Verrucht oder bieder. Sexy oder ausgeleiert. Ob aus Seide oder aus Baumwolle: Jeder trägt sie, jeden Tag. Ein Blick auf das intimste und damit interessanteste Kleidungsstück - die Unterhose.

Vor dem Date mit ihrem Chef, dem besonders gut aussehenden Hallodri Daniel Cleaver, muss sich Bridget Jones entscheiden: Zieht sie den großen fleischfarbenen Bauchwegschlüpfer an? Der macht nach außen eine gute Figur; sollte sich aber irgendeine Form von körperlichem Stelldichein ergeben, ist der Reiz dieses Ungetüms fragwürdig. Oder trägt sie den Hauch von Slip, schwarz, seidig und sexy? Aller Wahrscheinlichkeit nach passiert gerade dann etwas, wenn sie in zwickende, übergroße Nichts-für-die-Augen-Wäsche gehüllt ist. Jeder, der die Komödie "Bridget Jones - Schokolade zum Frühstück" mit Hugh Grant und Renee Zellweger gesehen hat, weiß, dass die XXL-Variante Cleaver nicht verborgen bleibt. Die falsche Wahl kann peinlich werden. Nicht umsonst spricht der Volksmund vom Liebestöter.

Dieses relativ kleine Stück Stoff, über welches man sich herrlich viele Gedanken machen kann, das Fantasien beflügelt wie kein zweites Kleidungsstück, über das aber kaum jemand spricht, hat eine lange Geschichte. Wenn ein um die Hüften geschlungenes Tuch schon als Unterhose bezeichnet werden kann, dann waren die alten Ägypter wohl die ersten, die so etwas wie Schlüpfer trugen. Die mittelalterliche Unterhose kommt allerdings der heutigen Vorstellung von Unterwäsche schon näher. Zu dieser Zeit trugen Männer Beinlinge, die an einer Bruche befestigt wurden, einer halblangen Hose aus Leinen, die man als Unterhose trug. Die Hosenbeine wurden eng um die Beine gewickelt und durch einen Gürtel oben gehalten.

Im 18. Jahrhundert trugen Angehörige der Fürstenhäuser wohl auch eine Art Unterhose. Darüber ist aber nicht viel bekannt. Das einfache Volk hüllte sich jedenfalls in ein leinenes Hemd, das Ober-, Unter-, Nachthemd und Unterhose zugleich war. Modische Unterschiede zwischen Mann und Frau wurden hier, bis auf den Unterrock, nicht gemacht. Auf Unterhosen mussten Frauen bis Anfang des 19. Jahrhunderts verzichten. Zwar gab es 1805 erste Beinkleider, weit geschnittene Hosen, die im Schritt offen waren. Doch erst nach 1840 wurden sie für Damen zum Muss. Untere Schichten gingen weiter ohne. Erst um 1870 kam die lange Männerunterhose auf.

Die Industrialisierung im 19. Jahrhundert brachte den sozialen und wirtschaftlichen Wandel. Das Bewusstsein für Hygiene und Gesundheit wuchs. Gustav Jäger, deutscher Mediziner, sprach sich damals für luftdurchlässige Stoffe aus. Seiner Ansicht nach war Wolle für menschliche Haut verträglicher als pflanzliche Fasern. Er erforschte Stoffwechselvorgänge auf ihre Abhängigkeit von Kleidung, auch von Unterwäsche. Mit seinem Buch "Normalbekleidung als Gesundheitsschutz" machte er die Idee 1880 in England bekannt. Die Firma Jäger hat bis heute ihren Sitz in London. In Deutschland allerdings wurde die wollene Unterwäsche nach dem Ersten Weltkrieg kaum noch nachgefragt.

Für Frauen wurde es zu Beginn des Ersten Weltkrieges allmählich selbstverständlich, Unterhosen zu tragen. Zum einen brauchten sie mehr Bewegungsfreiheit. Zum anderen wurden die Röcke kürzer. Die schmale Höschenform für Frauen, wie wir sie heute kennen, entstand 1928 und war zunächst für Kinder entworfen worden. Doch erst 1949 rückte der Slip in Wimbledon in den Blick der Öffentlichkeit. Die amerikanische Tennisspielerin Gussie Moran ließ unter ihrem kurzen Rock einen spitzenbesetzten Slip hervorblitzen und versetzte das Publikum in Aufruhr.

