Warum kehrt ein erfolgreicher Sänger, der alles erreicht hat, vier Jahre nach seiner Abschiedstournee wieder auf die Bühne zurück? Er sagt: “Jetzt werde ich respektiert.“

Er ist wieder da. Howard Carpendale, einer der erfolgreichsten Schlagersänger überhaupt. Nach selbst verordneter vierjähriger Bühnenabstinenz ist er zurück aus dem sonnigen Miami. Und die Rheinländerin Claudia, 39, verheiratet, ist am Rande eines glücklichen Nervenzusammenbruchs. Sie hat ihn wieder. Endlich. Und dann noch zum Greifen nah. Den Mann, dem sie seit Jahren hinterherreist. Sie hat ein Bild dabei. Howard Carpendale in Öl. Das Geburtstagsgeschenk zu seinem Sechzigsten im letzten Jahr. Da war er schon weg. Abgetreten von der Bühne mit einer glanzvollen Abschiedstournee im Dezember 2003. Nun ist er also wieder da. Steht leicht verlegen neben seiner Bewunderin. Hält das Gemälde hilflos in den Händen. Bedankt sich artig, posiert fürs Foto. Atmet sichtlich auf, als sein Tross ihn in Richtung Fahrstuhl schiebt.

Howard Carpendale ist zurück. Tourt durch Talkshows, gibt Pressekonferenzen und Interviews im Dauereinsatz. Angetan und fast gerührt von dem selbst inszenierten Rummel und der Treue seiner Fans. Vier Tage nach Erscheinen des neuen Albums "20 Uhr 10" waren mehr als 100 000 verkauft. "Goldstatus", so sein Manager Dieter Weidenfeld. Ein wahrer Hype! Und platinverdächtig. Wenn die Tournee losgeht. Da ist er sicher. Aus elf Auftritten sind jetzt fünfzehn geworden. Nur große Hallen. Aber mehr sollen es nicht werden. Auf keinen Fall.

Howard Carpendale ist also wieder da. Mit einem neuen Album, mit neuen Songs, mit einer neuen Tournee und einer völlig neuen Seelenlage. Nicht mehr gegen den Strich gebürstet. Sondern gesprächsbereit, entspannt und leicht selbstironisch. Mit dem welken Charme eines Mannes, der endlich über den Dingen steht: Mit dem verhassten Wort Howie und dem Stempel des samtschmusigen Schlagersängers, der sich in reife Frauenherzen singt.

Ein Gespräch mit einem abgeklärten Howard Carpendale also. Wie ungewöhnlich. Ja, sagt er. Dann wollen wir doch mal. Er schickt seine Mitarbeiter raus, bestellt sich einen Tee mit Milch, Zucker und viel, viel Honig, rekelt sich auf der Couch zurecht.

Die Rückkehr auf die Bühne ist für ihn der Beginn einer zweiten Karriere. Lässig angegangen und auf Spaß gepolt. Angstbesetzt auch? Nein, sagt er, das Schlimmste, was hätte passieren können, wäre wie der Spruch von John Lennon gewesen: Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin! Übersetzt: Also, ich komm raus auf die Bühne, und niemand ist da. Aber das sei vorbei. Auch Gedanken darüber, ob es verrückt sei, nach vierundvierzig Jahren immer noch dabei sein zu wollen. In dieser Welt, die vom Jugendwahn beherrscht sei, wo Vierzigjährige zum alten Eisen gehören, Fast-Food-Künstler Furore machen, über Nacht aufsteigen und genauso schnell wieder verschwinden. Nein, sagt er, gegessen. Er fühle sich endlich respektiert. Als Chansonsänger und Entertainer anerkannt. Sein Entschluss ist gefasst. "Ich werde nie wieder versprechen, dass ich nicht mehr singe." Es sei eine seiner größten Schwächen, immer mehr zu versprechen als er halten könne. Und Nein sagen, das wichtigste Wort auf der Welt überhaupt, könne er auch nicht. Zu dem Rücktritt habe er sich damals ganz allein entschlossen. Eine einsame Entscheidung. "Man muss dann gehen, wenn es am schönsten ist." Als im Januar dieses Jahres die ersten Anfragen kamen, ob er nicht doch vielleicht und überhaupt sich vorstellen könne, weiterzumachen, war die Zeit reif, Ja zu sagen.

Mit neuen Texten, leicht melancholischen, ein bisschen ironischen wie "Ich wollte nie wieder auf Tournee gehen, doch das konnte ich nicht durchstehen, na und?" Das hätte ihm klar sein müssen. Schließlich begann seine Karriere 1967 mit dem Song "Lebenslänglich" und dem genau so trotzig hingenuschelten "Ja, es muss sein, wirklich sein". Dieses auf der Bühne stehen. Nein, sagt er. Damals habe er nicht gewusst, was er sang. Da hätte er noch kein Wort Deutsch gesprochen. Die Texte nicht verstanden.

