Er gehört zu England wie Wimbledon, Cricket und die Royals: der Pub. Doch viele Gasthäuser stehen vor der Pleite. Was macht den Reiz dieser britischen Institution aus? Eine Ehrenrettung.

Es gibt kaum etwas Schöneres als ein Dorf, das mit einer guten Kirche, einem guten Pfarrer und einem guten Pub gesegnet ist, sagte einmal der britische Reiseschriftsteller John Hillaby.

Treten wir also mal ein in einen Dorfpub irgendwo im Nirgendwo, mitten in Cornwall, am Ende der schmalen Straße. Das Schild schaukelt im Wind und quietscht dabei. Drinnen, am Ende des Gastraums, einer dunklen, langgestreckten Höhle, steht ein verschlungenes Pärchen in Motorradkluft, das die Helme gegen zwei schnell gezapfte Pint Lager getauscht hat. An der Bar mit den bunten Zapfhähnen reden zwei angeschäkerte Damen im zu schrillen Outfit und mit zu lauten Stimmen auf den rotgesichtigen älteren Herrn in seinem abgewetzten Anzug ein, den er wahrscheinlich jeden Abend trägt. Ein großgewachsener junger Mann mit struppigem Blondhaar wartet auf jemanden und blickt zur Uhr. Eine neugierige Touristen-Familie aus London ordert beim Wirt eine neue Runde, damit sie wieder mit allen anstoßen kann. Hin und wieder fällt der Blick auf das Fernsehgerät, aus dem Nebenraum klingt ein "Plopp", wenn wieder mal ein Pfeil die Dartscheibe trifft. Wer jetzt gerade über "f... Manchester United" herzieht und den Gesundheitszustand der "poor Amy Winehouse" durchhechelt, ist nicht auszumachen. Der Pub ist ein großer Gleichmacher.

Eines von 57 000 Public Houses in Großbritannien. Sie heißen "Old White Swan", "Crown and Anchor" oder "Fishermans Arms", am häufigsten aber "Red Lion" (allein 759-mal in Großbritannien), "Royal Oak" (626) und "White Hart" (Altenglisch für "Hirsch", 427). Der einladende Name Public House (abgekürzt "Pub") stammt aus dem viktorianischen Zeitalter. Die Vorgänger der Pubs, die Tavernen, hatten allerdings die Römer auf ihrer Nordlandreise mitgebracht. Doch die tranken lieber Wein.

Nun schlägt die Britische Bier- und Kneipenvereinigung Alarm: Die Pubs sterben. 2005 schlossen 100 Etablissements, 2006 schon 200, im vergangenen Jahr gar 1400. Es sind eher die Preise als das Rauchverbot - seit April 2006 in Schottland, seit Juli 2007 in England und Wales -, die die Pubs in Nöte bringen. Ein Pint Bier (etwas mehr als ein halber Liter) kostet 2,50 Pfund (3,15 Euro), dreimal so viel wie bei Tesco im Supermarkt. Und obwohl das "Time, Gentlemen, please" der berüchtigten "Last Order" kurz vor elf Uhr abends abgeschafft wurde, trinken viele Briten lieber zu Hause oder auf der Straße.

Die Bergleute oder Fließbandarbeiter, die der Weg nach Feierabend routinemäßig an ihrer Pinte vorbeiführte, gibt es nicht mehr. Zwar trinkt auch der eine oder andere ganz normale Angestellte sein Gehalt weg. Und auch Frauen, die in den Sechzigerjahren noch versuchten, durch die Butzenscheiben ihren Mann im Dunkel auszumachen, sind längst selbstverständliche Pubgänger. Doch die jüngeren Briten fühlen sich in durchgestylten Szenebars wohler und können mit der Kultur des Pubs nichts mehr anfangen. Das "Watering Hole", je nach Durst als Wasserloch oder Tankstelle zu übersetzen, trocknet aus.

