Es war nicht nur die Liebe zur Kunst, nicht nur der Hang zur Rebellion. Was Coco Chanel und Igor Strawinsky verband, war auch eine intensive Liebesbeziehung. Gemeinsam revolutionierten sie die Mode und die Musik des 20. Jahrhunderts Ihre Geschichte wird jetzt mit Chanel-Muse Anna Mouglalis und Mads Mikkelsen in Paris verfilmt.

Neben den feinen Boutiquen der Avenue Montaigne steht das Theâtre des Champs-Elysees, genau zwischen dem Prachtboulevard, der ihm seinen Namen gab, und dem Ufer der Seine. Seit der Renovierung 1989 erstrahlt dieses Theater wieder in altem Art-Deco-Glanz. Ein Glücksfall, denn nun kann auf dieser Bühne das nachgespielt werden, was hier im Mai 1913 wirklich stattgefunden hat: die Uraufführung von Strawinskys "Le sacre du printemps". Die Premiere löste in Paris einen noch nie da gewesenen Skandal aus. Seine Musik war zu radikal, und sein Stück widersprach den geltenden musikalischen Strukturen. Das Publikum schimpfte, es gab eine Schlägerei, einige verließen den Saal, Strawinsky wurde ausgebuht. Aber die Premiere war auch der Beginn einer Liebesgeschichte - zwischen dem bedeutenden russischen Komponisten Igor Strawinsky und der Mode-Ikone Gabrielle "Coco" Chanel.

"Coco Chanel & Igor Stravinsky"* wird der Film heißen, der derzeit in Paris gedreht wird und von der Affäre zwischen den beiden Kreativen erzählt. Beide waren Revolutionäre ihrer Zeit. Beide brachen mit Regeln und Konventionen, verursachten Aufruhr - und veränderten. Sie wurden zu Wegbereitern der Moderne.

Die Premiere im Jahr 1913 hinterließ bleibenden Eindruck bei Coco Chanel, so schreibt es zumindest Chris Greenhalgh, Autor des Buches "Coco and Igor", das dem Film zur Vorlage dient. Danach dauerte die relativ unbekannte Affäre zwischen den beiden ein paar Monate im Jahr 1920. Coco Chanel lebte damals im Luxus, der Komponist war durch die russische Revolution völlig verarmt. Sie nahm ihn, seine Frau und seine vier Kinder in ihrem Haus auf. Eine Amour fou, die zwar nur kurz war, aber Nachwirkungen hatte. So stellt der Film die These auf, dass die beiden sich auch künstlerisch stark beeinflussten. Dass das berühmte Parfüm Chanel No. 5 ohne Strawinsky nicht entstanden wäre. Der Film konzentriert sich auf die Liebesgeschichte der beiden. Das wahre Leben bietet sogar noch weitere Parallelen. Beide starben im gleichen Jahr, 1971.

Im Film spielt der Däne Mads Mikkelsen den Komponisten am Scheideweg zur Moderne, die Rolle der Coco Chanel wird von der französischen Schauspielerin Anna Mouglalis gespielt. Die 30-jährige Absolventin des berühmten Conservatoire National d'Art dramatique in Paris ist seit 2002 Repräsentantin des Hauses Chanel und gilt als Muse von Karl Lagerfeld. Der Film könnte für sie den internationalen Durchbruch bedeuten.

Bei den Dreharbeiten im Theâtre des Champs-Elysees warten im Foyer an die 300 Statisten auf ihren Einsatz. Alle in fabelhaften Empire-Kostümen: die Herren natürlich im Smoking, die Damen in seidenen Abendkleidern, überladen mit Schmuck, Spitze, Stirnbändern und aufwendigen Details. Jeder einzelne eine Augenweide. Verantwortlich für diese Szene ist Regisseur Jan Kounen. Der gebürtige Holländer, der in Nizza studiert hat, machte bisher durch kleine, aber äußerst innovative Produktionen wie "Blueberry" oder "Darshan" von sich reden. Der 44-Jährige steht auf der Bühne, neben einem gigantischen Kamerakran. In seinen Working Pants und der Schirmmütze wirkt er zwischen all den historisch anmutenden Gestalten wie ein Anachronismus. Kaum sitzt er mal eine Minute im Regiestuhl hinter dem Monitor, springt er wieder auf, um die Kameraführung zu überprüfen, die Einstellung, das Licht. Dennoch wirkt Kounen ruhig, konzentriert und scheint auf alle Fragen des Teams sofort eine Antwort parat zu haben.

Heute wird die Schlüsselszene gedreht, die aufwendigste des Filmes.

