So tief ist Heike Makatsch noch nie in eine Filmfigur eingetaucht. Sie nahm sogar Gesangsunterricht, um Hildegard Knef ganz nahe zu sein: “Man konnte in ihr Herz hören.“

Journal:

Frau Makatsch, ist von "Hilde" etwas an Ihnen hängengeblieben? Der Lidstrich - oder auch das Zigarettenrauchen?

Heike Makatsch:

Nein, das waren ja nur Kräuterzigaretten! Ich habe seit sieben, acht Jahren keine "echte" Zigarette mehr geraucht. Aber beim Drehen habe ich schon bemerkt, wie verführerisch das noch ist, eine Zigarette zwischen den Fingern zu halten. Das hat so viel Spaß gemacht, dass ich zwischen den Takes kaum mehr aufhören wollte. Gefährlich ...



Sie haben mit der Rolle der Hildegard Knef eine große Herausforderung angenommen. Gab es einen Moment, in dem Sie merkten, dass sie für Sie greifbar, menschlich fassbar, wurde? Wie wurden Sie zu Hilde?

Das war natürlich ein Prozess, der schon vor dem eigentlichen Dreh einsetzte. Noch kurz vor Drehstart habe ich zu meinem Schauspiellehrer gesagt: "Ich weiß gar nicht, ob das jetzt 'hildig' genug ist! Was ist, wenn die Leute sagen, so sah sie gar nicht aus, so hat sie sich nicht bewegt, so hat sie nicht gesprochen? Oder das ist zu dolle - oder es ist zu wenig?"



Sie hegten also bis zuletzt Zweifel?

Ja - was sicher normal ist. Ich habe monatelang so viel aufgesogen, dann will man sicher sein, dass das alles auch in mir seinen Platz gefunden hat: der Gesangsunterricht, das Hören der Musik und das Immer-wieder-Singen ihrer Lieder, das Lauschen auf ihr Timbre, das Nachsinnen, warum sie welches Wort wie phrasiert hat. Die Talkshowauftritte, die man imitiert, die man nachspielen kann. Das alles musste ich irgendwann auch zur Seite schieben und mir sagen: "Gut, irgendwo habe ich sie nun abgespeichert und muss mich nicht dauernd wieder fragen: wie ist sie denn jetzt wirklich? Schaff' ich das, so zu sein wie sie?" Man muss darauf vertrauen, dass die vielen Fakten auch eine Eigendynamik entwickeln.



Warum haben Sie einen Schauspiellehrer engagiert? Waren Ihre Zweifel so groß - oder wollten Sie sich selbst übertreffen?

Ja, das war für mich eine neue Situation. Ich brauchte jemanden, der von außen auf mich blickt und mir ein bisschen hilft, um einer Frau, die so eine starke Öffentlichkeit hatte, auch in dieser Öffentlichkeit gerecht zu werden. Das hätte ich jetzt auch mit meinem Freund oder meiner Mutter machen können und fragen können: "Guck mal, Mama, seh' ich aus wie Hilde?" Aber jemanden zu haben, der mich als Außenstehender berät, das hat mir Sicherheit gegeben.



Und welche Rolle hat Musik im Allgemeinen gespielt, als Sie sich die Persönlichkeit der Knef erschlossen haben?

Ich denke, dass Hildegard Knef durch die Musik als Künstlerin ihre Stimme gefunden hat. Das erzählen wir im Film, aber das hatte ich auch schon vorher für mich entdeckt, dass ich aus ihrer Musik für mich unheimlich viel ziehen konnte. Ihre Texte sind ja sehr offen, poetisch, halten aber auch gar nicht hinterm Berg mit den vielen verschiedenen Seiten, die sie besaß. Ihre Interpretation, ihre Stimme - ich finde, man konnte immer in ihr Herz hören. Kaum dachte ich, sie sei stark und selbstbewusst, sehe ich sie plötzlich wieder ganz anlehnungsbedürftig und unsicher.


Tut sie nur so sicher?, fragt man sich dann. Was ist sie wirklich? Wer ist sie wirklich?


Und Ihre Antwort?