Rob Hayward, Geschäftsführer der britischen Bier- und Kneipenvereinigung, sagt pathetisch: "Das Brauwesen ist eine bedeutende Industrie, das Bier unser nationales Getränk und die Pubs ein wertvoller Teil unserer Kultur." Wie Schlösser und Kirchen. Andere tragen noch dicker auf: Wenn die Kirche die Seele Englands ist, schrieb Samuel Pepys im 17. Jahrhundert, "ist der Pub sein Herz". Und der Engländer, heißt es, würde nicht einmal das Parlament so sehr vermissen wie den Pub.

Das britische Sozialforschungsinstitut Sirc behauptet: "Sie können Stonehenge und den Buckingham Palace besichtigen. Aber wenn Sie nicht in einem Pub waren, haben Sie das wirkliche Groß-britannien nicht gesehen!"

Das wirkliche Großbritannien? Was britische und irische Künstler über das Trinken formuliert haben, würde hierzulande kaum als politisch korrekt eingestuft. "Alkohol ist das Betäubungsmittel, mit dem wir die Operation des Lebens ertragen", sagte George Bernard Shaw. Der britische Schauspieler Oliver Reed behauptete, er habe nur zwei Ziele im Leben. Eines war, mit jeder Frau zu schlafen. Das zweite: "Jeden Pub trockenzutrinken." Und Nobelpreis-träger William Butler Yeats verzweifelte an seinen Mitmenschen: "Das Problem mit einigen Leuten ist, dass sie nüchtern sind, wenn sie nicht betrunken sind ..."

Was ist also der Zauber der Institution Pub? Die düsteren, verwinkelten Räume sind gewöhnungsbedürftig. Abgeblättertes Thekenholz, notdürftig übertünchte Brandlöcher, manchmal überstrichene nikotingelbe Wände und überhaupt eine schummrige Funzelbeleuchtung, in die sich kein Sonnenlicht mischt. Und über allem dieser merkwürdig schwere Biergeruch. Die Gläser ohne Eichstrich sind bis zum Rand vollgeschenkt, der Schaum läuft an der Seite herunter. Man glaubt, die klebrigen Tische und die plüschigen Möbel sind jahrelang nicht gewischt worden. In der Ecke steht vielleicht ein Poolbillard, manchmal klimpert ein 60er-Jahre-Hit aus einer Jukebox. Unter der Treppe hängen ein paar Schlüssel für die Gästezimmer, mit Anhängern dick wie Tennisbälle. Dazu vergnügt man sich mit merkwürdigen jahrhundertealten Spielen wie "Aunt Sally" oder "Ringing the bull".

Es ist dieses Gefühl von Geselligkeit, das Kontinentaleuropäer wohl ebenso wenig verstehen werden wie die Spielregeln des Cricket oder das Prinzip der Fuchsjagd. Mit regionalen Besonderheiten: In der Metropole London ist man nie weiter als tausend Meter von einem der 5000 Pubs entfernt. In Schottland lassen sich in den "Haunted Pubs" die Geister wegtrinken. Die Waliser nennen ihre Pubs "Tafarn", eine Erinnerung an die Tavernen der Römer. Und die Iren stoßen zu einem "Slainte!" mit Guinness und Kilkenny an. Zwei Drittel der Männer und beinahe jede zweite Frau gehen auf den britischen Inseln am liebsten, wenn sie denn ausgehen, in einen Pub. 15 Millionen Briten tun es einmal in der Woche. Nach wie vor findet jeder vierte Brite seinen künftigen Lebenspartner in einem Pub.

Die Wirte können aus einem reichen Fundus von 2500 verschiedenen Biermarken aus 500 britischen Brauereien wählen, am liebsten als Mild, Stout, Porter, Bitter oder Lager. Das obergärige "Real Ale" wird aus traditionellen Zutaten gebraut. Die "Campaigne for Real Ale"(Camra) kämpft seit 1971 für die britische Pub-Kultur. In diesem Jahr promoten sie ihr Gebräu als "britisches Nationalgetränk".

