Im August beginnt für viele Jugendliche die Ausbildungszeit. Lehrlinge wagen den ersten Schritt in den neuen Job. Bis dahin testet Abendblatt-Redakteurin Anne Dewitz die beliebtesten Ausbildungsberufe - und solche, die viele Stellen frei haben. Heute: Vor allem Frauen entscheiden sich oft dafür. Reich werden in diesem Beruf allerdings die Wenigsten. Warum es sich trotzdem lohnt, Friseur zu werden.

Es sollte eine Gebrauchsanweisung dafür geben, wie man eine Schere zu halten hat. Denn das ist viel schwieriger als gedacht. Jedenfalls wenn es um Friseurscheren geht. Die Nachwuchsstylistin Manija Biebow zeigt es mir noch einmal. Mit Daumen und Ringfinger halten. Das Auge, wie sie die Schraube in der Mitte nennt, schaut mich an. So weit, so gut. Jetzt kommt der schwierige Teil. Beim Schneiden bewegt sich nur der Daumen nach unten und nach oben. Bei der 32-Jährigen, die hier im Friseursalon Willi Decker am Eppendorfer Baum eine Ausbildung macht, sieht es so einfach aus. Warum will mir das nicht gelingen? Sobald ich versuche, die Haarspitzen gerade abzuschneiden, geht der Ringfinger automatisch mit. Und es kommt schlimmer: Ich kann noch nicht einmal einen Kamm gerade halten - entsetzlich! Manija muss immer wieder korrigieren. Sobald ich schneiden will, verrutscht der Kamm. Jedenfalls wenn mir das Auge zusieht. Es will mir einfach nicht in den Kopf, wie jemand mit dieser Technik arbeiten kann.

Dabei bewegt sich der Kopf vor mir noch nicht einmal. An einen Kunden wollte mich nämlich niemand ranlassen. Ich probiere mich erst einmal an einem Medium aus. So heißen die Frisierköpfe, an denen Auszubildende üben können. Mittlerweile sind die Haare - Echthaar - fast schon wieder getrocknet. Ich nehme die Sprühflasche und feuchte das Haar noch einmal an. Möglichst gleichmäßig. Denn nasses Haar ist dehnbarer, also länger, als trockenes. Und der Schnitt soll ja möglichst exakt werden. Ich löse die Klemmen, um die nächsten Haarpartien, die geschnitten werden sollen, herunterzulassen. Vorher wurde der Schopf in A- und B-Achse unterteilt. Jeder Kopf hat mit Namen versehene Bereiche. So können sich Friseure untereinander schnell über Stylingideen, neue Ansätze und Aufgaben verständigen. A-Achse ist quasi der Mittelscheitel, der bis in den Nacken durchgezogen wird. Ausgehend von der A-Achse wird dann auf jeder Seite noch ein Scheitel gezogen, bis zu den Ohren. Zack, schon hat man eine B-Achse. Hutlinie, Hinterhauptbein, Profil- und Nackenbereich - das ist doch Geometrie.

Der Schnitt, an dem ich mich versuche, nennt sich kompakte Form und ist einer der vier Grundschnitte, die jeder Friseur aus dem Effeff können muss. Und angeblich der einfachste. Das kürzeste Haar befindet sich im Nacken, das längste am Oberkopf. Die Haare treffen sich alle auf einer Länge. Bei der einheitlich gestuften Form sind alle Haare gleich lang und im 90-Grad-Winkel der Kopfrundung angepasst. Die graduierte Form bedeutet gestufte Haare.

"Und das ist die ansteigend gestufte Form", sagt Willi Decker und zeigt auf die Abbildung in einem riesigen Ordner. "Jeder Haarschnitt besteht aus der Kombination dieser vier", sagt er und klappt seine "Bibel", in der auf Seite 31 sogar eine Anweisung für den richtigen Gebrauch von Scheren steht, zu. Nach 30 Jahren Berufserfahrung kennt er dieses Buch sowieso in- und auswendig. Der Mann, dessen "Passion" die Multicolour-Strähnentechnik ist, betreibt seit 13 Jahren seinen Salon in Eppendorf. An einer Wand hängen die Meisterbriefe seiner Angestellten und zahlreiche nationale und internationale Auszeichnungen, unter anderem der Ausbildungs-Oskar 1998 und 1999. Willi Decker bildet jedes Jahr aus: 51 Auszubildende in 13 Jahren. Die Nachwuchsstylisten - wie er seine Lehrlinge nennt - besuchen zumeist die Hochbegabten-Klasse der Handwerkskammer Hamburg. Doch auch diejenigen, die ihre Ausbildung längst abgeschlossen haben, bilden sich ständig weiter. Auf Messen, in Seminaren und bei Vorträgen informieren sie sich über Modetrends, raffinierte Handwerksgriffe und neueste Produkte und Werkzeuge. Jeden Donnerstag gibt es einen Intensivkurs im Salon. Willi Decker hat selbst gerade erst noch einmal viel Geld und Zeit in eine siebenwöchige Trainerausbildung investiert. "Wer aufhört, besser zu werden, ist nicht mehr gut genug", sagt er. Auf Reisen nach Paris, New York und London lässt er sich gern von Kollegen inspirieren.

