Das ist hohe Kochkunst. Bis zu 700 Mahlzeiten bringt die Küche des Steigenberger Hotels Hamburg pro Tag auf den Tisch. Ein Genuss für Feinschmecker. Aber auch für Topfgucker.

Berufskleidung ist Pflicht. Auch für Topfgucker. Sagt der Chef. Also sucht Alfred Schreiber erst mal in seinem Mini-Büro eine passende Kochjacke für den Besucher und erklärt, wie man sie knöpft. Währenddessen agiert hinter mir der verrückte dänische Koch aus der Muppet Show auf einem Computermonitor. Der Bildschirmschoner ist vermutlich das Höchstmaß an Anarchie, das hier geduldet wird. Denn wer tagtäglich sehr viel mehr als Smørrebrød auf den Tisch bringen muss und darüber hinaus auch noch hohe Ansprüche erfüllen will, der braucht Organisation und Disziplin.

Acht Uhr. Draußen ein ungemütlicher herbstlicher Donnerstagmorgen. In der warmen, fensterlosen Unterwelt des Steigenberger Hotels Hamburg ist das sofort vergessen. Küchenchef Alfred Schreiber ist schon seit sieben hier. Wie lang ist sein Arbeitstag? "Normalerweise zehn Stunden, heute wohl etwas länger", sagt er und fügt hinzu: "Ich verbringe mehr Zeit mit meinen Souschefs als mit Frau und Sohn."

Schreiber erzählt auf einer ersten Kurzführung durch die Hotelküche, was heute alles anliegt. Das Frühstücksbüfett im angrenzenden Restaurant Calla wurde um sechs eröffnet. Momentan laufen Vorbereitungen für die verschiedenen Mittagsangebote, für das Business-Lunch im Bistro und das Büfett für die Tagungsgäste, Snacks für Konferenzpausen werden zubereitet, Kuchen für den Nachmittag. Daneben muss die benachbarte Fleetinsel-Klinik versorgt werden. Außerdem ist immer mit Sonderwünschen des Room Service zu rechnen. Und nach all der Pflicht ist heute wieder ein Tag, an dem am Abend auch noch die Kür folgt: ein auf die begleitenden Weine abgestimmtes Sechs-Gänge-Menü für ungefähr 70 Personen, das Schreiber gemeinsam mit einem Gastkoch aus Berlin, Holger Zurbrüggen vom Restaurant Balthazar am Ku'damm, gestalten wird.

25 Festangestellte hat das Hotel im Küchenbereich. Zu Beginn der Frühschicht ist es noch ein übersichtlicher Betrieb in den Gängen zwischen Kochstellen, Regalen und Arbeitsflächen aus Edelstahl. Im Konvektionsofen wird eine Steakhüfte am Stück fürs Lunchbüfett gebraten. Ein Stück weiter bereitet Patissier Christian Plagge mit zwei Helfern Obstspieße und Gebäck für die Kaffeepausen vor, eine Ecke weiter fertigt Sönke Johannsen eine Aalsülze. Er ist als Souschef einer von zwei Vertretern Schreibers.

Alfred Schreiber erweitert den Rundgang auf die verschiedenen Kühl- und Vorratsräume, zeigt die Küche im Bankettbereich im Obergeschoss, das Bistro am Fleet mit Showküche und den Wintergarten. Wenn das Hotel ausgebucht ist, muss die Küche bis zu 700 Mahlzeiten am Tag liefern können. Zu Schreibers Aufgaben zählen auch Warenwirtschaft und Planung der wechselnden Karten, die Kalkulation der Rezepturen. Er muss eingehende Ware prüfen, die Qualität von Fleisch und Fisch, die Frische des Gemüses.

Seit der Eröffnung des Steigenberger Hamburg im Jahr 1992 ist Schreiber hier Küchenchef. Der gebürtige Münchner hat im Parkhotel Rosenheim gelernt, war in diversen Steigenberger-Häusern und im Ritz Carlton Boston. Stark beeinflusst hat ihn die asiatische Küche, die er auf Bali, in Djakarta, Hongkong und Singapur kennengelernt hat. "Es war super, was ich da gesehen habe", erzählt er. "Die Gewürze und Produkte, der Umgang mit ihnen, die Garmethoden, die Fingerfertigkeit, die Mentalität der Köche, die keine Angst vor den größten Herausforderungen hatten." Schreibers euroasiatische Neigung traf sich mit dem Wunsch der Direktion, das neu gegründete Hotel mit einer Trendküche zu profilieren.

