Die Finanzkrise ist eigentlich eine Vertrauenskrise und hat moralische Ursachen, sagt der Unternehmer Max Schön, Präsident der Deutschen Gesellschaft Club of Rome. Sein Lösungsvorschlag sind Investitionen in die Zukunft. In Umwelt, Energie und Bildung. Sein Rat an Bankangestellte: Opposition wagen!

Max Schön (47), ist erst 24 Jahre alt, als er nach dem Tod seines Vaters die Geschäfte des Familienbetriebs Max Schön GmbH in Lübeck übernimmt, einem Stahl-Großhandel. Kurz danach wird er Vorsitzender des Bundesverbandes Junger Unternehmer (BJU) und bringt ein für damalige Verhältnisse geradezu revolutionäres Projekt an den Start: eine Kooperation für Nachhaltigkeit zwischen dem BJU und der Umweltorganisation BUND. Heute, mehr als 20 Jahre später, arbeitet der Lübecker Unternehmer etwa 30 Wochenstunden für seine Firma - und investiert genauso viel Zeit in die gemeinnützige Arbeit bei der Deutschen Gesellschaft Club of Rome in Hamburg. Viel braucht er dazu wohl nicht: Die Räume an der Ferdinandstraße sind schlicht gehalten und mit einfachen Möbeln ausgestattet. Max Schön hat seinen Laptop mitgebracht. Dokumente lese er meistens direkt am Schirm, sagt er, und drucke sie selten aus, um Papier zu sparen. "Save paper - think before you print" (auf Deutsch: Sparen Sie Papier - denken Sie nach, bevor Sie drucken), fordert Schön in der Signatur seiner E-Mails auf. Zwei Mitarbeiter, die gerade ihr Studium beendet haben, unterstützen ihn, "nicht um reich zu werden, sondern aus Überzeugung, um der Gesellschaft etwas zurückzugeben". So wie er.


Journal:

Herr Schön, Daniel Craig, der Darsteller von James Bond, hat in einem Interview kürzlich Folgendes zur Finanzkrise gesagt: "Business ist im Grunde etwas, wo es immer nur darum geht, andere zu verarschen und niederzumachen." Hat er recht?

Max Schön:

Das ist grober Unfug! Natürlich gibt es Menschen, die ihre Geschäfte so führen, aber das sind auch die, die schlechte Nachbarn oder schlechte Freunde sind. In einer funktionierenden Marktwirtschaft kann nur der Betrieb erfolgreich sein, der beim Kunden gut ankommt. Wenn der Kunde aber mit dem Produkt oder der Bank nicht zufrieden ist, dann war es das. Und der, der sein Geschäft besser führt, wird Erfolg haben. Die Kaufentscheidungen der Kunden sind millionenfache Abstimmungen über das Angebot. Wenn die Regeln eines Marktes jedoch nicht funktionieren oder Anarchie herrscht, kommt es zur Krise.



Ist die derzeitige Krise durch Anarchie auf den Märkten entstanden?

Bei nationalen Finanzgeschäften meistens nicht, da die meisten Finanzangebote von Versicherungen und Banken auf ihre Leistungen hin geprüft oder geregelt werden. Bei internationalen Finanzbewegungen aber auf jeden Fall! Jeder kann sich da scheinbar ein Produkt ausdenken und es verkaufen, ohne dass es kontrolliert wird. Doch trotz Finanzkrise bin ich überzeugt davon, dass es nur eine Minderheit ist, die dermaßen unredlich agiert.



Es sieht aber gerade nicht danach aus, als handele es sich um eine Minderheit ...

So ist es aber. Jeder fühlt sich im alltäglichen Leben gelegentlich einmal übers Ohr gehauen - vom Handwerker, vom Automechaniker oder von seinem Stromanbieter. Aber wenn man bedenkt, wie viele Vereinbarungen wir alle tagtäglich treffen, so ist doch die Anzahl derer, die unsauber arbeiten, verschwindend gering. Im Prinzip funktioniert das System von Angebot und Nachfrage, von Vereinbarungen, die auf Gegenseitigkeit beruhen, sehr gut. Wir verdanken ihm unseren heutigen Wohlstand! Doch gerade wenn Finanzhäuser Probleme haben, hat dies dramatische Auswirkungen: Zwar sind die Finanzinstitute ein kleiner Teil der Marktwirtschaft, aber der Geldfluss ist ein so zentrales Element im Gesamtsystem, dass er dessen Funktionieren erheblich stören kann - und damit die Realgeschäfte wie den Auto- oder den Hauskauf. In den letzten Jahren ist außerdem ein schwerwiegendes Problem hinzugekommen: die raffgierige Politik. Die ersten Banken, die gekippt sind, waren Staatsbanken. Das waren einige Landesbanken, die KfW oder die IKB. Die Beamten und Politiker dort haben leider nicht mehr genau hingeschaut, was für Produkte zum Verkauf abgesegnet wurden. Hauptsache, man konnte Wachstum vermelden. Ob der Sparer verstehen konnte, was er da kauft, hat lange niemanden mehr interessiert.



