Fotografin Gabriela Staebler hat die Gefühle von wilden Tieren der afrikanischen Savanne im Bild festgehalten. Dabei streitet die Wissenschaft, ob Tiere überhaupt zu Glück und Leid fähig sind. Ein Besuch bei Hagenbeck soll Klarheit verschaffen.

Menschenmengen im Eismeer-Revier in Hagenbecks Tierpark. Es ist Fütterungszeit. Show-Time für Tierpfleger Dirk Stutzki, der die Fütterung moderiert. Seine Seebären führen allerlei Kunststückchen auf, um mit Fisch belohnt zu werden. Stutzki bückt sich nach einem Fisch und bekommt mit der Flosse einen Klaps auf den Po. Die Zuschauer lachen über die freche Einlage. Irgendwie menschlich, diese Seebären.

Zum Abschied gibt es ein feuchtes Küsschen für den 38-Jährigen. "Das sind keine Gefühle, was die Tiere äußern, sondern antrainiertes Verhalten", sagt der Tierpfleger. Dass Tiere fühlen, das bezweifelt Stutzki gar nicht. "Natürlich fühlen sie Schmerz und Zuneigung, bilden Freundschaften und Feindschaften." Bevorzugt Stutzki einen Seebären, reagieren seine Artgenossen eifersüchtig. Doch Futterneid macht noch kein echtes Gefühl aus. Es sind Verhaltensweisen, Instinkte, die das Überleben und die Arterhaltung sichern. Genauso wie Liebe und Angst. Diese Theorie geht schon auf Charles Darwin zurück. Er war der erste, der Tieren ein Gefühlsleben zugestand. Heute unterscheidet die Wissenschaft zwischen Emotion und Gefühl. Demnach sind Emotionen nach außen gerichtete körperliche Signale, die von äußeren Reizen ausgelöst werden. Gefühle hingegen sind nach innen gerichtete, mentale Erfahrungen einer Emotion.

Empfindet die Pavianmutter, die ihr totes Baby noch einen Tag bei sich trägt, bevor sie es aus der Hand legt, also bewusst Trauer wie ein Mensch? Oder folgt sie nur einem Trieb? Stutzki hat dieses Verhalten während seiner 20 Jahre Berufserfahrung im Tierpark Hagenbeck schon beobachtet. Doch von Trauer würde er nicht sprechen: "Tiere tun, was der Körper ihnen sagt." Dass die alte Orang-Utan-Dame aber tagelang keinen Appetit hatte und sie ganz in sich gekehrt war, als ihre Tochter an einen anderen Zoo verkauft wurde, lässt Zweifel bei ihm aufkommen. "Auch erfahrene Pfleger projizieren manchmal menschliches Verhalten auf Tiere", sagt Stutzki.

Seine Kollegin Liane Klüber, die seit zwei Jahren die Aras pflegt, glaubt hingegen, dass die hochintelligenten Papageien lieben, hassen, trauern und eifersüchtig sein können. Aras sind bei der Partnersuche sehr wählerisch. Solange kein passender Lebensgefährte in Sicht ist, bleiben sie solo. Haben sie ihn dann gefunden, bleiben die Vögel meist ihr Leben lang zusammen. "Eine Zoobesucherin erzählte mir, dass ihr Graupapagei seit dem Tod ihres Mannes vor zwei Jahren wie ausgewechselt ist." Erst hörte er auf zu sprechen, dann wurde er hyperaktiv. Die Besitzerin wurde nicht mehr mit ihm fertig. "Der Vogel betrauert den Tod seines Partners, der in diesem Fall ein Mensch war." In einem anderen Fall zeigt ein Kakadu nach dem Tod eines Graupapageien, mit dem er sich die Voliere teilte, aggressives Verhalten. Auch wenn die beiden Vögel zu Lebzeiten oft gestritten haben, fehlt dem Kakadu sein verstorbener Mitbewohner.

Ähnliches konnte auch Dr. Ralf Wanker, Lektor am Biozentrum Grindel der Universität Hamburg an Augenring-Sperlingspapageien beobachten. Die monogamen Vögel gehen dauerhafte Beziehungen ein. Verstirbt der Partner, sitzen sie oft sehr lange abseits der Gruppe allein. "Ob man das als Trauer bezeichnen möchte, weiß ich nicht", sagt der Verhaltensbiologe. "Aber sie vermissen den Partner auf jeden Fall." So, wie das Vogelweibchen, das zwei Wochen nach seinem Partner rief, der auf die Quarantänestation musste. Da sie sich mit individuellen Lauten verständigen, also quasi beim Namen rufen, konnte Wanker feststellen, dass sie ihren Partner meinte. Das Papageienweibchen kapselte sich von der Gruppe ab. Als das Männchen nach zwei Wochen zurück durfte, schnäbelte und kraulte sich das Paar besonders intensiv. Wiedersehensfreude?