Der Pub ist mehr als eine Kneipe. Er ist das Zentrum des Ortes. Kein Krimi von Agatha Christie, in dem die Verdächtigen nicht irgendwann im Pub sitzen. Angeblich schaute Tony Blair gern mal von Downing Street im nahe gelegenen "Red Lion" vorbei, Arthur Conan Doyle schrieb in einem Gästezimmer des "Northumberland Arms" seinen ersten Sherlock-Holmes-Roman. In London oder in den schottischen Highlands beschwören Gäste, dass sie schon mal mit Prinz Charles oder wenigstens einem Royal minderer Prominenz angestoßen haben. Karl Marx und der Autor J.B. Priestley waren Stammgäste, "Regulars", in der "Museum Tavern". Mark Twain und William Butler Yeats kehrten im "Ye Olde Cheshire Cheese" ein, einem der ältesten Pubs in London. Der irische Ministerpräsident Brian Cowen hat als Jugendlicher im Pub seiner Eltern ausgeholfen und darüber gesagt: "Da habe ich mehr über die menschliche Natur gelernt als in der Schule oder an der Universität."

Dylan Thomas, der die Pubs von Swansea bis New York unsicher machte, verbrachte die letzten Jahre seines Lebens jenseits des Atlantik. Die Bars im Süden Manhattans und in Boston waren den britischen Pubs nachempfunden, weshalb den Exilanten kaum Heimweh nach Wales plagte. Mit den "Couple of Quickies", von denen Thomas sprach, wenn er in die Bar aufbrach, meinte er nichts Schlüpfriges, sondern sein flüssiges Lebensmittel. "Ein Alkoholiker ist jemand, den Sie nicht mögen, weil er genauso viel trinkt wie Sie", hieß sein Bekenntnis. Nach seinem letzten Vollrausch soll er auf der Hudson Street vor der "White Horse Tavern" im West Village zusammengebrochen sein und starb ein paar Tage später im Alter von 39 Jahren. Seine letzten Worte: "Ich habe gerade 18 Whisky getrunken. Das muss ein Rekord sein ..." Irische Dichter standen ihm kaum nach. Brendan Behan, der auch nur 41 wurde, sagte: "Ich trinke nur zu zwei Gelegenheiten: entweder bin ich durstig - oder nicht."

Man muss kein Poet sein, um neugierig in diese gesellige Welt einzutauchen, so fernab vom Arbeitsalltag. Der Wirt öffnet seinem Gast sein Wohnzimmer, die gute Stube. Als würde er jeden Tag eine Geburtstagsparty geben. Dafür ist er mit einer Lizenz zu Ausschank und öffentlichem Konsum alkoholischer Getränke ausgestattet. Und er verlangt kein Trinkgeld, allenfalls mal ein freies Bier. Wer sich aber als Tourist an einen Tisch oder auf einen der plüschigen viktorianischen Sessel setzt und auf einen Kellner wartet, wird seinen Durst wohl nie stillen. Die Bestellungen werden ausschließlich am Tresen angenommen. Der erfahrene Pubbesucher weiß zum Beispiel, dass er sein Guinness zuerst bestellt, weil dieses Bier länger braucht. Beim nicht übersetzbaren "Social drinking" begegnen sich alle auf Augenhöhe. Nirgendwo auf den Inseln lässt sich einfacher ein unverkrampftes Gespräch beginnen als im Pub. Wer eine Runde ausgibt, hat schon gewonnen. Der geübte britische Pubgeher kann sich angeblich die Reihenfolge der sieben letzten Runden merken.

Aber wie lange noch?

Jetzt greift auch Freizeit-Stadtplaner Prinz Charles in die Rettungsversuche für die bedrohten "Public Houses" ein. Seine Idee "Der Pub ist der Hub" soll den Charakter des Gasthauses als Mittelpunkt des Ortes noch verstärken. In seiner sozialen Funktion soll er auch Postschalter, Reinigungen und andere Dienstleistungen anbieten. Seit Charles das Projekt unterstützt, kann er sich vor Einladungen nicht retten. "Keine Sorge, ich zahle selbst", sagt der Thronfolger.

Vielleicht denkt er auch an den alten englischen Trinkspruch:

"Here's to those

who wish us well;

as for the rest,

they can go to hell."

Cheers!