Das ist das Besondere, das Charakteristische an ihr: dass sie all das ist! - Es gab besondere Momente im Studio, wenn ich gesungen habe und wir uns das nachher noch mal angehört haben. Da habe ich an manchen Stellen gemerkt, dass da eine Art von Essenz getroffen wurde: Wenn ganz unterschiedliche Emotionen auf wenigen Worten lagen - erst Humor, dann bricht es in was Zärtliches, dann wird es ängstlich und schließlich tapfer - und all das innerhalb eines Satzes! Wenn ich merkte, dass diese Emotionen neben- oder kurz hintereinander liegen, hatte ich das Gefühl, dass ich Hildegard Knef irgendwie verstanden habe.



Es war grandios mutig, dass Sie sich an die Lieder gewagt haben. Eine Überraschung! Sicher war man darauf gefasst, dass Sie die Knef verkörpern, nicht aber, dass Sie sie auch stimmlich nachstellen. Stand es für Sie überhaupt zur Debatte, "nur" zu spielen und die Originalsongs beizubehalten?

Nein, nicht wirklich ...



Also ganz nach dem Motto: "Will alles, oder nichts"? Das wäre ja sehr "hildig", um Sie zu zitieren!

Aber das fand ich ja auch toll! Ich wusste, ich bekomme jetzt ein Jahr lang Gesangsunterricht, Katja Beer kam zu mir nach Hause, und dann haben wir uns ans Klavier gesetzt. Das war eine tolle Vorbereitung, die hätte ich auch unabhängig von dem Film immer schon mal gerne gemacht. Das hat mir auf jeden Fall so eine gewisse Stütze gegeben beim Gesang. Na ja, jedenfalls habe ich immer gewusst, dass es nicht anders geht, dass man es halt nicht spielen kann, wenn man nicht selber singt. Sonst wäre es gemogelt, das geht nicht.



Der berühmte Nacktskandal der "Sünderin" ist hinlänglich bekannt. Weniger aber die Tatsache, dass sie sich im Krieg als Mann verkleidet hat, um sich mit ihrem Geliebten Ewald von Demandowsky dem "Volkssturm" anzuschließen und gegen die Rote Armee, die nach Berlin vorgedrungen war, zu kämpfen. Später gibt es eine Szene, wo sie mit Erich Pommer im Cabrio sitzt und es völlig selbstverständlich ist, dass sie am Steuer sitzt. Wie emanzipiert war die Knef?

Sie war sicherlich jemand, der es als ganz selbstverständlich genommen hat, Frau zu sein - und deswegen hätte sie in keinster Weise irgendetwas nicht getan, nur weil sie eine Frau ist. Sie war sehr emanzipiert, glaube ich, ohne diesen theoretischen emanzipatorischen Überbau zu haben. Sie hatte keine politische Botschaft, keinen programmatischen Wunsch, die Frauen von der Männergeißel zu befreien. Das sicherlich nicht. Aber sie hat es als ganz selbstverständlich gesehen, dass ihr alles zusteht!



Wen sehen Sie, wenn Sie "Hilde" auf der Leinwand sehen? Hilde oder Heike?

(denkt länger nach) Hmh, je distanzierter ich mich sehe, je mehr ich der Geschichte auf der Leinwand folgen kann, desto besser. Wenn ich da so von "ihr" spreche, "die Frau da auf der Leinwand, sie!" oder so, dann merke ich, dass ich da schon so eine andere sehe, nicht mich.



Wurden Sie die Gesten, den Sprachduktus der Knef nach der intensiven Zeit schnell wieder los?

Nein, gar nicht. Ich habe das Gefühl, sie hat die Silben irgendwie ganz anders ausgesprochen, und ich glaube, dass das so ein bisschen geblieben ist.



Gab es keine Schelte daheim? "Heike, Du redest schon wieder wie Hilde!"?

Doch, doch. Zu Recht! Das will man ja zu Hause nicht unbedingt haben. Aber wahrscheinlich nimmt man aus allen Rollen immer etwas mit.



Gab es einen Moment, wo Sie gemerkt haben: Ich hab's - ich bin zufrieden mit meiner eigenen Metamorphose. Jetzt entspreche ich auch meinen eigenen Anforderungen"?

Etwa in der Mitte des Drehs fing es an, dass ich morgens das Kleid anzog und sich alles ganz von selbst einstellte. Dass ich dann gar nicht mehr nachdachte. Dann weißt du immer noch nicht, ob das Publikum dich akzeptieren wird. Wenn ich mir jetzt im Film die Schlussszene in der Philharmonie anschaue, in dieser Philharmonie, wo sie ja auch wirklich stand - das liegt sicher auch an diesem ikonenhaften Setting, es gibt ja auch Aufnahmen davon, von diesem Kleid, den Haaren, den Wimpern ... da verschwinde ich ja dahinter fast. Das hat mich schon auch erstaunt.



