An diesem Sonntag ist wieder Oscar-Nacht in Los Angeles. Ein Preis, den keiner will, wird am Abend vorher vergeben: die Goldene Himbeere.

Rote Teppiche, fette XXL-Limousinen, Blitzlichtgewitter, Paparazzi, die einander und ihren Objekten auf die Füße treten. Und kleine, goldene Statuetten, um die erwachsene Menschen ein Brimborium machen, als gehe es um ihre Existenz. Dieses ganze Theater rund um die alljährliche Oscar-Verleihung war dem amerikanischen Publizisten John Wilson zuwider. Vor 29 Jahren rief er kurzerhand seinen eigenen Preis ins Leben, die "Goldene Himbeere". Seither prüfen Wilson und ein paar getreue Filmkritiker alles, was Hollywood in einer Saison so in die Kinos gebracht hat - am anderen Ende der Qualitätsskala. Es geht um die schlechtesten Filme des Jahres.

Schon der Preis zeigt, dass eine gehörige Portion Spaß im Spiel ist. Während der goldüberzogene Academy Award, der Oscar, 300 Dollar wert ist und vier Kilo wiegt, ist die "Himbeere" ein Leichtgewicht. Die Frucht aus Styropor, auf eine alte Film-rolle geklebt, kostet gerade mal 5 Dollar. "Raspberry", die Himbeere, kurz "Razzie", bedeutet umgangssprachlich eine verächtliche Herabwürdigung oder steht gar für den Ton imitierter Flatulenzen.

Wenn an diesem Sonntag die Kameras des US-Networks ABC im Kodak Theatre einfangen, ob Frauenschwarm Hugh Jackman als Moderator die versammelte Hollywood-Prominenz begeistert, sind die Flops des Jahres bereits vergeben. Die übelsten Machwerke werden am Abend zuvor ganz in der Nähe vergeben, im Barnsdall Gallery Theatre in den Hügeln von East Hollywood. John Wilson und seine Mitstreiter wissen, dass ihre Preise nur selten den Empfänger erreichen. Während ein Verzicht auf die Oscar-Zeremonie als Politikum gilt, will sich kein Star mit einer Himbeere seinen Ruf zerstören. So richtig locker sind die meisten Filmmillionäre nämlich nicht.

Nur eine Handvoll Stars hat sich getraut, die "Auszeichnungen" entgegenzunehmen, darunter Schauspieler Tom Selleck (für "Christopher Columbus: The Discovery") oder Regisseur Paul Verhoeven ("Showgirls"). Aber sie sagten sich: besser dieser Preis als gar keiner. Am überzeugendsten war aber der Auftritt von Halle Berry - Name verpflichtet! Drei Jahre nach ihrem Oscar für "Monster's Ball" reckte sie für ihre Rolle als "Catwoman" auch die Himbeertrophäe in die Höhe. "Ich nehme mich selbst nicht so wichtig", sagte sie. "Man muss Niederlagen ebenso akzeptieren wie Erfolge, und zwar mit Würde." Die Goldene Himbeere habe sie, behauptete sie in einem Interview, direkt neben dem Oscar aufgestellt. "Halle Berrys Auftritt war brillant", sagte Himbeeren-Erfinder John Wilson mit Respekt.

Wilsons Motive sind klar: "Ich möchte mich einfach im Kino gut unterhalten." Und schlechte Filme würden ihm die Zeit stehlen. 4000 Filme hat er in seinem Leben gesehen, eine Zahl, die Mitgefühl erzeugt. Wie schon der berühmte US-Filmkritiker Roger Ebert sagte: "Kein guter Film ist zu lang, aber kein schlechter Film ist kurz genug." Die große Schauspielerin Meryl Streep, die eher nicht für die Goldene Himbeere nominiert wird, fordert schlicht: "Weniger schlechte Filme auf unseren Leinwänden!" Nicht zuletzt deshalb soll Wilsons Veranstaltung ein Gegenentwurf zur technisch perfekten und überernsthaften Oscar-Verleihung sein, der aus seiner Sicht "jeder Spaß abhandengekommen" sei.

