Lars Niedereichholz ist eine Hälfte des hessischen Comedy-Duos Mundstuhl und hat vor Kurzem seinen ersten Roman “unknorke“ bei Piper veröffentlicht.

Den normalen Alltagshessen zu beschreiben ist an sich ein Leichtes, denn er vereinigt aus allen Regionen Deutschlands schlichtweg die besten Eigenschaften in sich. Dem Hessen geht das Jammervolle des Ostens ebenso ab wie die bodenständige Nüchternheit der Nordmenschen. Auch die Jeckenhaftigkeit des tiefen Westens, das wichtigtuerische Eigenbrödlertum des Südens und die pampige Unfreundlichkeit des Berliners sind ihm fremd. Wir Hessen sind besonnene, in uns ruhende und humorvolle Menschen. Ich muss es wissen, denn ich bin Hesse, und bis auf einige wenige tägliche Tobsuchtsanfälle und quasi unbeabsichtigt zerstörte Hotelzimmer bin auch ich innerlich vollkommen ausgeglichen, sozusagen ein lebendes, menschliches Yin&Yang-Zeichen.

Dies liegt sicherlich zum Großteil an unserer geografischen Lage mitten in Deutschland, zum anderen aber auch an unserer gesunden Ernährungsweise, welche wiederum demografische Hintergründe hat. Der Hesse wohnt nämlich prinzipiell immer auf dem Land. Dies ist nicht besonders verwunderlich, da es in Hessen nur eine einzige richtige Stadt gibt: Frankfurt. Frankfurt hat einen einwandfreien Fußballverein, einen großen Flughafen und eine intakte Drogenszene und erfüllt somit alle drei Definitionskriterien einer echten Stadt, ist aber schlichtweg zu klein, um allen sechs Millionen Hessen Platz zu bieten. Lediglich 600 000 Menschen wohnen in Frankfurt, und somit leben neunzig Prozent aller Hessen auf dem Land und bauen auf riesigen Plantagen Äpfel an, die sie dann zerquetschen und den gewonnenen Saft zum hessischen Nationalgetränk, dem Äbbelwoi, vergären lassen. Die Versorgung der Gesamtbevölkerung mit diesem Grundnahrungsmittel wird von Großkeltereien, aber auch von vielen kleineren Privatkeltereien übernommen. In strukturschwachen Gebieten (also außerhalb des direkten Einzugsgebietes der großen Stadt) verschreiben sich auch Privatpersonen jedes Jahr mehrere Monate lang ausschließlich der Herstellung des güldenen Tropfens, der dann im privaten Umfeld verkauft, beziehungsweise an alte oder kranke Menschen sowie Jugendliche auch kostenfrei abgegeben wird. Der Äbbelwoi, dieses für Auswärtige unaussprechlich grauenvoll schmeckende Gesöff, wird dann von morgens bis abends literweise getrunken, und hier zeigt sich ein weiteres Charaktermerkmal des Hessen: Er ist hart im Nehmen.

Doch auch der Hesse hat Grenzen! Wenn jemand den Bogen überspannt, dann bekommt er vom Hessen die Quittung dafür präsentiert und zwar mit einem Lächeln auf dem Gesicht. Und so werden sich an diesem Sonntag viele Protestwähler auf den eisigen Weg ins Wahllokal machen und ihr Kreuzchen mal an einer ganz anderen, ungewohnten Stelle machen. Und so wird es nach diesem Sonntag einen wiedererstarkten Prinzen von Hessen geben, der seiner zu Recht gescheiterten Steigbügelhalterin lachend ein paar rote Rosen zuwerfen wird.

Und so bleibt für Sieger und Verlierer, aber auch fürs Volk, am Ende wieder nur: Ganz viel Äbbelwoi trinken.