Sie beraten Bauern in Südamerika, Bäcker in Asien und Bauarbeiter in Osteuropa: Die Fachleute des Senior Experten Service geben weltweit ehrenamtlich ihr Wissen weiter. Gemeinsam ist allen: Sie sind Ruheständler.

Mit 64 Jahren, so sang einst Paul McCartney, wenn ihm die Haare ausfallen, würde er sich gern nützlich machen und durchgebrannte Glühbirnen auswechseln. Rolf Helmerdig sitzt mit 64 Jahren in seinem kleinen, aber feinen Büro im Hammerbrook und wartet auf seinen nächsten Einsatz. Russland? Fernost? Oder Südeuropa?

Rolf Helmerdig hat 30 Jahre als Diplom-Kaufmann im Otto-Konzern gearbeitet, zuletzt im Vorstandsstab. Als sich seine berufliche Laufbahn mit Ende 50 dem Ende entgegen neigte, überlegte er sich: "Ich bin nicht der Typ, der im Stadtpark sitzen und Zeitung lesen will. Ich gehöre nicht zum alten Eisen." Ein Best Ager im klassischen Sinne. Der Zufall kam ihm zu Hilfe. Nachdem er sich einen Lebenstraum erfüllt hatte und mit der Transsibirischen Eisenbahn zum Baikalsee gefahren war, las er auf dem Rückflug in einer Zeitung eine große Geschichte über den SES, den Senior Experten Service. Na ja, dachte Helmerdig, da ging es um die typischen Beispiele vom deutschen Bäckermeister oder Handwerker, die im Ausland gefragt sind. "So etwas Komisches wie mich werden die da wohl nicht brauchen", fürchtete er zunächst.

Und bewarb sich dann doch, weil ihm die Idee überzeugend erschien: Erfahrene deutsche Ruheständler geben im In- und Ausland ihr Wissen weiter. Tatsächlich passte Anfang 2002 ein Anforderungsprofil genau auf Rolf Helmerdig. Ein Einkaufszentrum im russischen Tscheljabinsk wollte die Nutzung seiner Fläche verbessern. Der Fachmann für Organisation und Logistik packte seine Koffer und flog los.

7600 dieser Experten im besten Alter sind in der SES-Zentrale in Bonn registriert, fast zehnmal so viele wie bei der Gründung vor 25 Jahren. Bundespräsident Horst Köhler sagte bei der Jubiläumsveranstaltung in Bonn: "Für mich sind die Senior-Experten eine Art Avantgarde im demografischen Wandel. Sie stehen für Menschen, die am Ende ihrer Berufslaufbahn nicht ausgelaugt, sondern verantwortungsvoll, vital und bereit sind, mit ihren Erfahrungen eine zweite, ehrenamtliche Karriere zu starten." Ehrenamtlich heißt: Der Auftraggeber übernimmt den Flug, die Unterkunft, Verpflegung und ein Taschengeld von 5 bis 15 Euro pro Tag. Der SES wurde als "Stiftung der deutschen Wirtschaft für internationale Zusammenarbeit" gegründet und wird von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), vom Bundesverband der deutschen Industrie (BDI), vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) und vom Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) getragen. Helmerdig koordiniert in Hamburg die Einsätze von 622 SES-Kollegen aus dem norddeutschen Raum.

Warum genießt er nicht einfach seinen Ruhestand? "Erstens", sagt Helmerdig, "habe ich einen fürchterlichen Horror davor, dass meine kleinen grauen Zellen einrosten. Bei den Einsätzen werden die fix gefordert. Zweitens ist es ein gutes Gefühl, wenn man helfen kann und etwas bewirkt. Und schließlich kann ich meine Neugier stillen, fremde Kulturen kennenzulernen."

Nun darf man sich das Ganze nicht als Urlaubsreise vorstellen. In meistens vier Wochen ist viel Arbeit zu erledigen, oft auch am Wochenende. "Kaum möglich, dass man da den Baedeker abarbeitet", sagt Helmerdig, der sich einen "temporären Einwohner" nennt. Der 64-Jährige hielte es für keine gute Idee, seine Lebensgefährtin mitzunehmen - obwohl das auf eigene Kosten erlaubt ist. "Das wäre langweilig." Im Gegenteil. Es sollen schon Frauen beim SES angerufen haben: "Gibt es nicht mal wieder was für meinen Mann zu tun?"

Die SES-Experten haben in 25 Jahren knapp 20 000 Einsätze geleistet, in 156 Ländern von Afghanistan bis Zypern, von Bangladesch bis Weißrussland. Auch bei den Branchen gibt es ein A bis Z: Von Aalzüchtern bis Zylinderschleifern wird Fachwissen nachgefragt. Ob Sessel in Mali gepolstert werden, die Fruchtbarkeit des Bodens in Guyana verbessert wird oder Therapeuten in der Mongolei fortgebildet werden - überall sind Deutsche mit Erfahrung gefragt. Tabu sind nur Anfragen in Sachen Rüstung oder Hightech - geschütztes Know-how soll nicht gefährdet werden. Inzwischen werden auch Aufträge aus dem Inland angenommen, bevorzugt aus den neuen Bundesländern.

Rolf Helmerdig sagt, er habe in seiner zweiten Karriere vielseitiger arbeiten können als in seiner durchaus abwechslungsreichen Berufslaufbahn. Er verbesserte die Abläufe an einer Universität in der Ukraine, entwickelte Pläne für einen Versandhändler in Bulgarien, löste Probleme bei einem großen Textilunternehmen mit 20 000 Mitarbeitern in Pakistan, bei einer Waagenfabrik auf den Philippinen und einer Importfirma in Russland. In Hamburg war er bei einer Facharztpraxis, beim Roten Kreuz und einem Start-up-Unternehmen eingesetzt.