Die berühmte Magie.

Ich habe jedenfalls tief eingeatmet und gedacht: Was haben die da alle geschafft, dass da so ein Ebenbild geschaffen wurde: die Maskenbildner, die Kostümbildner, die Setdesigner, der Kameramann und der Schnitt!



Und Sie?

Und ich natürlich irgendwo auch.



Welches Bild hatten Sie vor diesem Dreh von Hildegard Knef?

Ich dachte immer, Hildegard Knef ist eine alte Dame, irgendwann war sie mal jung, und da hat sie mal Schlager gesungen. Und nachdem ich mich dann lange mit ihren Liedern befasst habe, sehe ich die Lieder als wirklich poetische Werke an, die von ihr unerreicht interpretiert wurden. Ich wüsste keine vergleichbare Künstlerin, die deutsche Chansons so eigenwillig, so intuitiv gefühlt, so richtig und wahrhaftig singt.



Sie hatten zusammen mit Ihrer Freundin Judy Tossell die Idee für diesen Film ...

Ja, das ergab sich ganz zufällig beim Sushi-Essen. "Ah, da gab es doch mal ..." Nein, nicht so schlimm. Aber doch ziemlich unausgegoren.



Warum ließ Sie diese Idee dann nicht mehr los?

Weil Knef eine deutsche Künstlerin ist, die als Persönlichkeit so eng mit Deutschland verknüpft ist. Ich hatte das Gefühl, dass ein Film auch über ihre Karrieregeschichte hinaus relevant ist. Er erzählt Stationen von Deutschland im Krieg und nach dem Krieg. Das war mir sofort klar, der Rest war eher schwammig. Aber an das Sushi erinnere ich mich noch. Und an das Leuchten in Judys Augen: "Ja, ich kümmer' mich mal um die Rechte, ob man da was machen kann."



Eigentlich haben Sie gleich zwei große Projekte realisiert: Hilde - und Mieke. Wie viel Zeit haben Sie sich für Ihre Babypause genommen?

Anderthalb Jahre habe ich gar nicht gearbeitet, dann hab ich irgendwie gedacht, jetzt langsam ... Aber ich hatte kaum Lust zu arbeiten, die Vorstellung, dass unser gemütlicher Tagesablauf so abrupt verändert würde, gefiel mir gar nicht! Doch dann hat das wahnsinnig gut funktioniert, weil wir ein ganz, ganz tolles Kindermädchen hatten, die auch unsere Nachbarin ist. Die beiden waren dann auch am Dreh immer dabei.



Wie war die Erfahrung am Set? Waren Sie hin- und hergerissen in Ihrer Doppelrolle als Mutter und Hauptdarstellerin?

Wir haben ja im Sommer gedreht. Da sind Filmsets ja ein bisschen so wie Gauklerkarawanen, voller Schaustellerfamilien. Kinder haben dort viel Spaß und bekommen viel Beachtung. Es ist gut, dass ich wieder gearbeitet habe, es war eine großartige Erfahrung.



Färbt vom Diva-Dasein am Filmset auch etwas auf Sie ab? Kam bei Ihnen eine Lust an Hildes Glamour auf?

Schon! Ich muss zugeben, dass man nach diesen wunderbaren Filmklamotten und dem Herausgeputze mit falschen Wimpern und toupiertem Haar schon auf den Geschmack kommt! Ich hatte gar keine Lust mehr auf meine sonst so geliebten Jeans. Und plötzlich dürstete es mich auch zu Hause nach Champagner, nach Korken knallen lassen, nach schickem Ausgehen statt nach Stubenhockerei. Mein Freund Max hat mich in solchen Momenten dann ziemlich verwundert angeguckt. Da war wohl doch noch ein gehöriger Schuss Hilde in mir!



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Weitere Neuerscheinungen: Petra Roek: "Fragt nicht warum - die Biografie". Edel Edition; 336 Seiten, 24,95 Euro. Hörbuch "Der geschenkte Gaul", gelesen von Heike Makatsch. Edel Edition, 4 CDs.