Dieses Verhalten beobachtet der 47-jährige Biologe, der sich auf die Forschungsgebiete Kommunikation und kognitive Fähigkeiten spezialisiert hat, auch nach einem Streit. Wenn sich die Vögel wegen Futter behacken, fliegen sie zunächst auseinander, um sich später mit besonders intensivem Schnäbeln, Gefiederkraulen und Kontaktsitzen zu versöhnen. Die Theorie der Biologen: Die Partnerschaft soll ein Leben lang halten. Es ist eine wertvolle Beziehung, die aufrecht gehalten und gegebenenfalls gekittet werden muss.

Die international anerkannte Naturfotografin Gabriela Staebler studiert seit Jahren Verhaltensweisen von Tieren in freier Wildbahn. Sie ist davon überzeugt, dass Tiere genau wie der Mensch, auch Glück und Freude, Zuneigung und Aggression, Angst und Leid empfinden. Die schönsten emotionalen Momente aus ihren jahrelangen Wildtierbeobachtungen in Süd- und Ostafrika hat die Bayerin in ihrem Bildband "Die Seele der Savanne. Was wilde Tiere fühlen" festgehalten.

"Ebenso wie wir Menschen, davon bin ich überzeugt, denken und fühlen auch unsere Mitlebewesen. Sie besitzen Intelligenz, Bewusstsein und somit eine Persönlichkeit - aber eben immer auf ihrer Entwicklungsebene, entsprechend ihrer Art und ihres Lebensraumes", schreibt Staebler in ihrem Buch.

Trotzdem sollte man nicht alle Gefühle, die der Mensch zeigt, auf Tiere übertragen. "Als Beispiel für Trauer im Tierreich, werden oft Elefanten genannt, die Tränen weinen", sagt Wanker. "Doch ein Gefühl muss sich beim Tier nicht so äußern wie bei uns." Mensch hin oder her - Spaß kann er auch bei seinen Augenring-Sperlingspapageien beobachten, wenn sie sich nach einem Regenguss kopfüber durch nasses Blätterwerk stürzen. "Das könnte der Gefiederreinigung dienen", sagt Wanker. "Aber dann könnten sie sich auch einfach in den Regen setzen, wie andere Vögel."

Einen Jux macht sich wohl auch der Elefant in Hagenbeck, als er laut schnaufend die gerade erst einverleibten Möhrenstücke wieder herauspustet und die Kinder vor seinem Gehege zum Kreischen bringt. Oder das Orang-Utan-Baby, das ausgelassen in einer Hängematte schaukelt und einem anderen Jungtier keck am Bein zieht.

Aber können Tiere auch Mitgefühl empfinden? Keith Jensen vom Leipziger Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie ging dieser Frage nach. In einem Experiment untersuchte er, ob Schimpansen zu Altruismus fähig sind. Mit einem Seil konnte eine Schimpansin einen von zwei Rolltischen zu sich heranziehen, auf denen je eine Banane lag. Egal, an welchem Tisch sie zog, sie bekam nur eine Banane, denn der andere Tisch rollte weg. Allerdings hätte die Affendame beim Alphamännchen, das im Käfig nebenan saß, punkten können, wenn sie sich für den rechten Tisch entschieden hätte. Denn dann hätte er auch eine Banane abbekommen. Der Äffin war das anscheinend egal.

Mit klassischen naturwissenschaftlichen Methoden lassen sich Gefühle kaum erfassen. Und berichten können uns die Tiere auch nicht. Viel besser eignen sich persönliche Beobachtungen. Wie die von Gabriele Staebler. Oder die im Zoo.

Am Affenfelsen ist wie immer der Teufel los. Mit roten Hintern jagen sich die Damen und Herren Paviane die besten Bissen ab. Eine Ecke lassen sie bei ihrem wilden Gerenne sorgsam aus. Dort sitzt eine Pavianmutter, die ihr Junges beim Stillen betrachtet und es fürsorglich im Arm hält. Na, wenn das keine Affenliebe ist.