Der 50 Jahre alte Musiker spricht über das große Ganze, ein Geschenk namens “Taxi nach Paris“ und pubertäre Minderwertigkeitskomplexe.

Hamburg. Das klingt so banal. Aber es ist nun einmal so. Jetzt ist Sommer. Und das ist schön. Oder um es mit Michy Reincke, dem Pop-Musiker, zu sagen: "Jetzt ist schön" - der Titel seines aktuellen Albums und eine groß angelegte Hymne auf das Leben. Voller Lieder, die wie Parfüm seien, sagt er, Essenzen von dem, was angedacht ist. Universell angedacht versteht sich.

Denn Michy Reincke ist ein Pop-Philosoph, der alles in etwas Größeres einordnet. Wie ein Mensch oben auf einem Berg, sagt er, der vor einem Fernrohr steht, eine Münze hineinwirft, und klack, geht es auf, und man guckt hinein ins Leben, weiß nicht, wie lange, und klack, ist es wieder schwarz.

Tja, und so ist dieses Gespräch hier auf dem Anleger bei Bobby. Kein leichtes Ding. Trotz Sommerbrise, lachenden Kindern im Tretboot und seinem lässigen Holzfällerhemd. Michy Reincke ist ein Dauerreflektierer, der alles gerne hinterfragt, sich von außen kritisch betrachtet, alles hin und her dreht: Alltag, Liebe und Leben auf einem ewigen Prüfstand. Achtung, sagt er dann schon einmal. Jetzt wird's leicht esoterisch. Wenn wir uns richtig in die Augen gucken, dann betrachtet sich das Universum selbst. Und hat Freude dran.

Freude kann man wirklich an ihm haben. An diesem Michy Reincke, mit dem versteckten Charme, der auch der Grandseigneur der Hamburger Popgarde genannt wird. Aber das klinge ein bisschen so wie 'n alter Sack, der als Privatier vor sich hin dödele, und davon sei er eigentlich noch weit entfernt, sagt er. Er gebe sich viel Mühe mit seinen Texten, wolle mit ihnen eine Aussage machen, Seelen berühren, die Tiefe des Menschseins ausloten.

So wie damals mit 16, als er mit dem Liedermachen begann. Als Bob Dylan sein Idol war, er 1976 mit seiner Gitarre und einem Interrailticket durch Europa zog und vom Leben sang, der großen universellen Liebe und wie ein "Prinz auf weißem Pferd" die Welt retten oder wenigstens seinen pubertären Minderwertigkeitskomplexen entkommen wollte. Nach außen zweifellos, sagt er, und drinnen voller Zweifel. Ein angry young man sei er gewesen und im Grunde viel ehrlicher als all die gleichaltrigen Jungs, die später mit super Abi in der Tasche eine Banklehre machten und genau wussten, wo's langgeht im Leben.

Ach, sagt er, wer niemals zweifelt, ist ein Idiot. Und das sei ihm suspekt. Er habe damals versucht, seinen Platz zu finden. Und das sei die Popmusik gewesen. Ein normaler Mensch mit erwachsener Intelligenz könne das vor 28 gar nicht wissen. Da hatte ihn aber sein erster großer Hit "Taxi nach Paris" längst zufriedengestellt. Das Lied habe ihn gefunden und sich bei ihm wohlgefühlt.

So kuschelig wohl, dass es ein Ohrwurm wurde, die Charts stürmte und heute noch nicht von ihm lassen kann. Ja, so sei das mit Geschenken eben.

30 zu werden, sagt Michy Reincke plötzlich, fand er als junger Mann schwierig, 40 sei auch nicht so prickelnd gewesen, aber 50 zu werden, das sei lustvoll. Das Vertrauen in sich selber sei gewachsen und was das Verhältnis zu seiner zweiten, jungen Frau Yvonne, 30, angehe, das sei echt gut. Er habe nicht mehr das Hobby der Übermütigkeit, dieses Alles-auf-die-Probe-stellen-Wollen. Und das Gras wächst nun mal nicht schneller, wenn man dran zieht. Man könne die Dinge nicht übers Knie brechen oder wie es in dem Song von den Supremes heißt: "You can't hurry love."

Genau so sei es bei ihnen beiden. Und um sich dieses langsam gewachsene Glück zu bewahren, lebten sie immer noch in getrennten Wohnungen. Er auf der Uhlenhorst, Yvonne in Winterhude. Ein Luxus, der ihnen allzu aufreibende Nähe erspare. Man müsse sich nahe sein und doch die Wellenbewegungen der Liebe zulassen, sagt er.

Das Leben habe seinen eigenen Rhythmus, und dem müsse man sich anvertrauen. Dazu gehören nun mal Geduld und Vertrauen, sagt er. Und Michy Reincke erzählt von seinem Vater, der diese Geduld nicht aufbrachte, Frau und Kind sehr früh verließ, zur See fuhr, auf der Flucht vor sich selbst und vor der Einengung in seinem Leben. Das habe er damals schwer verkraftet, sagt Michy Reincke, das Einzelkind. Aber in der Rückschau könne er es ihm überhaupt nicht mehr übel nehmen, und müsse sagen, dass daran eigentlich nichts zu bemängeln sei.

Ein Männer-Achter kommt vorbeigerudert. Lenkt uns ein bisschen ab von den großen Fragen dieser Welt. Michy Reincke erzählt vom Männerruderverein im Matthias-Claudius-Gymnasium. Da oben am Kugelfang sei der Bootssteg gewesen. Erzählt von gemeinsamen Wanderruderfahrten auf der Elbe, der Mosel, der Werra. Und macht dann wieder einen Sprung. Er sei einfach erstaunt, mit wie vielen Dingen ein Mensch doch begabt sei. Nur machten die meisten die Klappe schon viel zu früh zu. Er werde sich auf jeden Fall weiter ausprobieren. Das Universum und die Liebe besingen und ab August hier im Norden mit seinem Akustik Trio wieder on the road gehen.

Wir handeln noch kurz die Freiheit als solche ab. Dieses große Missverständnis! Und dass er eigentlich alles sei. Das Gras, die Wolken am Himmel, "Sie und jedes humanoide Wesen". Und auch Lili kommt noch dran, der Scheidungshund, der bei ihm und seiner Exfrau aufwächst. Und dann ist es zu Ende. Dieses Gespräch - so bunt wie ein Strauß Sommerblumen. Suchen Sie sich einfach etwas heraus, sagt er zum Abschied. Egal was. War doch schön, oder? Ja. Aber auch ganz schön verwirrend!