"Silence, s'il vous plaît!", heißt es. Dann erfasst die Kamera erst die Musiker im Orchestergraben, die Strawinskys Noten zum Leben erwecken. Sie schwenkt weiter ins Publikum, dem das polytonale Werk offenkundig missfällt. Mit jedem Takt werden die Leute unruhiger, es wird getuschelt. Plötzlich steht ein Mann auf und ruft höhnisch: "Holt doch einen Arzt! Am besten einen Zahnarzt!" Ein Tumult bricht aus. Im Handgemenge streift die Kamera Igor Strawinsky, der auch im Parkett sitzt. Der erträgt den Spott nicht mehr und stürmt aufgewühlt aus dem Saal. Polizisten betreten das Theater, versuchen, den Aufruhr zu bändigen, während das Orchester stoisch weiterspielt. Die Kamera tastet sich weiter durch den Zuschauerraum, bis sie in einer hinteren Stuhlreihe eine elegante, weiß gekleidete Frau in den Fokus bekommt. Auf deren schönem Gesicht zeichnet sich pures Entzücken ab. Es ist Coco Chanel.

"Coupe!" Aufatmen - die Szene ist im Kasten. Sie wird der Prolog des Filmes sein. Der Rest spielt erst sieben Jahre später, 1920. Chanel und Strawinsky werden einander bei einer Soiree vorgestellt. Sie ist hoch geachtet und besitzt Boutiquen und Häuser. Strawinsky, der vor der Russischen Revolution floh, ist mittellos und haust mit seiner schwer kranken Frau und vier Kindern in einer erbärmlichen Absteige. Doch den Glauben an sein Können und seine Musik hat er nicht verloren. Coco Chanel bietet ihm an, in ihr Haus am Stadtrand von Paris zu ziehen - und er nimmt das Angebot an. Wie auch das Angebot, das sie einige Monate später macht: die Wiederaufführung von "Le sacre du printemps" zu finanzieren.

"Zu dieser Zeit entwickelt sich Mademoiselle von der Modemacherin zur Mäzenin", erzählt Anna Mouglalis. Wir sitzen in ihrer Garderobe zwischen Schminkspiegel und Bügelbrett. "Mademoiselle" - so wird Coco Chanel heute noch voller Ehrfurcht im Hause Chanel genannt. "Sie scheint noch immer omnipräsent zu sein. Sobald man das Haus betritt, hört man überall Geschichten und Anekdoten über sie. Manchmal ertappt man sich selbst bei dem Gedanken, dass sie noch lebt. Gerade Lagerfeld beachtet ihre Regeln immer noch streng: Er arbeitet zum Beispiel noch immer mit denselben Hutmachern, Schuhmachern oder Stoffherstellern zusammen, die sie einst engagiert hat."

Die schwierige Aufgabe, sie zu verkörpern, hat Anna Mouglalis jedoch nicht eingeschüchtert. Sie hatte das Glück, Einblick in das Leben einer Frau zu bekommen, die für die meisten immer eine Legende bleiben wird. "Ich arbeite schon seit acht Jahren mit Chanel zusammen, seitdem Karl Lagerfeld mich bat, den Geist von Coco Chanel zu verströmen. Daher bin ich völlig von ihr ... durchdrungen! Es ist verrückt, völlig verrückt, dass ich dieses Glück habe!" Anna Mouglalis ist nicht nur schön, sie überzeugt auch mit ihrer Eleganz, mit ihrer ganzen Haltung. Auf den ersten Blick scheint die Schauspielerin fast zu schön für die Rolle zu sein. Doch spätestens, wenn sie den Mund öffnet, relativiert sich dieser Eindruck. Erst nimmt man ein wenig schief stehende Zähne wahr, dann eine überraschend tiefe, sehr raue Stimme. Eine Stimme, die eher einer alten Frau gehören könnte, die schon viel erlebt hat.

Sie erzählt, wie sie zur Vorbereitung Fotos suchte, Bücher wälzte, sich darüber amüsierte, dass jeder, der der Königin der Haute Couture auch nur fünf Minuten begegnet war, eine Biografie schrieb. Über ihre Freundschaft zu Karl Lagerfeld, der sie in Chabrols "Merci pour le chocolat" sah und fasziniert war. Dass sie im Modeln nach eigener Aussage "eine echte Null" war - bis Lagerfeld es ihr beibrachte. Wie sie bei Chanel die Gier nach schöner Kleidung kennenlernte, nach perfekten Schnitten und perfektem Material. Dass Karl, wie sie ihn nennt, nicht nur ein meisterlicher Lehrer ist, sondern auch endlos lang Witze erzählen kann. Und manchmal sogar urkomische Jive-Tänzchen vorführt. Dass Coco Chanel, die aus ärmlichen Verhältnissen stammte und im Waisenhaus aufwuchs, immer neue Geschichten über ihre Vergangenheit erfand und ihren eigenen Mythos erschuf. Und sie erzählt davon, dass sie mit ihrer Kleidung für die Freiheit des weiblichen Körpers gekämpft hat und nie die Frau zum Sexobjekt degradierte. Dass Schwarz und Weiß auch die Farben ihres Charakters waren, dass sie hart, erbarmungslos und tyrannisch sein konnte.

Trotzdem ist Mouglalis voller Bewunderung für Chanels emanzipatorischen Geist. "Sie besaß nichts - und schaffte sich ihr eigenes Reich. Sie ging sogar so weit, andere zu fördern. Wer hätte es 1920 gewagt, als alleinstehende Frau, mit dem eigenen, selbst verdienten Geld Mäzenatentum zu betreiben?"