Woher denn nun dieser Sinneswandel? Manager Dieter Weidenfeld fasst es zwischen Tür und Angel zusammen: In Florida rumsitzen mit lauter alten Männern, die viel Geld und Zeit haben, Geschäfte machen und über die Prostata reden - das sei doch nicht sexy.

Howard Carpendale fährt sich durchs Haar, rührt im Tee. Er musste einfach dahin zurück, wo er sich am wohlsten, am sichersten fühlt. Auf die Bühne. Vor Tausenden von Leuten. Mit einem Menschen allein fühle er sich unbehaglich. Schlimmer noch: "Gib mir einen Golfschläger in die Hand, stell zehn Leute um mich herum und sag, schlag den Ball - da sterbe ich vor Angst."

Da ist er wieder, dieser schüchterne nette Typ, den Frauen so mögen. Nein, sagt er, das konnte er noch nie ab. Gegen dieses Image habe er sein Leben lang angekämpft. Er sei gar nicht so nett. "Ich bin ein normaler Mann. Die haben schöne Dinge an sich und manchmal sind sie Schweine." Er träumt nach wie vor davon, einmal nur im Film der böse Typ zu sein, der Fiesling. Wie vor Kurzem in einer Folge der amerikanischen TV-Serie "Dark Realm". Hier in Deutschland sei er immer nur Howard Carpendale. Unverkennbar, nett und mit dem weichen "isch". Es gäbe da ein Drehbuch, sagt er zögernd. Bei Weidenfeld in der Schublade. Von ihnen beiden verfasst. Arbeitstitel "Tod in Miami". Ein Mann, der nach dem Mord an seiner Frau zum Psychopathen wird, ausrastet bis zum großen Showdown mit dem Mörder. Russisches Roulette. Seine Traumrolle.

Träume, sagt er dann. Schauspieler sei der faszinierendste Beruf, den es gibt. Aber als Schauspieler würde er immer nur ein Selbstdarsteller bleiben. "Zu mehr würde ich es nicht bringen." Das sei eben der Unterschied zwischen einem Genie wie Anthony Hopkins oder Gene Hackman und jemandem wie ihm, der sich das hart erkämpfen müsse. Trotzdem - einen erwachsenen Film machen, nicht diese grottenmäßigen Gutmenschrollen, einmal austesten, wo die eigenen Grenzen liegen, das hätte wirklich was.

Ein Traum. Genau wie der, einmal so wie Dean Martin sein zu können. Der Entertainer überhaupt für ihn. Zweieinhalb, nein, drei Minuten auf der Bühne sein ohne zu sprechen, ohne zu singen und das Publikum ist mucksmäuschenstill. "Wenn du das schaffst, bis du da, wo du hinwillst." Bei seiner Abschiedstournee in Köln sei er ganz dicht dran gewesen. An diesem unglaublichen Gefühl, diesem perfekten Spiel mit dem Publikum. Aber eben nur fast.

Das wird ihm schon zu eng. Wir reden also über seine beiden Söhne, auf die er sehr stolz ist. Wayne, der Schauspieler, dem er sich sehr nahe fühlt, und dem er es nicht neide, den Traum seines Vaters zu leben. Und der zehn Jahre jüngere Cass, ein Computerfreak, störrisch, aufmüpfig und unbeirrbar in seinen Überzeugungen.

Und über Donnice, mit der er schon seit 27 Jahren zusammenlebt, die ihn einen "harmlosen Egoisten" nennt. Seine Ex-Frau Claudia, mit der er fast täglich telefoniert, die zur Großfamilie gehört - und ja, die beiden Frauen zicken sich schon mal. Er würde manchmal schon gern liebevoller sein. Aber er kann nicht aus seiner Haut. Er redet über das ewige Auf und Ab in der Liebe und von dem feinen Unterschied zwischen Loyalität und Treue in Beziehungskisten. Von Seitensprüngen und One-Night-Stands. Dem Sinn und Unsinn einer Ehe. Und dass er immer loyal gewesen sei. Nicht treu? Loyal, sagt er. Fehler passieren. Oh, Howie.

Er hadert, schimpft noch ein bisschen auf diese Gesellschaft, die auf dem Weg zur sozialen Vereinsamung sei. Mit dem iPod-Knopf im Ohr, dem Mobiltelefon ständig im Einsatz. Früher, sagt Howard Carpendale, kam man beim Warten auf dem Flughafen mit den Leuten ins Gespräch. Heute absolute zwischenmenschliche Funkstille. Wie auf ein Stichwort klingelt sein Handy. Er drückt das Gespräch weg, ohne auch nur draufzugucken.

Dann kehrt er zurück zu seinem künstlerischen Neuanfang. Er müsse sich sehr genau beobachten. "In dem Moment, wo ich anfange, mich selbst zu parodieren, muss ich aufhören." Bis dahin aber, sagt er, an ein imaginäres Publikum gerichtet: Lehnt euch zurück und relaxt. Ich mach das schon.

Im April ist es so weit. Von Kempten aus geht es quer durch die Republik. Und Claudia, die Rheinländerin, wird ganz sicher dabei sein.