Zauberkunststücke mussten sie nicht beherrschen, aber Dinge möglich machen, die sie sich früher nicht einmal hätten vorstellen können. Die Mitarbeiter des Carlsen-Verlags in Hamburg-Ottensen haben, learning by doing, in den vergangenen achteinhalb Jahren einen Bucherfolg gemeistert, der beispiellos in Deutschland ist. Von den ersten sechs ins Deutsche übersetzten Bänden der Harry-Potter-Reihe von Joanne K. Rowling wurden schon mehr als 25 Millionen Exemplare verkauft. Der Verkaufsstart des finalen Bandes "Harry Potter und die Heiligtümer des Todes", kurz HP7, an diesem Sonnabend setzt neue Rekordmarken. Allein die Startauflage beträgt unglaubliche drei Millionen Exemplare (bei HP5 und 6 waren es noch zwei). Der aktuelle Superlativ kann die Macher bei Carlsen nicht mehr schrecken, denn sie haben bewiesen, dass auch ganz gewöhnliche Muggel zu außergewöhnlichen Leistungen imstande sind. Als kleinen Querschnitt aus "Dumbledores Armee" stellen wir hier einige der Carlsen-Mitarbeiter vor, denen Millionenauflagen sowie von ihnen verursachte Papierknappheit und Druckereiengpässe noch vor einigen Jahren so fremd vorgekommen sein mögen wie Besenparkplätze, Schlussverräter oder Schnatzeljagden. Sie alle aber können sich an diesem Wochenende so entspannt zurücklehnen, als hätten sie gerade mit einem UTZ (Unheimlich toller Zauberer) die Schulzeit in Hogwarts beendet.

Ein großer Schluck Glück

Es würde nicht überraschen von Verlagsleiter Klaus Humann zu hören, dass er im Herbst 1996 einen kräftigen Schluck Felix felicis genommen hätte. Denn der Anfang der deutschen PotterErfolgsgeschichte liest sich, als sei er unter dem Einfluss des starken Glückstranks zustande gekommen, mit dem alles gelingt. Humann war noch bei S. Fischer beschäftigt, als ihm 1996 der Agent Christopher Little erzählte, er habe ausnahmsweise mal wieder ein Kinderbuch im Angebot. 1997 bekam Humann, inzwischen bei Carlsen, das Manuskript. Er war so begeistert, dass er im Rahmen des Möglichen um die Rechte mitbot. Carlsen erhielt den Zuschlag, obwohl der Verlag nicht das höchste Gebot abgegeben hatte. Ausschlaggebend war, dass er gleich die Rechte an drei Teilen erwerben wollte. Ein Vertrauensbeweis, den die Autorin und ihr Agent zu schätzen wussten. Humann selbst sah nur ein geringes Risiko: "Wer so viel Fantasie hat, dem geht auch bei den kommenden Bänden nicht die Puste aus." Dass kein Felix felicis im Spiel war, zeigt sich daran, dass Humann und Carlsen bis heute von lästigen Nebenwirkungen des Tranks - Schwindelgefühl, Leichtsinn und übersteigertes Selbstvertrauen - verschont geblieben sind.

Die Trouble-Shooterin

Dorothea Rechenberg ist die Potter-Beauftragte im Vertrieb. Und das heißt im Fall von Harry Potter eine Art Trouble-Shooter. Was sie gerade in Zeiten von Lieferengpässen bei einigen Kunden so beliebt gemacht haben dürfte wie Snape bei jungen Lesern. Denn als Verbindungsfrau zur Auslieferung muss sie dort weiterhelfen, wo die nicht weiter weiß - und umgekehrt. Das bedeutet intensiven Kontakt zu vielen Kunden, "in guten wie in schlechten Tagen", von der Buchhandlung, die drei Potter-Bände bestellt, bis hin zum Abnehmer von mehr als 100000 Büchern. Das heißt in der Praxis, aufkommender Panik beim Kunden entgegenzuwirken und dafür zu sorgen, dass Bücher bei Kunden ankommen.