Eine ideale Allianz, denn Schreiber sorgt für Stetigkeit auf hohem Niveau. Der zurückhaltende, aber souveräne Mann ist ein Koch, der über den Tellerrand hinaus denkt. So erzählt er beim Blick in die Bankettsäle, dass er sich zurzeit mit Brain Food beschäftigt: Pausensnacks für Tagungen, die vom üblichen Keksgeknabber abweichen und die Teilnehmer mit rohem Fisch und grünem Tee über längere Zeit aufnahmefähig halten sollen. Während er über Künftiges redet, organisiert Schreiber die Gegenwart: Im Geschirrlager legt er rasch fest, welche Teller für die einzelnen Gänge des Abendmenüs präpariert werden sollen.

In der Zwischenzeit hat sich die Küche belebt. Es dampft und duftet, Topfgeklapper, Maschinenlärm und Geschirrgeklirr sorgen für eine Geräuschkulisse, die Flughafen-Intensität hat.

Auch Holger Zurbrüggen, der Gast aus Berlin, Risotto-Weltmeister von 1999 gegen alle italienische Konkurrenz, ist eingetroffen und bereitet in aller Ruhe die drei Gänge des Menüs vor, die er verantwortet. Neben ihm schmeckt Alfred Schreiber seine Pimentosauce mit Chorizo und den Pilzsud für den Rochen ab. Gegenüber blanchiert Jungkoch Caspar Brabetz, der als Entremetier (Beilagenkoch) arbeitet, grünen Spargel. Nach dem kurzen Aufkochen wird das abgeschöpfte Gemüse sofort ins Eisbad geworfen - "damit es nicht nachgart".

In den Gängen und um die Arbeitsplätze wird's inzwischen schon etwas drängelig. Wenn man sich in die Quere kommt, gibt's freundliche Worte: "Wollen wir das ausdiskutieren, oder braucht es einen körperlichen Verweis?" Das Erstaunliche an diesem Gewusel ist, dass es wie ein Nebeneinanderher wirkt, aber zielgerichtet auf ein gemeinsames Finale zustrebt.

Das Geheimnis wird offensichtlich, als Schreiber die Chefs de Partie (Leiter der einzelnen Posten) fürs Menü einteilt. Es gibt zwar eine Hierarchie, doch jeder hat Verantwortung und das Vertrauen der anderen. Und die Chefs schweben nicht über allem, sondern sind mittendrin und schneiden wie jeder andere auch mal Zwiebeln oder hobeln Gurken. Es ist wie das Modell eines gut funktionierenden Unternehmens und könnte Anschauungsunterricht für Manager sein.

Es ist 17.25 Uhr, und Schreiber fordert, dass noch mal Gas gegeben werden muss. Um 18 Uhr ist der Beginn der Veranstaltung im Restaurant Calla. "Wichtig ist, dass der erste Gang pünktlich rausgeht", sagt Holger Zurbrüggen und wirkt lässig.

Gekommen ist Hoteldirektor Karl Schlichting, der ebenso wie die Crew ein wenig nervös wird, weil sich das Servieren wegen der längeren Begrüßungsrede verzögert. Was folgt, erinnert an ein Intervalltraining zwischen Sprint und Dauerlauf. Ein Pfannenbataillon brät am Induktionsherd Jakobsmuscheln, nebenbei werden Sonderwünsche erledigt für Gäste, die keinen Fisch mögen: "Hier kommt der Fisch ohne Fisch."

Um 22.30 Uhr hat schließlich das Dessert die Küche verlassen. Geschafft, nach knapp vier Stunden finalem Dauerstress am Ende eines langen Tages.

Derweil reicht mir Christoph Steffen, der als Springer (Tournant) eingesetzt war, eine Schale und fragt: "Wollen Sie noch etwas Labskaus mit Spiegelei? Das gab's gerade nach der Tagung in einem unserer Säle." Die Hamburger Wirklichkeit hat mich wieder.