Und sie nahm sich, was sie wollte - auch Männer. Dass Igor Strawinsky verheiratet war, war für Chanel kein echtes Dilemma. "Coco war vielleicht amoralisch, aber nicht unmoralisch", sagt die Schauspielerin. "Hätte sie sich an die gängige Moralvorstellung gehalten, hätte sie nie was erreicht. Sie hat alle ihre Verdienste damit erreicht, dass sie sich gegen Konventionen stellte." Insofern hat der Film, der gerade gedreht wird, ganz klar auch eine historisch-politische Tonalität, die Anna Mouglalis sichtbar machen möchte. "Strawinskys Frau verkörpert das 19. Jahrhundert - die Frau im Schatten ihres Gatten, die die Kinder erzieht und brav zu Hause bleibt, während ihr Mann abends zu Einladungen geht. Das wäre für Coco Chanel fast eine Beleidigung."

Die Pause ist um, es wird weiter gedreht. Jetzt ist die Szene dran, in der Chanel bei ihrer Ankunft im Theater für ihren extravaganten Look angestarrt wird: ein Kleid in hellem Beige, fast Weiß, aus fließendem Jersey, elegant, nicht einengend und doch mondän.

Auf dem Weg zum Set kommt man am Reich der Kostümbildnerin und ihres Teams vorbei. Hier hängen auf einer Länge von etwa hundert Metern Kostüme dicht an dicht, alle fein säuberlich in Plastikfolie eingeschlagen und nummeriert. Kostüme für 200 Männer und 200 Frauen, erzählt Chattoune. Mit ihrer Firma "Chattoune et Fab" hat sie alle Filme von Jan Kounen ausgestattet. Dass sie jeden Morgen um 4 Uhr 30 aufsteht, um mit ihren acht Mitarbeitern alle Mitwirkenden anzukleiden, findet sie nicht weiter erwähnenswert. "Das ist bei einem Film doch normal! Man arbeitet sechs Monate lang unter Volldampf, dann klappt man zusammen - voilà!" In nur sechs Wochen waren Chattounes Kostümentwürfe für Musiker, die Tänzer des Balletts, Hauptdarsteller und Komparsen fertig. Dann kam aber der spannendste Part für sie. Karl Lagerfeld höchstpersönlich musste als Gralshüter von Chanel sein Placet erteilen.

"Wir haben eine Abmachung mit dem Hause Chanel, dass wir nichts machen, ohne sie zurate zu ziehen", sagt Produzentin Claudie Ossard. "Wir brauchten deren Zustimmung für alles, die Logos, das Bildmaterial - und natürlich die Kostüme. Karl unterstützt unser Projekt mit ganzer Kraft. Er hat auch ein wunderbares schwarzes Abendkleid entworfen, das seine Freundin Anna in einer Schlussszene trägt."

Claudie Ossard ist eine sanft wirkende, vornehme Dame. Ihr würde man eher die Haute-Couture-Kundin abnehmen als eine der versiertesten Produzentinnen Frankreichs zu sein, die cineastische Schwergewichte wie Beineix, Jeunet, Kusturica und Ozon auf die Leinwand hebt. "Unsere Geschichte basiert auf dem Roman von Chris Greenhalgh und konzentriert sich auf etwa ein Jahr, als Strawinsky in Garches im Hause von Chanel wohnte. Es ist ein ganz besonderer Zeitpunkt ihres Lebens: Sie verliebt sich - und auch wenn die Beziehung keine Zukunft hat, wird die Freundschaft zu Strawinsky bis zu ihrem Tod halten." Das Filmfestival Cannes, das Ossards Qualitäten schätzt, hat um baldmöglichste Sichtung gebeten. Dass "Coco Chanel & Igor Stravinsky" in jedem Fall ein Spektakel wird, ist schon am Set hier im Theater zu spüren - die Opulenz der Ausstattung, die Liebe zum Detail, die Präzision des Regisseurs, der Respekt der Hauptdarstellerin, die freundschaftliche Atmosphäre zwischen Cast und Crew und die Heiterkeit der Statisten vor Augen. Letztere sitzen mittlerweile im Foyer, das mit Tischen und Bänken vollgestellt ist, essen zu Mittag und haben sich dazu weiße Schürzen umgebunden. Soll ja kein Malheur passieren.

Es ist kaum vorstellbar, dass bis zum späten Nachmittag alle Kameras, alle Kabel verschwunden sein sollen. Oder unsichtbar werden. Denn das Theater wird auch an diesem Abend wieder für eine ganz normale Vorstellung geöffnet sein. "Tango" kündigt das Plakat draußen an.

Vor der Tür, auf der Avenue Montaigne, wartet das 21. Jahrhundert. Es schneit nicht mehr. Spaziergänger flanieren vorbei und bleiben immer wieder vor den Schaufenstern der umliegenden Boutiquen stehen, bei Dior, Valentino, und natürlich auch vor der Nummer 42. Bei Chanel.

* Titel der französischen Originalfassung