Abendblatt-Kolumnistin Saskia Bertling über Gnubbel, Stinkebär, Hosi-Hasi und einen Goldfisch namens Stefan.

Es gibt ja diese berühmte selektive Wahrnehmung. Schwangere sehen überall Schwangere. Eine Frau, die sich gerade in einen Bartträger verguckt hat, begegnet andauernd Männern mit Bärten. Ich für meinen Teil werde neuerdings von seltsamen Namen verfolgt.

Alles fing damit an, dass ich in einem Handtaschenladen am Neuen Wall ein Geburtstagsgeschenk für meine Mutter kaufte. Ich wollte gerade bezahlen und wühlte in meinem Portemonnaie, als die Verkäuferin ihre Tonlage änderte und mir ein "Du, Moppelchen" entgegensäuselte. Bitte? Ich war ehrlich erstaunt. Und guckte von meiner Geldbörse in Richtung Verkäuferin. Ich erfasste die Lage recht schnell und stellte erleichtert fest, dass sie gar nicht mich, sondern jemanden am anderen Ende der Leitung meinte. Ein Telefon klemmte zwischen Hals und Ohr: "Du..., ja..., ja... du, es ist gerade ganz schlecht, ich befinde mich mitten in einem Kassenvorgang."

Sie ist mitten in einem Kassenvorgang

Da ich gelegentlich zu großer Albernheit neige, musste ich sofort weiter in meiner Geldbörse kramen. Als ob "Moppelchen" nicht gereicht hätte, um mich aus der Fassung zu bringen, nun befand sich die Gute auch noch "mitten in einem Kassenvorgang". Ich versuchte, mir vorzustellen, wie das wohl so ist, mitten in einem Kassenvorgang. Ich konnte nicht anders und grinste von nun an unentwegt vor mich hin. Die bessere Hälfte von "Moppelchen" zeigte sich höflich und lächelte zurück. Noch am selben Tag besuchte mich meine Freundin Netti mit Zoe, Leon und Elke. Bei den beiden erstgenannten handelt es sich um Nettis Kinder, Elke ist ein Hund. Der übrigens, wie mir an diesem Nachmittag zum ersten Mal auffiel, auch sehr gut auf "Stinkebär" hört. Spätestens jetzt begann ich, ein Tunnelgehör zu entwickeln. Ich erfuhr von einem Goldfisch im Kindergarten, der Stefan heißt. "Witzig. Wie seid ihr denn auf den Namen gekommen?" Darauf die Erzieherin: "Wieso? Erkan ist vor zwei Wochen gestorben!"

Ich habe auch einen Undercover-Namen

Im Supermarkt lernte ich an der Käsetheke einen "Gnubbel" kennen, graumeliertes Haar, geschätzte 50 Jahre alt. Wirklich gute Freunde von mir outeten sich gestern Abend als "Hosi-Hasi" (er) und "Pupsinette Suppengrün" (sie). Schon klar. Erwachsene neigen dazu, ihrer Liebe und Zuneigung durch alberne Kosenamen Ausdruck zu verleihen. Ich darf mich darüber lustig machen. Schließlich tragen mein Mann und ich auch Undercover-Namen. Beide denselben noch dazu. Einen Fantasienamen, dessen Entstehungsgeschichte nicht mehr lückenlos nachvollziehbar ist. Das Problem ist, ich darf ihn nicht nennen. Mein Mann, den ich in den vergangenen Jahren zumeist als lustig empfunden habe, als jemanden, der auch über sich selbst lachen kann, hat mir mit Jedi-Ritter-Blick klargemacht, dass er die Scheidung einreichen würde. Und? Ich habe ihm geglaubt.