Besonders im Ausland lernen die Experten schnell, dass die zuvor beschriebenen Schwachstellen gerade mal zehn Prozent der wirklichen Probleme ausmachen. Der große Rest stellt sich erst vor Ort heraus. "Sichtbare Erfolge sind sehr befriedigend", sagt Helmerdig. "Aber je desolater der Laden ist, um so schneller und größer ist natürlich auch der Fortschritt." Oft nimmt er bei tränenreichen Abschiedsgesten viel Respekt und Dankbarkeit mit nach Hause. Eine große Puppe aus Bulgarien, die den Winter austreiben soll, steht im Schrank in seinem Büro. "Zu Hause mag ich die nicht hinstellen."

Was bringt den Experten ihre Arbeit? "Mein Horizont hat sich erweitert", sagt Helmerdig. "Und man bekommt so viel zurück." In der Ukraine, "in der Mitte von nirgendwo", wo die Leute noch nie einen Ausländer gesehen hatten, dauerte es sehr lange, bis das Eis schmolz. "Dann aber war es eine Zusammenarbeit, wie ich sie kaum zuvor erlebt habe." Und so krass wie ein Auftraggeber in Manila hatte er sich selbst vorher nie gesehen. "Du legst die Stirn in Falten, bis du eine Lösung gefunden hast", sagte der, "das ist nicht normal!"

Rolf Helmerdig möchte gern weitermachen, "wenn ich gesund bleibe". Er ist überzeugt, dass er noch heute seinen ursprünglichen Job bewältigen könnte. Die Senior-Experten müssen mindestens 50 Jahre alt sein, liegen aber meist deutlich darüber, im Schnitt bei 66 Jahren. Eine inoffizielle Altersgrenze von 70 wird zusehends aufgeweicht: Der älteste aktive Mitarbeiter ist 84 und wird immer noch angefordert. Steigerungsfähig ist der Frauenanteil. Heute ist nur jeder zehnte Experte weiblich. "Das ist eine Generationenfrage", glaubt Helmerdig. "Das wird noch kommen." Bei gleicher Qualifikation werden Frauen bereits bevorzugt.

Der SES will dazu beitragen, den "Jugendwahn" in der Wirtschaft zu stoppen: "Unsere Generation ist wieder gefragt", sagt Helmerdig. "Das biologische Alter verändert sich. Vor zwei Jahrzehnten war man mit 65 Jahren nicht so agil wie heute." Wenn ein Bäckermeister in einem Entwicklungsland sagt, er komme mit dem Hefeteig nicht klar, vielleicht wegen des tropischen Klimas, schickt die Organisation einen Kollegen dorthin, der das 30 Jahre lang gemacht hat. In China zum Beispiel gelten Männer mit grauen Haaren ohnehin als weise. "Was dort gebraucht wird, sind keine gut ausgebildeten Theoretiker, sondern Fachleute mit gesundem Menschenverstand."

Rolf Helmerdig hat seinerzeit selbst von der Vorruhestandsregelung profitiert. Dennoch hält er die neue Diskussion um Altersteilzeit "volkswirtschaftlich für Wahnsinn", allein von den Kosten her. "Ich weiß, ich sitze im Glashaus. Aber es ist einfach nicht sinnvoll. Wir brauchen auch die Rente mit 67, weil die Lebenserwartung wächst und der Mensch innerhalb eines Berufslebens von 30 bis 40 Jahren nicht mehr so verbraucht ist. Wenn ich sehe, was die Leute in Fernost so auf ihren Schultern schleppen - das gibt es hier nicht mehr."

Nicht nur der SES, immer mehr Organisationen werben um die Generation Grau. Da gibt es Angebote wie www.seniorentreff.de, die Best Ager 50 plus oder den Best Agers Club Hamburg, der so für sich wirbt: "Runter vom Sofa - rein ins Leben!" Die Bundesregierung fördert die Initiative "Alter schafft Neues" für Freiwilligendienste aller Generationen.

Professor Peter Wippermann (59) vom Hamburger Trendbüro, selbst ein "Best Ager", hält die Entwicklung für unaufhaltsam: "Die neuen 50-Jährigen sind anders. Menschen wie Sharon Stone oder Prince sind auch Vorbilder für die Arbeitswelt. Man stirbt weder mit 49 als Konsument noch mit 50 als Arbeitnehmer. Der Prozess läuft nur langsamer, als er in den Medien dargestellt wird." Auch in der Wirtschaft sei der Trend angekommen, wenn auch zögernd. Audis "Silver Line", in der ältere Arbeitskräfte den Sportwagen R8 fertigen, ist noch eine Ausnahme. "Die Unternehmen müssen den Rückgang der jüngeren Jahrgänge kompensieren. Es ist notwendig, dass Ältere länger bleiben." Dramatisch verändern sich, sagt Wippermann, die klassischen Generationsmuster. "Früher hieß Beschäftigung für Ältere: Jetzt studieren wir mal Kunstgeschichte. Heute ist Arbeit wieder interessant und hat eine Bedeutung."

Rolf Helmerdig sagt: "Erfahrung wird wieder geachtet und honoriert. Rechnen Sie selbst: 7600 Experten, jeder mit 30 Berufsjahren, das sind fast eine viertel Million Jahre Erfahrung. Das können die jungen, dynamischen Manager mit ihren schlauen Lehrbüchern und Powerpoint-Präsentationen nicht leisten.


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