Dierk Strothmann über fliegende Schutzmänner und schräge Vögel

"Wenn der Udl ums Eck kommt, nimmt der Ede Reißaus", so klampft die Hamburger Countryband Truck Stop. Im Vorspann der Fernsehdauerserie "Großstadtrevier" ist anderes zu hören: "Wenn der Schutzmann", denn der Vorabendknaller im Ersten wird eben nicht nur in Hamburg gesehen, und nur hier weiß man, was ein "Udl" ist - etwa nicht? Das Wort "Udl" ist zugegebenermaßen ein wenig aus der Mode gekommen. Heute nennt man die Freunde und Helfer in Uniform, die Tag und Nacht Streife gehen und unaufhörlich und beharrlich Gesetze hüten, Polizisten. Dabei steckt im Wort "Udl" eine Menge Geschichte, Hamburger Geschichte.

Es war am 27. September 1671, als der weise Rat unserer schönen Stadt beschloss, einen Trupp von 50 Männern zu beauftragen, nachts loszuziehen. Sie sollten brave Bürger vor Übergriffen von Spitzbuben schützen und überhaupt Alarm schlagen, wenn irgendetwas nicht ordnungsgemäß war. "Nachteulen" nannte man sie schon bald, und da das plattdeutsche Wort für "Eule" "Uhle" ist, wurde daraus "Udl".

Der Zeitpunkt dieser historischen Neuerung war alles andere als rein zufällig. Der Dreißigjährige Krieg war noch nicht einmal ein Vierteljahrhundert vorbei. Und da Hamburg im Gegensatz zu vielen anderen Gegenden Mitteleuropas das mörderische Gemetzel relativ glimpflich überstanden hatte, strömten Flüchtlinge, Glücksjäger, Entwurzelte und Arbeitslose in die Stadt. Innerhalb weniger Jahre nahm die Bevölkerung der seinerzeit zweitgrößten Stadt des Reiches (nach Wien) um 20 000 Einwohner zu. Damit war jeder Vierte ein Neubürger.

Viele Menschen waren verzweifelt, sehr viele krank, es wimmelte von Bettlern, die meist vergeblich vor allem vor Kirchen um Almosen baten. Seinen nicht unerheblichen Teil am allgemeinen Elend trug auch der hochweise Senat bei, denn man heuerte zwar Soldaten an, bezahlte sie aber nicht, was diese verständlicherweise übel nahmen und dazu führte, dass sie sich selbst bedienten.

Im Rat der Stadt, in dem wie zu allen Zeiten die Wohlhabenden und Satten saßen, wurde kaum etwas gegen diese furchtbaren Zustände getan, da beruhigte man sein ohnehin nur rudimentär vorhandenes soziales Gewissen mit dem Hinweis darauf, dass sich die meisten Bettler von den milden Gaben "nicht so sehr aus Not als aus Faulheit" ernährten. Der Historiker Eckart Klessmann schrieb: "Die Geschichte der Armen Hamburgs ist ein Buch des Grauens." So habe die Zahl der meist ledigen Mütter, die aus Verzweiflung und Furcht vor Armut und Schande ihre Säuglinge umbrachten, beängstigend zugenommen. "Allein im Juli 1660 wurden zwölf ermordete Neugeborene gefunden; die Anzahl der heimlich beseitigten dürfte ein Vielfaches betragen haben."

Klessmann erwähnt eine Ordnung aus dem Jahr 1622 für ein Hamburger Zuchthaus, in der geregelt wurde, wer dort landen sollte. Neben Armen, die "ihre Kost nicht verdienen können, weil sie keine Mittel noch Wege haben", seien es auch "viele starke, faule, freche, geile, gottlose, mutwillige und ungehorsame, versoffene Trunkenbolde und Bierbalge sowohl Frauen als Mannsperson, die in Untugend, Hurerei, Büberei und in allerlei Sünde und Schande erwachsen, dieselben gehören alle in dieses Haus".

Jetzt hatte man also endlich eine Truppe, die gezielt Jagd auf all die Menschen machen konnte, die das Wohlbehagen in irgendeiner Form störten. Und genau deshalb nimmt der Ede immer wieder Reißaus, wenn der Udl ums Eck kommt - seit 337 Jahren.