Wie kein Zweiter verkörpert Entertainer Robert Kreis die “Goldenen Zwanziger“. Seine Berliner Wohnung hat er im Stil der Weimarer Zeit eingerichtet, und seine Bühnenshow ist ein Abbild der Musik der damaligen Jahre. Und er ist nicht der Einzige: Die Zwanziger sind gerade bei den Jungen wieder in.

Es leben die Zwanziger! Dass diese Zeit, in der in Deutschland scheinbar die Welt wieder oder noch in Ordnung war, sich zunehmender Beliebtheit erfreut, lässt sich in Berlin feststellen. Zum Beispiel an den Mottopartys wie der "Boheme Sauvage", bei denen 20- bis 35-Jährige die Weimarer Zeit mit der Kultur der 20er und frühen 30er für sich entdecken. Der Grüne Salon der Volksbühne in Tiergarten wird dann zur Zeitmaschine. Und sogar das KadeWe am Ku'damm nutzte die Nostalgiewelle jüngst mit einer großen 20er-Jahre-Party in seinem obersten Stockwerk.

Viel besser noch lassen sich die goldenen Zwanziger aber in Berlin-Tempelhof entdecken; in einer Wohnung lebt und sammelt dort nämlich Robert Kreis. Der Kabarettist, Pianist, der Unterhalter. Der Mann, der sein Faible zum Beruf und den Sound der Weimarer Zeit wieder salonfähig gemacht hat. Seine Wohnung ist ein Sammelsurium alter Plakate, Art Deko-Möbel und Jugendstillampen.

Dort trieft es vor Nostalgie. Sein Wohnzimmer schmücken Originaltapeten aus den 20er-Jahren. Einen Großteil seines Mobiliars hat Kreis von Trödelmärkten. Sich dort umzusehen liebt er. Das war schon so, als der Entertainer, von jeher der vornehme Conferencier, 1983 in Hamburg mit seinem ersten Soloprogramm debütiert hatte - ausgerechnet im dunklen Rockschuppen Logo. Tagsüber war er stundenlang durch Viertel wie die damals alles andere als angesagte Schanze gelaufen, um zu stöbern. "In Hamburger Trödelkreisen hatte ich schnell meinen Spitznamen weg: das Trüffelschwein", sagt Kreis schmunzelnd. "Ich habe Raritäten, aber keine Antiquitäten", stellt er klar.

Seine mehrere Tausend Scheiben umfassende Sammlung von Schellackplatten hat Kreis noch zu seiner Kölner Zeit an Studenten weitergegeben - nicht ohne sie vorher auf Band zu überspielen. Auch Autos aus den 30er-Jahren besitzt er nicht mehr. "Wenn, dann fahre ich ein altes Auto nicht, weil es wertvoll ist, sondern weil es Atmosphäre hat", sagt der Genießer. Nur seinen Volvo hat Kreis noch: "Der ist aber noch nicht alt - Baujahr 1959."

Jünger als der und seine Wohnungseinrichtung ist nur sein Publikum, "Leute von 14 bis 84", schätzt er. Und in Bonn hat Kreis sogar mal zwei schnieke gekleidete Achtjährige als Zielgruppe erreicht. Nach der Vorstellung zeigten die beiden Jungen gegenüber Kreis durchaus Taktgefühl: "Du bist nicht cool, aber du bist gut" ...

Auf der Bühne ist Kreis' Markenzeichen - neben dem aufgemalten Menjou-Bärtchen und der Pomade im Haar - das Couplet, diese komisch-satirische Liedform die dem im Ohr klingt, der an Max Raabe denkt, der an Ulrich Tukur denkt. Oder eben an Robert Kreis. "Alle anderen kamen nach mir, ich darf das sagen, ich bin ja auch der Älteste", meint der 59-Jährige, der zurzeit mit seinem neuen Programm im St.-Pauli-Theater auftritt.

"Highlights" lautet der Titel, den er für die Show zu seinem 25. Hamburger Bühnenjubiläum gewählt hat. Der legendäre "Lachfoxtrott" darf nicht fehlen, bei dem sich auch bei chronischen Miesepetern die Mundwinkel verziehen. "Jeder lacht auf seine Weise, einer laut, der andere leise. Ha-ha-ha, hi-hi-hi-hi-hi, ho - lacht der kleine, ho-ho-ho-ho-ha der dicke Mann", heißt es im 1929 komponierten Lied. "Als erste Zugabe muss das kommen", beschreibt Kreis. Er weiß, wie ein guter Entertainer das Publikum bei Laune hält. Und: "Der Lachfoxtrott sichert meine Miete inklusive Gas, Wasser und Licht ..."

Dass er dabei nur in der Vergangenheit schwelge, negiert Kreis: "Ich bin nicht Mister Nostalgie!"

Panik-Patron Udo Lindenberg hat den auf Java geborenen Niederländer immer mal wieder nuschelnd gefoppt: "Na du kleiner Holländer, immer noch Erfolg mit deinen alten Liedchen?" Das hat der Kabarettist weggesteckt wie die langjährige Missachtung einiger Medien. "Berlin hat lange seinen Glanz und Glamour verleugnet, aber man kann die Stadt nicht ohne ihre Vergangenheit sehen", meint Kreis.

Wohl auch deshalb sind in der Hauptstadt die "Golden Twenties" seit einigen Jahren wieder besonders angesagt. In der Berliner Szene hat sich sogar eine Art Subkultur entwickelt. "Die 20er-Jahre waren nicht besser, sie waren sogar verdammt gewalttätig", sagt Robert Kreis. "Aber was damals kulturell geboten wurde, das war schon extrem gut." Und die Erinnerung an die Weimarer Zeit, die zu 80 Prozent von jüdischen Künstlern geprägt wurde, müsse erhalten bleiben. "Nicht nur mit Denkmalen und Blumengestecken", sagt Kreis.

Warum das jetzt auch die Generation der Mittzwanziger entdeckt hat? Heute suchten die jungen Leute nach "etwas Ästhetischem", glaubt Kreis. "Und sie suchen nach Geborgenheit." Genug des Obszönitäten-Overkills also? Die Kontraste zwischen dem Lied "Das ist das Eigentliche bei der Frau" (1924) vom Kölner Kabarettisten Ernst Petermann oder Otto Reutter und seinem "Überzieher" von 1925 ("Seh ich weg von dem Fleck/Ist der Überzieher weg") zur Bremer Skandal-Rapperin Lady Bitch Ray (28) könnten größer nicht sein. Die Linguistin veröffentlichte 2006 auf ihrem Label "Vagina Style Records" den Track "Deutsche Schwänze" und stritt sich in diesem Sommer mit Bestseller-Autorin Charlotte Roche öffentlichkeitswirksam über die geistige Urheberschaft der "Feuchtgebiete".

Das alles ist natürlich unter dem Niveau eines Robert Kreis, der von sich selbst sagt, er sei "ein Ästhet". "Die Texte in den 20er-Jahren waren schlüpfrig und frivol, aber nie ordinär", weiß Kreis - und entdeckt bei seinen Überlegungen sogar im Kleinkunst-Hit noch etwas Neues: "Der Lachfoxtrott ist eigentlich früher Hip-Hop", sinniert er: "Viel Text zur Musik."


Robert Kreis: "Highlights" bis 22.10., 20 Uhr (So. 19 Uhr), St.-Pauli-Theater, Spielbudenplatz 29/30. Karten (15,15-31,98 Euro) unter der Abendblatt-Ticket-Hotline Tel. 30 30 98 98. www.st-pauli-theater.de