Der Muggelberater

Dass er künftig mit einem Zauberbuch handeln würde, wusste Urban van Melis schon, als er im Mai 2006 als Vertriebsleiter zu Carlsen wechselte. Eine neue Erfahrung aber dürfte für ihn gewesen sein, welche Konsequenzen das Kaufverhalten der Muggel für seinen Job haben kann. "Das ist hier ein bisschen wie in der sozialistischen Planwirtschaft", erzählt er. Denn van Melis musste vor allem den Großkunden davon abraten, HP7 in "unvernünftigen Mengen" zu bestellen. Bei HP4, als die Potter-Manie begann, war der Verlag kaum mit dem Nachdrucken hinterhergekommen, bei HP5 war deswegen fast hysterisch bestellt worden, sodass manch Potter-Gebirge zeitweilig die Buchhandlungen blockierte, während anderswo der Nachschub stockte. "Bei Band 6 wurde alles professionell abgewickelt. Es wurde richtig eingekauft, und Carlsen konnte Lieferbarkeit und rasche Auslieferung garantieren." Bei HP7 wird's vermutlich ebenso gut laufen. Und danach wird sich schon bald, wenn Potter-Bände gewöhnliche Backlist-Bücher sind, auch der kapitalistische Alltag für die 21 Carlsen-Außendienstmitarbeiter wieder einstellen.

Das magische Auge

Für ihre Arbeit an der Potter-Saga könnte Ulrike Schuldes gut das magische Auge von "Mad-Eye" Moody gebrauchen, denn die Lektorin muss noch genauer als gewöhnlich hinsehen, wenn sie den von Klaus Fritz übersetzten Text prüft. Das liegt zum einen an den vielen Fans, die bereits das englische Original kennen und die schärfsten Übersetzungskritiker sind, zum anderen am komplexen Stoff: "Joanne K. Rowling ist eine fantastische Erzählerin, und es ist unglaublich, wie alles in den Büchern durchgeplant ist", sagt Schuldes. "Wir führen Listen, wo wir sogar die Adjektive, die einer Person zugeschrieben wurden, notieren. Denn das Ganze muss inhaltlich und sprachlich über sieben Bände konstant sein." Begeistert ist die Lektorin von der Übersetzungsarbeit: "Klaus Fritz hat genau den richtigen Ton getroffen."

Im Sinne Hagrids

Drei Millionen neue Potter-Bände, ohne dafür den Verbotenen Wald opfern zu müssen - Wildhüter Hagrid hätte seine Freude an Ursula Schefe. Die stellvertretende Herstellungsleiterin hat nicht nur Ressourcen und Arbeitskapazitäten für den Bestseller gesichert, sondern auch für eine möglichst umweltverträgliche Produktion gesorgt. Die 3000 Tonnen Papier der Erstauflage von HP7 haben einen Recyclinganteil von 30 Prozent. Und es sollte möglichst weißer Zellstoff verwendet werden und kein Abfall entstehen. Zudem wurde die Vorgabe erfüllt, nur wenige Druckereien einzusetzen, auch in Hinblick auf kurze Transportwege. Diesmal waren es vier in Deutschland. Kein Vergleich zu 2000, als der Verlag von der Bestellhysterie überrascht wurde und hektisch in diversen Ländern nachdrucken musste: "Wenn wir damals auf deutsche Drucker gewartet hätten, wäre Potter monatelang nicht lieferbar gewesen", erzählt Schefe, die für HP7 360 Kilometer Kaptalband für den Einband bestellte und sich farblich festlegen musste, bevor die Farbgebung des neuen Covers feststand.

Alle lieben Harry

Das abschreckende Beispiel für laute Selbstdarstellung, die Erfolg suggerieren soll, hat einen Namen: Gilderoy Lockhart. Marianne Ohmann, Leiterin des Marketings bei Carlsen, arbeitet mit dem genauen Gegenteil davon, nämlich Harry Potter. Eine Figur, die so beliebt ist, dass andere freiwillig für sie werben. "Leser und Händler haben Spaß daran, etwas zu entwickeln, das Engagement für Harry kommt nicht einseitig von uns", sagt Ohmann und nennt als Beispiel die besonders aktiven Fan-Clubs und die Potter-Partys der Buchhandlungen an den Erstverkaufstagen. "Für uns bedeutet das eine gegenseitige Befruchtung, das ist der Idealfall von Marketing. Wir können deshalb auch ungewöhnliche Maßnahmen denken und uns kreativ außerhalb klassischer Werbekampagnen bewegen."

