde, das ist ganz schön viel. Und Armut zieht viele andere negative Dinge nach sich.



Was meinst du damit?

Arme Kinder ernähren sich schlechter, sind häufiger krank. Sie erhalten eine weniger gute Bildung, weil sich ihre Eltern die Bildung ihrer Kinder nicht leisten können. Aber mit der Entwicklung der Bildung hängt auch die freie Entfaltung zusammen: Arme Kinder können seltener Hobbys ausüben, können nicht oft ins Kino oder bekommen seltener Bücher. Arme Kinder wohnen meist in weniger schönen Stadtteilen mit weniger schönen Häusern oder Spielplätzen. Dafür, dass sie im "Getto" leben, werden sie auch noch abgestempelt. Armut bedeutet eben nicht, einfach nur kein Geld zu haben. Deshalb schotten sich die meisten irgendwann ab, kommen vielleicht sogar auf die schiefe Bahn. Das ist doch schlecht für uns alle.



Aber es gibt doch eigentlich Berufspolitiker oder auch Polizei, die dafür bezahlt werden, dass sie sich um solche Probleme kümmern.

Das stimmt. Und prinzipiell finde ich, dass sich die Politiker in Deutschland um die Probleme kümmern. Aber wenn man als Teil der Gesellschaft mit bestimmten Dingen nicht zufrieden ist und etwas ändern möchte, dann muss man selbst aktiv werden. In der Demokratie ist das ja schließlich erlaubt und erwünscht. Das Engagement kommt gut an, die meisten meiner Mitschüler und Freunde finden das toll, was wir machen. Und sogar meine Eltern, die vorher keinen Glauben an die Politik hatten, interessieren sich heute dafür und gehen auch wieder zu den Wahlen.



Du klingst schon wie eine richtige Politikerin! Willst Du das später einmal beruflich machen?

Ich finde es sehr spannend, wie Politik funktioniert. Jeder sagt vielleicht in seinem Ärger über Politiker mal: 'Das kann doch jeder!', aber das stimmt nicht. So einfach ist es nicht, Politik zu machen. In eine Partei einzutreten kann ich mir überhaupt nicht vorstellen. Mal überzeugen mich die Argumente der einen, mal die der anderen Seite. Ich finde es schwierig, sich festzulegen. Deshalb bleibe ich erst einmal bei unserer Art der Politik. Wir machen vielleicht nur kleine Schritte. Aber viele kleine Schritte ergeben am Ende einen großen Schritt.