Männer trugen bis in die 20er-Jahre Trikotunterwäsche, die Kombination aus langer Unterhose und -hemd. In den 30ern wurde die Wäschewelt der Männer revolutioniert: Der amerikanische Hersteller Jockey erfindet die kurze Unterhose. Ihre Form war von den kurzen Badehosen der französischen Riviera inspiriert und hatte als Zusatz den "Y-Eingriff" in der Front - ein umgekehrtes Ypsilon um genau zu sein. Auch die Art der Präsentation im Jahr 1935 erregte Aufsehen. Der patentierte Slip wurde auf der weltweit ersten Unterwäscheschau in Chicago vorgestellt. Zwei Models liefen den Laufsteg entlang - bekleidet mit einem durchsichtigen Brautkleid und einem Smoking aus Zellophan. Darunter trug der Mann nur den Y-Front-Slip. Ein Skandal!

Bis heute gibt es weltweit 120 Lizenznehmer dieses Modells. Auch bemühten sich andere Hersteller, den Schnitt zu kopieren. Dass das Original sogar im schwerelosen Raum für den richtigen Halt sorgt, davon konnten sich Astronauten überzeugen, die in den 60ern mit den Unterhosen fürs Weltall ausgestattet wurden.

Auch Andy Warhol schwor auf den Klassiker. In seinem Buch "Die Philosophie des Andy Warhol von A bis B und zurück" beschreibt der amerikanische Künstler, wie er Unterhosen kauft: "Ich fand sofort die Sorte, die ich immer nehme, die klassische Kurzhose von Jockey. Im Dreierpack für fünf Dollar, also nicht zu inflationär. Ich las das Etikett auf dem durchsichtigen Plastikbeutel, um sicherzustellen, dass sie nichts von ihren Vorzügen verloren hätte - 'Exklusiver Schnitt garantiert beste Passform, wie der Mann sie braucht. Zusätzlicher Komfort durch Weichelastikbund und elastischen Beinabschluss. Kein Scheuern. Hitzebeständiges, langlebiges Gummi, einhundert Prozent supergekämmte Baumwolle. Hohe Absorption.' So weit, so gut, dachte ich."

Neben dem Slip mit Y-Front wurden Boxershorts zunehmend populär. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges machten US-Soldaten die Unterhosen, die aus der Sommeruniform der Infanteristen entstanden war, hierzulande bekannt.

Danach passierte eine Weile lang nichts auf dem Wäschemarkt, was die Gemüter erregt hätte. Erst in den rebellischen 60ern entstand der Bikinislip für den Mann: Weniger Stoff, und der Bund rutschte unter den Bauchnabel. In den 70ern wurde es noch wilder. Nichts war zu bunt oder zu stark gemustert. In den 80ern sorgten Schwulenbewegung und Körperkult für Mannigfaltigkeit. Ein Markenbewusstsein entstand, das auch vor Unterwäsche nicht Halt machte. Der griechische Designer Nikolaos Apostolopoulos entwarf knappe Slips mit hohem Beinausschnitt für Männer in einer bis dahin undenkbaren Farbe - Schwarz.

Auch Calvin Klein stellte die Welt der Männerunterhose auf den Kopf. Riesige Plakate zeigten perfekte Männerkörper in schlichten weißen Unterhosen mit breitem Bund, auf dem der Name des Designers zu lesen war. Die Kampagne machte aus bis dahin unbekannten Models wie Mark Wahlberg und Kate Moss international gefragte Stars. Doch was des einen Freud, ist des anderen Leid. Marci Klein, Calvins Tochter, soll einmal gesagt haben: "Immer, wenn ich kurz davor bin, mit einem Typen ins Bett zu gehen, muss ich den Namen meines Vaters auf seiner Unterhose sehen." Ein Schicksal, das man nicht teilen möchte.

Gerade bei weiblicher Unterwäsche spielt Erotik eine große Rolle. Verführerisch soll sie sein. Außerdem wärmend, praktisch, hygienisch und bequem. Doch all diese Eigenschaften lassen sich nicht in einem einzigen Slip vereinen. Jede Frau muss sich, so wie Bridget Jones, jeden Tag aufs Neue entscheiden: Baumwoll-Feinripp oder lieber Seide? G-String oder Panty? Keine einfache Aufgabe bei der Vielfalt.

Heute gibt es neben Basics in Schwarz und Weiß alle erdenklichen Formen, Farben und Materialien. Sie sollen Individualität und Funktionalität miteinander verbinden - und über Makel hinwegtäuschen. Der Kult um den perfekten Körper hat längst auch die Männerwelt erreicht. So bietet beispielsweise das kalifornische Label "Go Softwear" - je nach Defizit - vorn oder hinten gepolsterte Unterhosen an. Natürlich maschinentauglich.