Ist das die wahre Ursache der Finanzkrise - dass sowohl Banker und Manager als auch Kunden vielversprechende Produkte gekauft haben, die sie gar nicht verstanden haben?

Ja, das sehe ich so. Und die Finanzkrise ist im Kern eine Vertrauenskrise, sie hat moralische Ursachen. Wir alle haben den Hals nicht voll genug bekommen. Wir alle wollten immer mehr. Es gibt Banken, die Eigenkapitalrenditen von über 20 Prozent meldeten. Auch die Lenker der Landesbanken wollten die lukrativen Geschäfte mit Zertifikaten oder Grundstücksgeschäften machen und ebenfalls hohe Kapitalrenditen kassieren und engagierten sich in Geschäften, für die die öffentlichen Banken eigentlich nicht vorgesehen waren. Nur wenige Banken haben sich davon ferngehalten. In den USA war das beispielsweise JP Morgan, bei uns die Nord/LB. Dort haben Vorstände gesagt: "Ich verstehe diese Geschäfte nicht, das Risiko für meine Firma, meine Mitarbeiter und Kunden ist nicht kalkulierbar, also mache ich es nicht." Das ist für mich die Mentalität des ehrbaren Kaufmannes. Aber neben den Politikern und Bankern wollten die Kunden auch immer mehr.



Das System krankt also an der Wurzel.

Man kann es wirklich mit einer Krankheit vergleichen. Und wir kranken nicht daran, weil wir schlecht sind, sondern weil wir alle anfällig sind. Wir waren moralisch nicht immun, konnten die Finger nicht von bestimmten Geschäften lassen. Auch in den Gesellschaften, in denen ich unternehmerisch engagiert bin, haben wir Fehler gemacht, indem wir beispielsweise die Tantieme von Führungsmannschaften an Ein-Jahres-Zielen festgemacht haben, dachten, dass das Wachstum noch immer weitergehen würde und haben entsprechend kalkuliert. Auch die gesetzliche Pflicht zu Quartalsberichten führt zu kurzfristigen Entscheidungen, weil man als Unternehmen in Drei-Monats-Zyklen denkt. Eine schlechte Mitteilung - und die Aktien gehen runter.



Aber das ist ja nicht neu und hat auch nicht die Krise ausgelöst.

Das stimmt, aber es hat dazu beigetragen. Wirklich neu ist, dass wir uns aufgrund der Globalisierung das erste Mal in einem Weltkonjunkturzyklus befinden. Geld geht schnell um die Welt, Information ebenfalls. Erst kommt die Information, dann folgt das Geld. Bankgeschäfte haben in der "alten Geschäftswelt" anders funktioniert.



Und zwar?

Früher war es ein Vertrauensgeschäft. Geld wurde mit der Prämisse anvertraut, dass es sicher verwahrt wird und wieder zurückgegeben werden kann. Das war das Allerwichtigste. Heute steht die Jagd der Kunden und ihrer Banker nach der maximalen Rendite im Mittelpunkt. Doch das geht zulasten der Risikovermeidung. Das Verhältnis zwischen dem grundsätzlichen Nutzen eines Geschäfts und ganz kurzfristigen Renditemaximierungszielen ist durcheinandergeraten. Wir finden diese Art von Geschäften nun überall. Zum Beispiel auch bei den früher so konservativen Versicherungen: Die Menschen versichern sich gegen Alltagsrisiken, die sie gar nicht versichern müssten und geben unnötiges Geld dafür aus. Ein Beispiel: Man kauft einen Billigflug für 30 Euro und soll ihn dann auch noch für zwölf versichern. Das steht doch in keinem Verhältnis!



Was können wir aus der jetzigen Situation für die Zukunft lernen?

Bei der Vermögenanlage nicht alles auf eine Karte setzen! Man sollte sein Vermögen streuen, in Schmuck, in Möbelklassiker und in Kunstwerke anlegen, einen Teil in Wertpapiere, Aktien und Sparbriefe. So kann man bei einer Krise sichergehen, dass nicht alles verloren ist. Finanzberater müssen lernen, die Situation des Kunden ganzheitlich zu berücksichtigen und nicht allein auf die eigene Provision zu sehen, die sie beim Verkauf eines Zertifikats einfahren. Was kann sich ein Rentner wirklich leisten? Was für ein Produkt macht Sinn? Und wenn mein Arbeitsgeber auf den bedingungslosen Verkauf von unsinnigen Zertifikaten drängt, muss der Bankberater sagen: Ich mache das nicht.



Aber damit riskiert er doch seinen Job?

Man muss protestieren! Es kann doch nicht sein, dass alle Bankangestellten in unserem Land Opfer sind, die sich nicht gegen ihre Chefs wehren konnten. Wenn ich mit den Ersparnissen eines Privatmenschen hantiere, dann ist das mehr, als ihm nur ein Finanzprodukt anzudrehen. Zugegeben: Es ist schwer, in so einer Umgebung Opposition zu machen. Aber das muss unsere Gesellschaft lernen und leisten können.