Manchmal kommen die Auszeichnungen noch unerwartet an die rich-tige Adresse. Ben Affleck erhielt den "Razzie" für seinen Filmflop "Gigli" in der Live-Sendung der Talkshow-Legende Larry King bei CNN. "Jeder sollte so einen Preis haben", knurrte der Schauspieler, verlor aber nicht die Contenance. Denn er ist in bester, gar höchster Gesellschaft. Sowohl Ronald Reagan ("schlechteste Karriereleistung") als auch George W. Bush ("Schlechtester Hauptdarsteller" in Michael Moores Dokumentation "Fahrenheit 9/11") haben die Himbeere erhalten, aber natürlich nie abholen lassen.

Woody Allen hat einmal gesagt: "Wenn sich auch nur ein Mensch nach einem meiner Filme elend fühlt, habe ich meinen Job erledigt." Allen meinte noch den Inhalt. Die entsetzten Filmkritiker, die sich beim Ramsch des Jahres sehr elend fühlen, meinen die Qualität. Denn leider sterben die schlechten Filme nicht aus. Das einschlägige Online-Filmarchiv "Internet Movie Database" (IMDb) veröffentlicht eine Liste der 100 schlechtesten Filme aller Zeiten, angeführt vom Horrorfilm "Zaat" (1975). "Nicht nur mit der amerikanischen Wirtschaft ging's 2008 bergab", heißt es auf der Webseite der Razzies. "Das galt auch für die Qualität der Hollywood-Filme." Von 573 Filmen, die im vergangenen Jahr in die Kinos kamen, wurden gleich 75 als schlecht bewertet.

Kandidaten für das "Worst Picture", den schlechtesten Film des Jahres 2008 bei den Razzie Awards, sind "Disaster Movie", "Meine Frau, die Spartaner und ich", "The Happening", "The Hottie & The Nottie", "Schwerter des Königs - Dungeon Siege" und "Der Love Guru". Letztere Klamotte von Mike Myers ist übrigens gleich siebenmal nominiert. In Rubriken wie "Schlechtestes Remake" oder "Schlechteste Abzocke" gehen Filme wie "Der Tag, an dem die Erde stillstand", "Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels" oder "Speed Racer" ins Rennen.

Nominiert für die schlechtesten Schauspieler des Jahres sind unter anderem Al Pacino ("Righteous Kill - Kurzer Prozess"), Mike Myers ("Der Love Guru") und Eddie Murphy ("Mensch, Dave") sowie Paris Hilton ("The Hottie & the Nottie"), Cameron Diaz ("Love Vegas") und gleich die ganze Besetzung von "The Women", also Annette Bening, Eva Mendes, Debra Messing, Jada Pinkett Smith und Meg Ryan.

Der deutsche Regisseur Uwe Boll ("Dr. Trash") ist für seine beiden Filme "Dungeon Siege" und "Postal" gleich viermal im Rennen, diesmal sogar in der ultimativen Kategorie "Schlechteste Leistung der Karriere". Boll hat, wie Razzie-Guru Wilson meint, einen Stammplatz bei den Nominierungen sicher, "so wie Meryl Streep bei diesem anderen Filmpreis". Boll, der gern mit Leuten wie Til Schweiger und Ralph Moeller dreht und ebenso gern als "einer der schlechtesten Regisseure der Welt" bezeichnet wird, steht schon mit sechs Produktionen in der Liste der "100 schlechtesten Filme aller Zeiten". Obwohl ihn 350 000 Kinofans per Online-Petition bitten, nie mehr einen Film zu produzieren, sieht Boll die Sache pragmatisch. Erstens müsse man sich eine Auszeichnung wie die Goldene Himbeere verdienen. Und zweitens "werde ich sicher ein paar DVDs mehr verkaufen". Dass ausgerechnet Boll jetzt einen Film über das deutsche Nationalheiligtum Max Schmeling drehen will, könnte einen Kulturstreit auslösen.


Informationen über die Goldene Himbeere: www.razzies.com