Bernd Begemann gilt als Vater der Hamburger Schule. Heike Gätjen über ihre Begegnung mit dem Musiker, der als Baby adoptiert wurde.

Hamburg. Dies ist ein Heimspiel. Für ihn. Hier kennen ihn alle. Und Willy, der Kellner in der Bullerei im Schanzenviertel, verspricht ein Zeichen zu geben, sobald er auftaucht. Bernd Begemann, mein Blind Date. Szene-Musiker, Sänger, Gitarrist und Entertainer, dessen neues Album "Ich erkläre diese Krise für beendet" seit heute auf dem Markt ist. Pop für Erwachsene, so heißt es, die sich als Teenager fühlen wollen und Teenager, die endlich ernst genommen werden wollen. Funkig, groovig, rockig mit viel Seele.

Und dann ist er da. Mehr korrekt gekleideter Versicherungsvertreter als Szene-Typ. "Ja und", sagt er gleich, "was soll denn das wohl sein?" Er sei nichts weiter als ein Typ, der Lieder singt. Und sein Anzug sei einfach eine Form von Respekt. Vor seinem Publikum. Und der Autor Tom Wolfe ("Fegefeuer der Eitelkeiten") habe mal gesagt, ein Mann über 30, der keinen Anzug trägt, sei ein Idiot. Sein Ensemble von den Socken bis zum Schlips habe nicht mehr gekostet als die Turnschuhe, die andere auf der Bühne tragen. Und seine Idole, Frank Sinatra und Dean Martin mit ihrem lässigen Stil, hätten auch immer Anzüge getragen.

So ist es mit Bernd Begemann. Jede Frage löst eine Lawine aus. An Antworten, an philosophischen Ausschweifungen und an erstaunlichen Bekenntnissen. Das beginnt schon bei seinem Sternzeichen. Skorpion. Schwierig? Ihm habe das genützt. Trotz der vermeintlichen Stacheln. Die seien die Poesie dieses Tierkreiszeichens. Kämen gut an bei Frauen. Und dass er als Frauenversteher gelte, sei eher Selbstpropaganda. Für ihn seien Männer und Frauen eben gar nicht so verschieden. Würden sich hier in der Großstadt auf Augenhöhe begegnen. Deshalb auch sein Lied "Du bist mein Niveau". Wir geben uns nichts, sagt er.

Das alles trägt er in diesem dröselig nöligen Ton vor, geprägt von seiner nordrhein-westfälischen Heimat, der zu seinem Markenzeichen geworden ist. Unterbrochen nur von einer kurzen Pause zum Bestellen. Und dann, bei seinem Geburtsort, kommt der nächste Schwung.

In Braunschweig sei er geboren. Mit drei Monaten nach Bad Salzuflen adoptiert. Später habe er sich mit Unterstützung seiner Adoptiveltern auf die Suche gemacht. Habe herausgefunden, dass seine leibliche Mutter Antje aus Kiel stammt. Nach Kanada gezogen sei. Und sein Geburtsname Kai Stefan Rönnau ist. Und wenn jemand dies lese und mehr wisse, solle er sich doch bitte bei ihm melden. Oh, sagt er ohne Luft zu holen. Der Rotbarsch sieht aber lecker aus. Kalorienarm, oder? Bis auf die Soße. Und na klar könne er essen und weiterreden. Auch wenn es nicht gerade vornehm sei. Und so gibt es keine Pause. Über die Hamburger Schule reden wir, als deren Initiator er gilt. Zusammen mit seiner Ex-Frau und dem Sänger der Gruppe Blumfeld. Eine bestimmte Ästhetik des Liederschreibens sei das. Geboren in den grünen Hügeln Ostwestfalen Lippes. Weitergeführt in Hamburg. In den 80ern. Eine gegenwartsbezogenere Popmusik. Realitätsnäher. "Die meisten Bands in den 80ern sangen englisch. So was wie 'New York, Rio, Tokio'. Und was ist mit Bielefeld, fragten wir uns. Wir leben doch hier. Das haben wir dann auf unsere Art getan." Ach, darüber könne er noch stundenlang reden. Es geht um ästhetische Dispute, richtige Kämpfe, die da ausgefochten werden. Um seinen Widerwillen gegen große Worte in den meisten Liedern. Die Zeit, die Ewigkeit, der Mensch. Da kriege er das kalte Grausen. "Je größer das Wort, desto kleiner das Lied." Dass er auch die Liebe besingt, die große Sehnsucht, die Einsamkeit ... Ja, sagt er schnell. Aber er behandle das angemessen.

Und dann haken wir noch alles Mögliche andere ab. Die Millionenhöhe der verkauften Platten, um die sich alles dreht und die ihm sch...egal sei. Dass es ihm um ästhetische Kriterien ginge, um die Wahrheit. Auch das ein großes Wort, oder? Ja, sagt er, aber damit sei er aufgewachsen. Habe schon mit sieben von seinem Vater die Jugendausgabe der Ilias, der Odyssee in die Hand gedrückt bekommen. Und seitdem haste er nach Ruhm und Größe. Und das sei etwas völlig anderes als ein Bekanntheitsgrad! Angefangen hat Begemann als Musiker mit einer kleinen Band in Jugendzentren. Mit 50 Liedern, keines davon aufgenommen. Dann kam die nächste Band in den 80ern, "Die Antwort". Dauerte drei Jahre und zwei Platten. Später gab's ne Soloplatte, "Rezession Baby". Produziert für damals 100 Mark und 10 000-mal verkauft. Jetzt sei er mit der Band Die Befreiung bei Album Nr. 19. Und sein Hit "Unten am Hafen" (1987) - heute noch auf Platz sechs der Hitliste des Nordens im NDR Fernsehen - habe Volksliedcharakter. Er singt es mal kurz an. Als Nachhilfe für mich. "... unten am Hafen, wo die großen Schiffe schlafen. Wir sind unten am Fluss ei-ei-aeiia.". Selbst Kinder könnten den Refrain mitsingen. Und auch um seine eigene Show im NDR geht es noch. "Bernd im Bademantel". Aufgenommen im Wohnzimmer seiner damaligen Sozialwohnung in Rothenburgsort. Mit Gästen wie Tocotronic. Geliebt von den Kids, eingestellt nach drei Folgen vom NDR. "Kulturelle Verständigungsschwierigkeiten", sagt Begemann.

Und die Welt als solche handeln wir noch ab. Politik, Rebellen, Manifeste, Biogläubigkeit. Einfach alles. Hier zwischen dem Lärm von den Nebentischen. Dem Kreischen der gerade abbremsenden S-Bahn am Bahnhof Sternschanze. Und dass er gerne als so'n Typ wie James Garner, der TV-Detektiv Rockford aus den 70ern, in die Popmusikszene eingehen möchte. "Mit so einer nicht bedrohlichen Männlichkeit." Und ja, man muss ihn tatsächlich mögen. Selbst wenn man seine Lieder vorher nicht kannte. Und nach einem doppelten Espresso völlig erschöpft an der Tischkante hängt.

Heike Gätjen trifft jede Woche Menschen aus Hamburg. Immer freitags im Lokalteil.