Dafür braucht man aber Vorbilder - gibt es die?

Da gibt es gegenwärtig schlicht zu wenige. Zumal diejenigen, die den Schaden jetzt beseitigen, ihn teilweise mit verursacht haben, und nur die allerwenigsten von ihnen gestehen dies ein. Aber genau das wäre ein guter Anfang, wenn man ein Vorbild sein möchte. Und: Als Bürger haben wir ja die Wahl, die Politiker zu wählen, die wir für am glaubwürdigsten halten. Aber es ist natürlich sehr unpopulär, die Wahrheit zu sagen - dass wir nämlich mit der Krise eine Herkules-Aufgabe vor uns haben und sie nicht so schnell lösen werden.



Wie kann diese Aufgabe bewältigt werden?

Zunächst, indem wir anfangen, in der Politik langfristig und nachhaltig zu denken. Als Erstes in der Klimapolitik. Viel zu lange wurden Entscheidungen in puncto CO2-Ausstoß auf die lange Bank geschoben, während der Klimawandel weiter voranschreitet. In den Firmen müssen wir dafür sorgen, dass Aufsichtsräte viel stärker von den Vorständen und Kreditgebern abgekoppelt sind und sich die Interessen nicht vermischen. Die Aufsichtsräte müssen unabhängig den Vorstand beaufsichtigen und wissen, dass sie einen Ruf zu verlieren haben und auch haften müssen. Banken sollten sich nicht in Aufsichtsräte von Unternehmen mischen, wenn sie gleichzeitig deren Kreditgeber sind. Denn auf diese Weise würden sie immer Entscheidungen treffen, die in erster Linie ihren Kredit retten. Die Interessen des Unternehmens, seiner Mitarbeiter und Kunden verlangen jedoch häufig etwas anderes! Auch sollte der Staat sich nicht in Firmen einkaufen, sondern nur die Regeln aufstellen und knallhart dafür sorgen, dass sie eingehalten werden. Damit hat er schon genug zu tun.



Sollte sich der Staat dann auch nicht in die Begrenzung von Managergehältern einmischen?

Die Haftungsregeln für Manager und Aufsichtsräte sollten streng sein. Dann werden die auch vorsichtiger agieren. Die Vergütungen sollten weiterhin die Unternehmenseigentümer festlegen.



Und das Konjunkturpaket?

Das kann nur eine Art Erste Hilfe sein. Das Gesetz des Marktes ist nun einmal: Kranke Unternehmen verschwinden und machen Platz für neue oder gesunde. Und das ist gut so. Die Rettungsprogramme kompensieren den Schaden ja eigentlich nur. Das Problem wird von uns allen mit den Konjunkturprogrammen bezahlt und die Zeche auf kommende Generationen verlagert. Das hat nichts mit langfristigem Denken oder Nachhaltigkeit zu tun! Kein Regierungsmitglied würde für mehrere Monatsgehälter Aktien von der Commerzbank kaufen. Aber mit gesellschaftlichen Milliarden kauft man gleich die halbe oder gar ganze Bank.



Was wäre denn jetzt eine nachhaltige und langfristige Option für die Politik?

Kurzfristig Investitionen - aber nicht irgendwelche, sondern solche, von denen auch noch die zukünftigen Generationen profitieren. Bildung, Energiesparen, CO2-Verminderung - wenn wir uns in diesen Bereichen verschulden, kommt der Nutzen der nächsten Generation zugute, und wir können das mit viel besserem Gewissen tun als kurzfristig den Konsum anzukurbeln, damit wir die Krise nicht so sehr spüren. Es reicht auch nicht, nur Gesetze zu verabschieden, denn Gesetze können naturgemäß nur Erfahrungen aus der Vergangenheit widerspiegeln, nicht aber die Gegebenheiten in der Zukunft im Voraus regeln. Die klügsten Köpfe der Welt müssen jetzt überlegen, wie die Weltwirtschaftsordnung nach der Krise aussehen muss. Vielleicht kann das in eine Art Weltvertrag münden, der in einigen Bereichen sicher eine radikale Veränderung bedeuten würde.



Warum sollten sich dann die Staaten der Welt an diesen Vertrag halten?

Sie werden es nur tun, wenn einige Politiker und Staaten vorangehen und die neuen Regeln auch vorleben. Deshalb ist es so wichtig, dass wir sehr früh in Grundwerte investieren: Vorbild zu sein heißt, Werte wie Zuverlässigkeit, Rücksichtnahme, ganzheitliches Denken, Toleranz und Ehrlichkeit zu leben. Das ist ein hoher Anspruch. Meiner Meinung nach muss mit der Vermittlung dieser Werte bereits in Kindergärten begonnen werden. Wenn Kinder dort und in ihren Familien früh lernen, dass man erst nachdenkt, bevor man handelt und das Wort halten muss, was man gibt, würden viele Dinge in Wirtschaft und Gesellschaft anders laufen. Besser.



www.clubofrome.de , www.desertec.org