Deutsch oder Türkisch? Viele Einwandererkinder müssen sich demnächst für eine Staatsbürgerschaft entscheiden. So sieht es das 1999 reformierte Staatsbürgerschaftsrecht vor. Kein Grund für eine Identitätskrise, meint Seyma.

Dass sie Deutsche ist, war für Seyma (18) nie die Frage. Die Gymnasiastin wurde in Hamburg geboren, geht hier zur Schule, fühlt sich hier zu Hause. Ein ganz normaler Teenager mit ganz normalen Teenager-Sorgen: Im nächsten Jahr steht das Abitur an, dann die Entscheidung für ein Studium und die Frage, ob sie hier oder im Ausland studieren möchte. Eine Entscheidung, über die Seyma bisher nicht wirklich nachgedacht hatte, war die zwischen den Staatsbürgerschaften. Seyma hat nämlich theoretisch auch die türkische. "Das war mir gar nicht so richtig bewusst", sagt sie. "Dass man sich da irgendwann entscheiden müsste."

In Deutschland haben mehr als 300 000 Kinder von Einwanderern die doppelte Staatsbürgerschaft, die meisten sind Deutsch-Türken. Die ersten sind nun volljährig und müssen sich entscheiden - so sieht es das 1999 reformierte Staatsbürgerschaftsrecht vor. In Deutschland galt bis dahin das Abstammungsrecht. Das war ganz einfach: Wer einen deutschen Vater oder eine deutsche Mutter hat, ist Deutscher. Punkt. Das reformierte Gesetz sah ein Geburtsrecht vor. Demnach sind auch alle nach dem 1. Januar 2000 in Deutschland geborenen Einwandererkinder automatisch deutsch. Dafür muss wenigstens ein Elternteil schon acht Jahre lang hier leben und eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis besitzen. Für einen Teil der Kinder, die bis zu diesem Zeitpunkt nicht älter als zehn Jahre alt waren, sah das neue Gesetz eine Übergangsregelung vor - das so genannte Optionsmodell. Das bedeutet: Kinder, die nach dem Geburtsrecht die deutsche Staatsbürgerschaft haben, nach der Abstammung aber beispielsweise die türkische, müssen sich nach der Volljährigkeit innerhalb von fünf Jahren für eine Staatsbürgerschaft entscheiden. Diese Jugendlichen werden in der Regel von den Behörden angeschrieben, dass sie sich nun bald entscheiden müssten - Deutsch oder Türkisch, Deutsch oder Afghanisch, Deutsch oder Kasachisch.

Seyma sagt, für sie gebe es zurzeit einfach wichtigere Dinge als die Frage danach, welchen Pass sie hätte. Sie hat einen deutschen Pass, den türkischen hat sie nie beantragt, obwohl sie das hätte tun können. "Es ist ja nicht so, dass man da jede Woche drauf schaut und denkt: 'Ah, ich bin ja Deutsche!' oder 'Ach fast vergessen, ich bin ja Türkin!'. Da schaue ich schon lieber auf meinen Führerschein", sagt die frisch gebackene Autofahrerin. Wo sie hingehöre, wie sie sich fühle, könne ein Stück Papier nicht ausdrücken. "Ich finde, die Identität eines Menschen wird nicht nur durch die Herkunft bestimmt, sondern drückt sich auch durch andere Dinge aus. Beispielweise die Klamotten, die jemand trägt, oder seine Hobbys und Interessen", sagt Seyma, die vor etwa eineinhalb Jahren im Hamburger Abendblatt einen leidenschaftlichen Appell für ihren Stadtteil Billstedt geschrieben hat (Ausgabe vom 22.12.2006). "Heimat muss man nicht klar definieren. Heute ist doch jeder überall zu Hause. Ich glaube, in 50 Jahren wird keiner mehr nach Pässen fragen."

Würde man Seyma in der Hamburger Innenstadt sehen, landete sie schnell in der Schublade eines problembehafteten Einwandererkindes mit Identitätskrisen. Allein ihr Kopftuch würde dafür schon ausreichen. Aber Jugendliche wie Seyma sind nicht einfach: Auf der einen Seite ist sie eine junge, ernsthafte Frau mit Plänen für die Zukunft. "Eigentlich stehen mir alle Türen offen. Ich würde gern im Ausland studieren, vielleicht in den USA", sagt sie. Ihr Vater, ein Großhändler, hat sie mal mit auf Geschäftsreise in die Staaten mitgenommen. Das Land habe ihr gut gefallen. Nicht einmal habe sie das Gefühl gehabt, komisch angeguckt zu werden. Auf der anderen Seite ist sie wieder ein normaler Teenager, der gern im Internet surft, sich demnächst zum Tennis anmelden möchte, sich Sorgen über die nächste Geschichtsarbeit macht, mit ihren Freunden ins Kino geht. Und der auch über sich selbst lachen kann: "Viele fragen mich, wie meine Haare unter dem Kopftuch aussehen. Mal behaupte ich, dass ich pinkfarbene Strähnchen hätte, mal Leopardenmuster."

Sie ist davon überzeugt, dass sich Jugendliche nicht so sehr darum scheren, was für eine Nationalität in ihren Pässen steht. Aber würde sie wie viele ihrer Altersgenossen Post von der Behörde erhalten und aufgefordert werden, sich für einen Pass zu entscheiden, würde ihr diese Entscheidung gar nicht schwer fallen: "Ich liebe die türkische Sprache, die türkische Kultur und das Land. Ich könnte mir auch vorstellen, dort zu leben. Aber ich würde mich für die deutsche Staatsbürgerschaft entscheiden." Das habe nicht nur praktische Gründe, auch wenn es sehr angenehm sei, als deutscher Staatsbürger zu reisen: Für die wenigsten Länder braucht man ein Visum. "Ich fühle mich als Teil von Deutschland." So richtig sei ihr die Staatsbürgerschaft eigentlich erst bewusst geworden, als sie mit 16 Jahren ihren Personalausweis erhielt. "Ich habe mich wirklich über den Ausweis gefreut. Der ist Plastik eingeschweißt und ist dadurch härter und stabiler als der Kinderausweis. Das war ein bisschen Erwachsenwerden."