Die wiedervereinteRepublik ist bald zwei Jahrzehnte alt. Eine ungewöhnliche Deutschlandreise zu Orten in Ost und West, die den gleichen Namen tragen.

Schöner als Koblenz (West) kann eine Stadt in Deutschland nicht liegen. Aber sie könnte sich schon etwas hübscher machen. Koblenz liegt sowohl am Rhein als auch an der Mosel, zwei der schönsten deutschen Flüsse. Ihr Zusammenfluss am "Deutschen Eck" ist täglich eine 24-stündige Vereinigung, ein ständiges Abenteuer. Schon die Römer hatten vor Koblenz ihre Zelte aufgeschlagen, für sie war es das "Germanische Eck". Im Zweiten Weltkrieg wurde die Stadt zu 75 Prozent zerstört. Deshalb müssen sich die Gäste die Bausünden aus den 50er- und 60er-Jahren mit den Rhein- und Mosel-Weinen schön trinken.

Im Örtchen Koblenz (Ost) in der Oberlausitzer Heide- und Teichlandschaft, zwischen Bautzen und Hoyerswerda, leben 400 Menschen - direkt am Knappensee im Kreis Kamenz. Einige Häuser sind seit Jahrzehnten nicht angerührt worden. Im Ferienpark Knappensee treffen sich Camper und FKK-Anhänger. Sie baden dort, wo bis 1930 das sorbische Dorf Buchwalde lag, ehe die Braunkohlegrube Werminghoff I entstand. Heute kann man in der Grube planschen.

Gerüchte darüber, was draußen vor sich ging, hatten wir schon von einigen Schließern gehört. Einer sagte zu mir: Mach dir keine Sorgen, du kannst bald raus. Die Mauer kippt, der Staat bricht zusammen." Was Dieter Kraske zu erzählen hat, klingt wie das Drehbuch zu einem Film - spannend und unglaublich zugleich. De heute 72 Jahre alte Zimmermann hat wahrhaftig ein "bewegt" zu nennendes Leben geführt.

Dieter Kraske, geboren in Görlitz, heiratete mit 18 und hatte mit 20 bereits zwei Kinder. "Wer so jung Vater wird und eine Familie zu versorgen hat, der hat nichts mehr zu träumen", sagt Dieter Kraske. Er erzählt im Vorgarten seines Wohnwagens, der den Knappensee wie immer von April bis Oktober zur zweiten Heimat macht. Kraske trägt Unterhemd, kurze Hosen. Die dürren Arme sind tätowiert, Kraske raucht Kette. Lebensgefährtin Ingrid Neumann sitzt neben ihm. Sie schweigt meistens. Auch Dieter Kraske taut nur langsam auf. Niemand würde beim ersten Eindruck darauf schließen können, welche Lebensgeschichte dieser unscheinbare Mann zu erzählen hat.

In den 50er-Jahren schaffte Kraske, was viele wollten. Er "machte rüber", in den Westen. Alles war gut. Bis sein Vater starb. Der Sohn kam zur Beerdigung zurück in den Osten. Noch auf dem Friedhof wurde er verhaftet. Elf lange Jahre im Bautzener Gefängnis folgten. "Ich hatte angeblich staatsgefährdende Hetze betrieben, Widerstand gegen die Staatsgewalt geleistet, illegale Verbindungen gehabt und den Faschismus verherrlicht", sagt Kraske. Die Gründe waren eine Farce, Hauptsache, der "Fahnenflüchtige" war weggesperrt. Dennoch: In Kraskes Stimme ist kein Zorn zu hören. Mehr als elf Jahre arbeitete er damals in der Gärtnerei des Gefängnisses. Dann kam der Tag des Mauerfalls. "1700 Mann saßen zur Zeit der Wende ein", sagt Kraske. Einige hörten im Radio, was draußen geschah, als die Mauer fiel. Dann verbreitete sich die Nachricht wie ein Lauffeuer. "Wir lagen uns im Gefängnishof in den Armen", erzählt Kraske und nimmt einen tiefen Zug aus seiner Zigarette.

Einen Tag vor Heiligabend verließ Kraske das Gefängnis. Was er draußen vorfand, war zwar ein wiedervereintes Deutschland, das Regime, das ihn ins Gefängnis gebracht hatte, gab es nicht mehr, doch Kraske war unsicher, ob von nun an alles besser werden würde.

Auch heute sieht Kraske die Einheit eher nüchtern. "Ehrlich gesagt: Auf eine gewisse Art hat sie nichts gebracht", sagt Kraske. "Sozial, arbeitsmäßig. In der DDR war wenigstens für alle Arbeit da. Aber die Reisefreiheit, die haben wir gewonnen." Seine erste Reise in Freiheit ging nach Tunesien. Nach Kanada wäre er gern gegangen, zum Arbeiten. "Aber wie hätte das gehen sollen?" Heute hat er keinen Traum mehr, nur einen Wunsch: "Dass ich noch ein bisschen lebe. Na, und dass ich bald mal im Lotto gewinne."

Informationen zum Buchprojekt "Spiegelungen" von Reto und Dieter Klar unter www.spiegelungen-dasbuch.de