Warteschleifen, Schlangen, Stau - ständig müssen wir uns irgendwo anstellen oder warten, weil die Uhr gnadenlos unseren Tagesablauf diktiert.

Komm wir gehen!" - "Wir können nicht." - "Warum nicht?" - "Wir warten auf Godot." - "Ach ja." Seit 54 Jahren warten Estragon und Wladimir nun schon auf irgendwelchen Bühnen auf ihren Godot. Wer kann sie nicht nachempfinden, die Sinnlosigkeit des Zeitverschwendens:

Wenn trotz Schlange bei der Post wieder mal nur jeder zweite Schalter besetzt ist. Wenn Sie in der Behörde eine dreistellige Nummer ziehen, die Anzeige aber noch bei zwei Ziffern verharrt. Wenn Sie die Verspätung der Bahn in vollen Zügen erdulden, oder am Bahnsteig über die sinnfreie Durchsage "Wegen Unregelmäßigkeiten im Zugverkehr verspäten sich die Züge um fünf bis acht Minuten" nachdenken. Wenn Sie am Flughafenschalter ins Stocken kommen, weil das Paar vor Ihnen das Gewicht seiner Koffer gleichmäßig verteilt. Und wenn in der Warteschleife am Telefon die Stimme vom Band "Haben Sie einen Augenblick Geduld" flötet und "enjoy the music" wünscht.

Warten kann auch chronisch werden, wenn etwa der HSV und Schalke 04 seit Jahrzehnten auf eine Fußball-Meisterschaft hoffen, die SPD auf eine Wende im Umfragetief wartet und wir alle auf den Lottogewinn oder nur einen schönen Herbsttag.

Da können wir lange warten. Wir alle verschenken in Schlangen und Warteschleifen Minuten, Stunden und hochgerechnet Jahre unseres Lebens (siehe Kasten rechts): Dreieinhalb Monate in Verkehrsstaus, sechs Monate vor Ampeln, fünf Jahre bei Behörden, Ärzten oder an Supermarktkassen - und 18 Tage damit, auf die Uhr zu sehen... "Die Wartezeit, die man bei Ärzten verbringt, würde ausreichen, um selbst Medizin zu studieren", spottete Dieter Hallervorden. Die Briten nehmen es leicht. Sie begehen am 9. November den "Stand-in-a- queue-day", den Tag des Schlangestehens.

Eine Umfrage von TNS Emnid für T-Mobile hat die bekanntesten Zeitvernichter hinterfragt. Durchschnittlich verschenken wir bei jedem Aufenthalt 73 Minuten auf dem Flughafen, 34 Minuten im Stau und 18 Minuten auf dem Bahnsteig. Als häufigste Situationen nannten 50 Prozent der Befragten die Ladenkasse, 48 Prozent das ärztliche Wartezimmer, 31 Prozent die Verabredung und 30 Prozent die Essensbestellung.

Bedauernswert ist nach dieser Umfrage, womit sich die Menschen während ihrer Wartezeit beschäftigen: Die meisten schauen sich die Leute an (87 Prozent am Bahnhof, 78 Prozent am Flughafen, 66 Prozent im Stau) oder langweilen und ärgern sich (66 Prozent im Stau, 52 Prozent am Bahnhof, 28 Prozent am Flughafen). Am Flughafen sind immerhin 55 Prozent auf das Warten vorbereitet und lesen, 8 Prozent gehen shoppen, 7 Prozent essen.

Die Umfrage belegt zugleich, was T-Mobile mit der neuen Web'n'walk-Funktion bewirbt: Viele Wartende würden, wenn sie es denn könnten, gern mit ihrem Mobiltelefon im Internet surfen (23 Prozent), Mails lesen (32 Prozent), Musik hören (35 Prozent), lesen (17 Prozent) oder fernsehen (16 Prozent); bei jungen Menschen deutlich mehr.

Dass wir überhaupt um jedes kleine Fitzelchen Zeit kämpfen, liegt an der größten Veränderung, die unsere Gesellschaft den Menschen aufgezwungen hat. Früher richtete sich unser Tagesablauf nach Jahreszeiten, Jagd- und Erntephasen oder kirchlichen Feiertagen. Heute nach der Uhr. Wir wundern uns, wenn wir in sogenannte "Entwicklungsländer" reisen, dass die Menschen scheinbar alle Zeit der Welt haben. Das Wort "Warten" existiert dort nicht.

Wir dagegen jagen von Termin zu Termin, in einem Wechselbad aus unnützem Warten und stressiger Hetze. Wenn nur ein kleines Detail nicht klappt, stürzt die durchgeplante 24-Stunden-Struktur wie ein Kartenhaus zusammen. Bestes Symbol der zwanghaften Zeitgesellschaft ist die Hamburger Fußgängerampel, die die Sekunden herunterzählt, bis aus dem roten Ampelmännchen wieder ein grünes wird. Der Hamburger Zeitforscher Ulrich Mückenberger forderte auf einer Veranstaltung des Körber-Forums: "Es muss ein Recht auf Selbstbestimmung der eigenen Zeit geben."

"Das Warten", sagte der erste Literatur-Nobelpreisträger Sully Prudhomme, "ist die grausamste Vermengung von Hoffnung und Verzweiflung, durch die eine Seele gefoltert werden kann." Nur Theodor Fontane war scheinbar milde gestimmt: "Wie gern wollt ich warten, warten stundenlang." Der Mann hatte sicher keine Termine.