Mailings aus der Eulerei

Andrea Knirsch sitzt unterm Dach sozusagen in der Eulerei von Carlsen. Die Marketingassistentin, die als einzige Mitarbeiterin extra für Potter (befristet) eingestellt worden ist, organisiert Werbemaßnahmen des Verlags. Dazu zählt neben Anzeigen in der Branchenpresse, Aktionen für Buchhandel und Leser sowie erstmals einem Kino-Spot auch die "Eulenpost" als Direktmailing in Spezialkuverts, das an rund 6500 Buchhändler im deutschsprachigen Raum versandt wird. Andrea Knirsch ist fasziniert vom spielerischen Element, das das Marketing für Potter wie von selbst bekommen hat: "Wir können aufgrund des Erfolges und der Bekanntheit viel mehr machen."

Die Karte der Rumtreiber

Die Unordnung auf dem Monitor hat Methode: Das Bild zeigt lauter Pergamentblättchen, die wie Haftzettel auf einen Sternenhimmel-Untergrund geklebt sind. Der chaotische Schreibtisch, eines der innovativsten Marketing-Instrumente in Sachen Potter, wird von Birgit Slomski gepflegt. Im beginnenden Potter-Boom wurde die erste deutsche Verlags-Homepage für einen einzelnen Buchtitel eröffnet. "Es war gut für das Gemeinschaftsgefühl der Fans, zu wissen, dass viele andere dieses Buch auch lesen", sagt Slomski. Inzwischen hat die Seite ihren zweiten Relaunch hinter sich und in Spitzenzeiten bis zu zwei Millionen Zugriffe monatlich. Für Potter-Fans, die sich im Netz herumtreiben, ist die Carlsen-Seite eine beliebte Anlaufstelle - sozusagen eine feste Größe auf der virtuellen Karte des Rumtreibers.

News unterm Tarnumhang

Ein Buch, über das alle Welt redet, und eine Autorin, die sich selbst einen Schweigezauber auferlegt hat: Keine einfache Aufgabe für Katrin Hogrebe als Verlagssprecherin in Sachen Potter. Was sie selbst diplomatisch formuliert: "Die Autorin ist sehr zurückhaltend. Wenn wir häufig Nein sagen mussten, dann war das nicht immer einfach zu vermitteln." Tatsächlich war die Öffentlichkeitsarbeit eine Gratwanderung, denn während die Medien die Geheimnisse hinter der Geschichte suchten und mangels Masse auch reichlich Gerüchte ins Kraut schossen, hat Carlsen im Stile einer Nachrichtenagentur über die verschiedenen Stufen des Werdens der Bücher informiert, Ereignisse wie die Coverabstimmungen selbst inszeniert oder den Journalisten bei der Suche nach dem etwas anderen Potter-Thema geholfen. Katrin Hogrebe schätzt übrigens besonders Rowlings Humor, "dieses leicht Angeschrägte, die Übersetzung aus der Realität in die Zaubererwelt". Ein Schelm, wer dabei sofort an die supernervige Reporterin Rita Kimmkorn denkt.

Excel statt Typomagie

Wie Hermine hätte Karen Kollmetz gelegentlich einen Zeitumkehrer gebrauchen können, denn die Herstellerin litt unter einer potterbedingten Grundnervosität, was mit dem bei jedem Erscheinungstermin engeren Zeitfenster zusammenhing. Von der ersten Kalkulation des Umfangs der deutschen Ausgabe anhand des englischen Originals über die Koordination von Lektorats- und Korrekturarbeiten bis hin zum fehlerfreien Satz musste Karen Kollmetz den Überblick behalten und Ansprechpartnerin für alle Beteiligten sein. Was bedeutet, dass sie mit der Gestaltung von Typografie und Satzspiegel so gut wie nichts zu tun hatte ("ist bei Potter ja schon vorgegeben") und stattdessen in Excel-Tabellen Buch über den Fortgang führte, oft fast im Minutentakt telefonierte und noch dafür sorgte, dass der Text sich ästhetisch präsentierte.

Zerstückelte Freude

Häppchenweise hat Wiebke Andersen den siebten Band verschlungen. Nicht aus Leidenschaft, sondern aus berufsbedingter Notwendigkeit. Denn die zweite Lektorin musste abschnittweise die Korrekturen in das Manuskript einfügen und bei aller Zerstückelung und Aktualisierung den Überblick behalten, wobei ein Erinnermich hilfreich gewesen wäre. Den Gesamttext kannte sie schon, weil sie "in einem Affenzahn" das Original überflogen hatte, um gemeinsam mit Illustratorin Sabine Wilharm Motive für die Coverabstimmung zu diskutieren. Jetzt freut sich Andersen darauf, auch mal wieder was anderes lesen zu können.