Dierk Strothmann über Schützenswertes und die Rollbahn Ost-West

Ja, wenn sie ein Fluss wäre oder ein Park, dann wäre unsere schöne Stadt noch um ein gutes Stück hübscher. Ist sie aber nicht, sondern eine stinkende Betonpiste, die Hamburgs Innenstadt von ihrem Herzen, dem Hafen, trennt - für viele Menschen ein Ärgernis: die Ost-West-Straße.

Sie hilft ganz wesentlich, den Verkehrsinfarkt zu vermeiden. Wobei Ost-West-Straße eigentlich nicht mehr ganz korrekt ist, denn seit dem 18. Dezember 2005 heißt ein Stück davon Willy-Brandt-Straße, ein anderes schon seit 1990 Ludwig-Erhard-Straße. Aber bei "Ost-West-Straße" weiß jeder Hamburger, was gemeint ist.

Lange bevor die Bauarbeiten für die "Stadtautobahn" am 23. September 1953 am Hopfenmarkt begannen, hatte es Pläne für eine "Tangentiale" gegeben. Schon 1911 werkelte der Architekt Wilhelm Fränkel an einer solchen Idee. Auch der große Fritz Schumacher soll in den 20er-Jahren intensiv darüber nachgedacht haben. Der Hamburger Architekt Konstanty Gutschow, der Hamburg zur "Führerstadt" ausbauen sollte, entwarf während des Krieges weitere Pläne für eine Straße quer durch die Stadt.

Ohne zynisch sein zu wollen: Nach den alliierten Luftangriffen 1943 boten sich völlig neue Möglichkeiten, die Steinwüste wegzuräumen und neu anzufangen - wie schon 1842 nach dem großen Brand. Mit dem Konservieren alter Gebäude hatte man an Elbe und Alster noch nie viel am Hut, wie unter anderem das Schicksal des Hamburger Doms beweist, der Anfang des 19. Jahrhunderts verschwand und für den nichts Neues entstand.

Der Architekt Werner Kallmorgen, der an der Neugestaltung Hamburgs in den 50er- und 60er-Jahren beteiligt war, sagte: "Das Alte war weggebombt und ließ das Neue allein. Und das Neue fror so vor sich hin und mochte sich nicht leiden, weil es sich nicht am Alten reiben und bestätigen konnte." Das heißt nicht, dass man sich keine Mühe gegeben hat. Es wurden durchaus Pläne gewälzt bis hin zur völligen Sperrung der Innenstadt für den Individualverkehr. Man dachte an viel Grün und an eine Art Boulevard wie beispielsweise den Kurfürstendamm in Berlin, eine Flaniermeile quer durch die Stadt, in der neben einer rollenden Blechlawine Fußgänger bummeln konnten. Aber man kam davon ab.

Wo sollten auch die Passanten herkommen? Die Zahl der in der Innenstadt wohnenden Menschen wurde kleiner, den Tourismus konnte man als Wirtschaftsfaktor nicht abschätzen. Also schuf man eine Art Rollbahn, die Fußgänger hin und wieder auf Brücken oder an Ampeln überqueren konnten, einen "Lebensraum", in dem sich ausschließlich Benzinkutschen wohlfühlen.

Daran hat sich bis heute nichts geändert, auch, wenn es gelungen ist, am "Ufer" der Ost-West-Straße den einen oder anderen architektonischen Glanzpunkt zu setzen. Aber wer achtet schon darauf?

Dabei gibt es durchaus ernst zu nehmende Wissenschaftler, die die Ost-West-Straße nicht als eine reine Verkehrstrasse sehen, sondern als "städtebauliches und städteräumliches Ensemble", als "Ergebnis der Baukultur des Wiederaufbaus und des Wirtschaftswunders", das man unter Denkmalschutz stellen sollte. Wer diese These einmal selbst überprüfen will, sollte allerdings immun gegen Autoabgase sein ...