Haare im Gesicht waren doch immer ein Gräuel. Irgendwo zwischen Langzeitstudent, langhaarigem Steineschmeißer und Lehrer. Heute ist das völlig anders. Keanu trägt ihn, Brad trägt ihn, Nick und George natürlich auch: den Bart. Ein neuer Blick.

Es könnte Essen drin hängen bleiben. Beim Küssen kratzt er. Es kommt keine Sonne an die Gesichtshaut. Vielleicht jucken die Haare auch. Gut, die halbe arabische Welt trägt Bart. Was aber veranlasst junge westliche Männer heute, Bart zu tragen? Jeder dritte ist schon von dem Bart-Virus befallen. In Hollywood, in Paris, in Berlin, in Hamburg ...

Denke ich an Männer mit Bart. Denke ich automatisch an meinen Lateinlehrer. Herr S. trugt Schlaghosen, dabei hatten die 90er-Jahre längst begonnen, Strickpullunder, karierte Hemden - und einen Bart. Nicht irgendeinen. Nein, einen Vollbart. Und zu guter Letzt war dieser auch noch rot. Brrr ... Barbarossa, der Leibhaftige stand vor uns. Und er fand das auch noch gut.

Für die Mädchen der Klasse gab es damals nichts Unappetitlicheres. Ähnliche Fussel trug auch mein Mathelehrer Herr N. im Gesicht, und auch der Mathelehrer davor, und der Erdkundelehrer Herr H. War die Bart-Sache also lange Jahre Domäne von Pädagogen, Beamten und Förstern, wendet sich das Blatt jetzt völlig. Die schönsten Hollywood-Schauspieler tragen volle Haarpracht im Gesicht. George Clooney, Brad Pitt, Jake Gyllenhaal, Keanu Reeves, Ben Affleck und nicht etwa die gezierte Kevin-Kuranyi-Variante, sondern das volle Programm. Und jetzt auch noch das: Der Trend oder sagen wir besser der Bart hat die Straße erobert. Architekten, Medienleute, Kulturschaffende, Studenten, alle die, die irgendwie szenig, jung und up to date sind und sich von Berufs wegen nicht rasieren müssen, lassen es wachsen. Noch nicht so 70er-Jahre-lang wie John Lennon (Let it grow), aber alles bis zwei Zentimeter Länge scheint schon zum guten Ton zu gehören.

Mit einem lässigen Drei-Tage-Bart wie Don Johnson alias Sonny Crockett in "Miami Vice" oder in der Neuauflage Colin Farrell ihn hatten, ist es nicht getan. Die Herren wollen aussehen wie Lenin, Freud oder Frank Zappa.

Man möchte meinen die Flower-Power-Zeiten sind wieder da. Und damit die Revolutionären, die Intellektuellen, die Diskutierer, die Eigenwilligen. Unangepasst ist wieder schick. Die Zeit der ewig gleichen Lebensläufe scheint vorbei zu sein. Der Abenteurer, der will man sein. Der Bart ein Versprechen auf Wildheit und das Gegenteil von Langeweile.

Die Zeit der Metrosexuellen, der Komplett-Rasierten wie David Beckham ist offenbar vorüber. Und selbst der wurde schon mit so etwas wie einem Stoppelbart gesichtet.

Eine Kieler Psychologie-Studentin fand in ihrer Diplomarbeit heraus, dass Männer mit Bart sympathischer, gebildeter, ja sogar attraktiver auf andere wirken. Auf Nachfrage, warum Männer mit Bart einen Bart tragen, erhält man die schlichte Antwort: "Mit Bart sieht man einfach besser aus." Schließlich versteckt der Bart ein fliehendes Kinn, zu dicke Wangen und manche Pubertätsnarbe.

Und wie finden das die Frauen? Eine andere Studie soll ergeben haben, dass 90 Prozent der Frauen keinen wilden Haarwuchs im Gesicht mögen. Aber das, was im Moment getragen wird, ist nur die Andeutung von wild, ist getrimmt und gestutzt. Feintuning. Solange es die Männer selbstbewusster macht, sollen sie ihn doch tragen. Beim Barte des Propheten! Die Mode geht doch auch irgendwann wieder vorbei. Nur bitte eines: Lasst den Schnauzer in den 80ern!