Hunger, politische und gesellschaftliche Unterdrückung oder die fehlende Perspektive, sich eine Existenz aufbauen zu können - es gibt viele Gründe für die großen Wellen der Auswanderung.

Was Auswanderung im 19. und frühen 20. Jahrhundert bedeutet hat, können wir heute kaum ermessen. Es mussten schon zwingende Gründe sein, die Menschen, die zuvor ihr unmittelbares Lebensumfeld oft kaum verlassen hatten, dazu gebracht haben, ihre Zukunft in einem weit entfernten fremden Land zu suchen. Sicher gab es auch Abenteurer und Menschen, die den engen Verhältnissen ihrer Heimat entfliehen wollten, doch für die etwa fünf Millionen, die zwischen 1850 und 1934 von Hamburg aus in die Neue Welt aufbrachen, waren Hunger, politische und gesellschaftliche Unterdrückung oder die fehlende Perspektive, sich eine einigermaßen sichere Existenz aufbauen zu können, die Hauptgründe. Ihre Namen sind in den Passagierlisten der Hapag verzeichnet, die in der BallinStadt zugänglich gemacht und dort auch von geschulten Mitarbeitern erläutert werden.

Hoffnungen, die erfüllt wurden oder sich zerschlugen

Jeder Name hatte ein Gesicht, hinter jedem Namen steht ein Schicksal. Mit jedem Namen verbanden sich Hoffnungen, die erfüllt wurden oder sich zerschlugen. "Das 19. und das frühe 20. Jahrhundert waren in Europa eine Epoche enormer Wanderungen, Binnen- und Transitwanderungen prägten den Kontinent und besonders den deutschsprachigen Raum in dieser Zeit", schreibt der Historiker Hans-Hermann Groppe in dem Buch "Von Hamburg in die Welt", das zur Eröffnung der BallinStadt erschienen ist.

Für viele war Auswanderung die einzige Überlebensmöglichkeit

Die Auswanderung war ein Massenphänomen, dessen politische und gesellschaftliche Ursachen leicht zu erkennen sind: In Osteuropa und vor allem im zaristischen Russland nahm in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Antisemitismus zu, es kam immer wieder zu Pogromen, sodass große Teile der jüdischen Bevölkerung die Auswanderung als einzige Überlebensmöglichkeit betrachtete.

In Deutschland war es im Verlauf des 19. Jahrhunderts zu einem enormen Bevölkerungswachstum gekommen: Lebten 1800 auf dem Gebiet des späteren Deutschen Reichs nur 25 Millionen, so waren es 1870 schon 41 Millionen und 1910 sogar 65 Millionen. Das führte einerseits zu europäischen Binnenwanderungen etwa von Polen in die neu entstehenden Industriereviere im Ruhrgebiet. Doch angesichts von politischer Unterdrückung, häufigen Missernten und dem durch die industrielle Revolution bedingten massenhaften Verlust von traditionellen Arbeitskräften im Handwerk und der Landwirtschaft, sahen viele Menschen für sich in Deutschland keine Zukunft mehr. Durch millionenfache Briefe von Auswanderern, durch Bücher und Artikel in Zeitungen und Zeitschriften und nicht zuletzt durch Mund-zu-Mund-Propaganda wurde auch jenen, die zunächst noch unentschlossen waren und die das große Risiko scheuten, ein ungemein verheißungsvolles Bild der Neuen Welt vor Augen geführt. Hans-Hermann Groppe schreibt weiter: "In den ersten großen Auswanderungswellen zwischen 1820 und 1880, auch Old Immigration" genannt, waren es überwiegend West-, Mittel- und Nordeuropäer, Iren, Engländer, Skandinavier und viele Deutsche, die es meist in die Vereinigten Staaten zog."

Die Vereinigten Staaten führten eine Quotenregelung ein

Etwa 1880 begann die zweite große Welle ("New Immigration"), in deren Verlauf vor allem Menschen aus Süd-, Ost- und Südosteuropa, aber auch aus Italien und Griechenland auswanderten. Da es sich hier oft um schlecht ausgebildete Menschen handelte, begannen die USA, den zunächst weitgehend ungehinderten Zugang zu erschweren. In den 1920er-Jahren führten die Vereinigten Staaten schließlich Quotenregelungen ein.

Für viele der ost- und süosteuropäischen Emigranten waren Bremerhaven und Hamburg die wichtigsten Auswandererhäfen. Neben Nordamerika waren aber auch andere Regionen, vor allem in Südamerika, Ziele für viele Auswanderer.

Die BallinStadt führt die Aktualität des Themas Auswanderung vor Augen: Gerade Wilhelmsburg mit der Veddel zeigt, dass Deutschland längst Ziel für viele Menschen geworden ist, die in ihrer Heimat keine Perspektiven mehr für sich sehen. Ihre Hoffnungen und Träume unterscheiden sich kaum von denen derer, die einst von Hamburg aus in die Neue Welt aufbrachen.