Und so gehe auch ich zurück zu meinem geduldig wartenden Medium - hat die Dame eigentlich einen Namen? -, um die nächste Lektion von Manija zu lernen: Locken eindrehen.

Die zweifache Mutter, die vorher schon eine Ausbildung zur technischen Zeichnerin abgeschlossen hat, erklärt mir die vielen verschiedenen Arten von Wicklern. Klettwickler, Papilloten, Volumen- und Korkenzieher-Wickler - wer soll sich das nur merken? Doch verschiedene Arten von Dauerwellen verlangen nach spezifischen Wicklern, Wickelmustern und Abteilungsformen. Und auch der Haartyp der Kunden muss bedacht werden, besonders wenn das Haar in einzelne Richtungen besonders stark wächst. So was gibt es. Aber das ist schon höhere Mathematik.

Wir entscheiden uns für den Klassiker, der mit einer Nadel festgesteckt werden muss. Ich teile ein Rechteck am Oberkopf ab, das so breit ist wie die Wickler. Diesen Bereich unterteile ich weiter in einzelne Strähnen, die ich einzeln aufdrehe. So eine Fummelarbeit. Doch es glückt. Im dritten Anlauf. Schnell stecke ich den Wickler mit einer Nadel fest. Jedenfalls versuche ich das. Der rollt sich nämlich wieder ab.

Na, vielleicht liegt mein Talent ja im Shampoonieren. Haare waschen müsste doch machbar sein. Doch bevor ich loslege - diesmal am lebenden Objekt - erklärt mir Manija, wann welches Shampoo angebracht ist. Volumen für feines, Protein für gefärbtes, Jojoba für langes, festes Haar, Derma bei sehr empfindlicher Kopfhaut und Balance für die Herren. Der Kunde wird immer gefragt, ob er auch eine Kur dazu möchte. Auch hier gilt es, die richtige Wahl zu treffen: Keratin-Kur passt zu Protein-Shampoo.

"Haare bestehen aus Protein und Keratin", sagt Manija während wir zum Waschbecken hinübergehen. Die Kundin, die darauf wartet, mit einer Kopfmassage verwöhnt zu werden, hat wunderschönes dickes und langes Haar. Ein Fall für Jojoba. Allerdings hat sie auch Strähnen, was eher für Protein-Shampoo spricht. Von dem nimmt Manija auch einen Klecks in die Handfläche ihres Handschuhs. Mehr braucht sie von dem Konzentrat nicht. Ein bisschen Wasser dazu und schon schäumt es. Auch ich muss mir Handschuhe anziehen. So häufig, wie hier jeden Tag Haare gewaschen werden, würde die Haut schnell leiden und anfällig für Allergien werden. Und dann könnte man den Friseurberuf gleich an den Nagel hängen.

Die Wäsche wird gleich mit einer Kopfmassage verbunden, damit der Kunde richtig entspannen kann. Auch hier gibt es einiges zu beachten: Der Kunde muss immer mindestens eine Hand auf seinem Kopf spüren. Damit er das Gefühl hat, die ganze Zeit über "in guten Händen" zu sein. Ich arbeite mich vom Haaransatz an der Stirn weiter runter zu den Ohren. Zaghaft und etwas unbeholfen. Ich wasche schließlich nicht jeden Tag einer Fremden die Haare. Doch der Kundin scheint es angenehm zu sein. Sie gibt sich mit geschlossenen Augen der Massage hin. Jetzt noch den Nackenbereich. Fertig. Es kann ausgespült werden. Auch hier gilt, eine Hand befindet sich immer auf dem Kopf. Als Schutz vor dem Wasserstrahl. Gesicht und Ohren sollen möglichst trocken und das Make-up erhalten bleiben.

Letzteres könnte allerdings ohne Weiteres schnell wieder professionell rekonstruiert werden. Schließlich werden hier Nachwuchsstylisten auch zu Visagisten ausgebildet. So gibt es zur Gala- und Hochzeitsfrisur auch das passende Make-up. Das klassische Bild des Friseurs verschwindet immer mehr, Anforderungen sind vielfältig geworden. "Der Friseur wird immer mehr zum Schönheitsdienstleister", bestätigt Willi Decker. "Wir wollen dem Kunden keine Mode aufstülpen, sondern entwickeln gemeinsam eine Frisur, die zum Typ passt", sagt er. Deckers Credo: "Lebe deinen Stil." Wie er denn meinen einschätze, möchte ich wissen. Stufenlook beibehalten oder besser auf Bob umsteigen? Willi Decker weicht aus, indem er mein Auftreten und meinen Schreibstil lobt. "Witzig, spritzig, forsch, kontaktstark." Vielen Dank für die Blumen. Aber was ist mit meiner Frisur? Sie habe Potenzial, sagt er dann. War das charmant.


In der nächsten Folge: Anne Dewitz als Speiseeis-Herstellerin