Vertrauen, sagt die Wissenschaft, ist die Grundlage des menschlichen Zusammenlebens. Ein Hamburger Chefarzt erklärt, wie Beziehungen funktionieren, wie man verlorenes Vertrauen zurückgewinnt und warum die Finanzkrise Vertrauen zerstört.

Gleich in sieben Texten der aktuellen Ausgabe des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" taucht der Begriff "Vertrauen" auf. Google findet im Internet 9,5 Millionen Einträge unter diesem Stichwort. Vertrauen, sagt Dietrich Bonhoeffer, werde immer "eines der schönsten, größten und beglückendsten Geschenke menschlichen Zusammenlebens bleiben". Aus wissenschaftlicher Sicht bietet Vertrauen als Grundlage zwischenmenschlicher Beziehungen die emotionale Sicherheit, einem anderen Menschen nahezukommen. Bis zur Hingabe.

Professor Michael Sadre Chirazi-Stark, Chefarzt der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie im Asklepios Westklinikum Hamburg in Rissen, sagt: "Vertrauen ist etwas zutiefst Menschliches. Wir können uns in einen anderen hineindenken und Gefahrensituationen durch Vorausplanung begreifen. Tiere können im Unterschied zu uns nur eine Gefahr sehen, die sich direkt vor ihren Augen abspielt. Wir Menschen sind in der Lage, aus dem Gedächtnis und der Erfahrung heraus, aber auch aus der Sozialisation durch Erziehung und Eltern ein Vertrauen aufzubauen." Das sogenannte Urvertrauen wird dabei durch den Kontakt mit den Eltern, besonders mit der Mutter, erlernt. Das Kind liefert sich vorbehaltlos aus. Erst als Erwachsener kann man, wie zum Beispiel der Dompteur im Zirkus, der Passagier im Flugzeug oder der Patient beim Arzt, kontrolliertes Vertrauen aufbauen. Vorbilder wie ein Familienoberhaupt, ein erfolgreicher Sportler, Entertainer oder Unternehmer und sogar die Bundeskanzlerin strahlen Vertrauen aus und nehmen Ängste.

Vertrauen ist die Basis jeder Partnerschaft. "In einer Beziehung wird das Vertrauen erst einmal verschenkt", sagt Stark weiter. "Das ist eine emotionale Befindlichkeit." Im Umkehrschluss können Enttäuschungen schnell zum Misstrauen führen: "Die Kränkung des Vertrauens, schon wenn kleine Kinder nicht versorgt oder gefüttert werden oder sogar verlassen werden, führt zu einem Rückzug oder einer extremen Verunsicherung. Sogar die Wahrscheinlichkeit, Angststörungen zu entwickeln, nimmt in solchen Fällen zu. Wenn Vertrauen einmal erschüttert worden ist, unterliegt es dem Verstand und der eigenen Kontrolle, wie es weitergeht und ob es neu installiert werden kann."

Die Finanzkrise hat das Vertrauen in die Geldinstitute beschädigt. Wer sein Erspartes anlegen möchte, überlegt noch mehr als zuvor, ob er es nicht lieber im Sparstrumpf lässt. "Ängste entstehen entweder durch selbst erlebte oder durch beobachtete Erfahrungen", sagt der Psychotherapeut. "Wir haben es vielleicht nicht selber erlebt, weil wir kein Geld verloren haben. Aber wir hören es jetzt über die Medien. Generell können diese Berichte Ängste oder Vertrauensverluste schüren. Man verliert das Vertrauen, Kinder auf der Straße spazieren zu lassen, wenn man weiß, wie viel Entführungen oder Kindesmisshandlungen es gibt. Oder man hört die ganzen Terrorgeschichten, die das Vertrauen in die Integrität unseres Alltages zerstören."

Und was ist mit dem "Gottvertrauen"? Psychologen haben nachgewiesen, dass der Glaube tatsächlich Vertrauen steigern kann. Auch Stark ist überzeugt: "Studien zeigen, dass Menschen, die gläubig sind, schneller aus einer Depression herauskommen, dass sie abgefederter sind gegen plötzliche Stimmungsschwankungen, die in der Gesellschaft hochgespült werden."

Nur eines ist seit Jahrhunderten klar: "Vertrauen", sagte Otto von Bismarck, "ist eine zarte Pflanze. Ist es zerstört, kommt es so schnell nicht wieder."