Heike Gätjen trifft jede Woche Menschen aus Hamburg. Heute Vural Öger, Reiseveranstalter.

Hamburg. Er lässt sich nicht gern in die Karten gucken. Und in die Augen leider auch nicht. Seine Ungeduld ist es - hoffentlich -, die seinen Blick immer wieder abschweifen lässt. Diese innere Unruhe, die ihn nicht mehr als einen einzigen Tag Amstrandliegen ertragen lässt, wie er bekennt. Und die ihn zu einem erfolgreichen Unternehmer gemacht hat. Vural Öger, Chef der Öger Tours GmbH, dem sechsgrößten Reiseveranstalter Deutschlands.

Wenn jetzt fast ganz Hamburg in den Urlaub geht, läuft sein Geschäft noch auf Hochtouren. Bis Ende Oktober. Dann ist Schluss mit der Sommersaison. Und trotz Wirtschaftskrise ist er zuversichtlich. Die Türkei, sein Hauptgeschäft, sei von den drei Pauschalreisezielen neben Spanien und Griechenland im Moment das krisenfesteste.

Das alles erzählt er, bevor der Nieselregen einsetzt und wir uns ins Literaturhauscafé zurückziehen. Langsam annähern an Vural Öger, den Unternehmer und Politiker. Ein eleganter, schlanker, groß gewachsener Mann. Und irgendwie ein bisschen skeptisch, auf was er sich da so eingelassen hat. Er bestellt erst mal einen Darjeeling-Tee, schwarz mit Zitrone. "Kaffee gibt es bei uns nur nach dem Essen. Einen starken Mokka." Ein kleines französisches Frühstück.

Bei uns - das ist die Türkei. Die deutsche Staatsangehörigkeit hat er seit 1990. Den Pass hat er abgegeben, sein weites türkisches Herz hat er behalten. Ein irgendwie duales Seelenleben. Bis hin zum Fußball ausgelebt. Wie das? Nun, sagt er, bei der letzten WM habe er für die Deutschen mitgefiebert. Es sei denn, der Gegner war die Türkei. Als treuer HSV-Fan lebe er voll mit bei den Hanseaten. Selbst gegen Galatasaray Istanbul. Nur gegen Fenerbahce Istanbul nicht. Da sei er seit seinem siebten Lebensjahr begeisterter Fan. Beim HSV erst seit 28 Jahren. Eine einfache Rechnung, oder?, sagt er und muss darüber lachen.

Seine Memoiren hat er unter dem Titel "Mein Deutschland, meine Türkei" veröffentlicht. Und für diesen interkulturellen Austausch hat er sich immer eingesetzt, für die Integration ausländischer Einwanderer überhaupt. Für sein großes Engagement wurde ihm das Bundesverdienstkreuz verliehen und der Deutsch-Türkische Freundschaftspreis. Seit 2004 war er auf dem erfolgreichen Listenplatz 10 als Europaabgeordneter ein ständiger Werber für seine türkische Heimat als Wirtschafts- und EU-Partner. Ein Politiker mit Visionen, der sich trotzdem oder gerade drum nicht mehr zur Wiederwahl 2009 gestellt hat. Nein, sagt er. Das war's nicht. Fünf Jahre seien einfach genug. Sie hätten ihm viel gebracht. Doch zu viel sei auch als Pendler zwischen Unternehmertum und Politik auf der Strecke geblieben. Familie, Freunde und auch er selbst.

Zum Politiker müsse man geboren sein, ergänzt er. Zu lange Wege zum Konsens. Zu viele Diskussionen. Als Unternehmer sei er kurze Wege bis zur Entscheidung gewohnt. Und ja, sagt er zögernd, vielleicht tauge er auch nicht für Parteihierarchien, Unterordnung und von anderen bestimmte Terminpläne.

Vural Öger, der Einser-Abiturient, der Anfang der Sechzigerjahre mit einem Stipendium nach Deutschland kommt. An der TU Berlin seinen Diplom-Ingenieur macht. Der beste Weg damals, um danach wieder zu Hause in der Türkei Geld zu verdienen, sagt Vural Öger. Elterliche finanzielle Unterstützung bekommt er nicht. Ein mittelständisches Leben. Aber auch nicht mehr. Er wird als Model für die Frauenzeitschrift "Constanze" entdeckt. 300 Mark für Shootings. 150 für den Gang über den Laufsteg. Arbeitet für das Außenreferat der TU, an dem Flugtickets in die Türkei via Budapest und andere Ostblockstaaten verkauft werden. Und stößt bei einem kurzen Hamburgbesuch auf eine vielversprechende Marktlücke. Nonstopflüge für Gastarbeiter in die Türkei von Hamburg aus. Er bleibt in Deutschland, zahlt das Stipendium zurück, mietet einen Laden, tapeziert und streicht die Wände, chartert sein erstes Flugzeug. Mit 114 Plätzen für 20 000 Mark. Verkauft die Tickets pro Stück für 395 Mark. Das war am 20. Juli 1969, sagt er. Vom Erlös kann er den Charter bezahlen. Den Rest investiert er. Und so, sagt Vural Öger, wurden aus einem zwei, dann drei, dann kam die Filiale Hannover dazu, dann Berlin. Die Firma, die Öger Türk Tour, läuft. Sein Vater, ein General der türkischen Armee, schäumt. In der Familie habe es Ärzte gegeben, Bürgermeister, Generäle, Staatsbeamte. Aber nie, niemals Händler! Der Streit zwischen Vater und Sohn endet erst, als der Erfolg dieses schwarzen Schafes, einem fliegenden Händler im wahrsten Sinne des Wortes, den Vater überzeugt.

Vural Öger zupft seine Manschetten zurecht, die eigentlich in perfekter Länge aus dem hellgrauen Leinenanzug herausragen. Fünfzig Anzüge soll er haben, heißt es. Mehr, sagt Vural Öger. Sechzig Paar Schuhe. Auch mehr. Sollte er etwa eitel sein. Hmm, sagt Vural Öger. Er liebe einfach eine schöne Garderobe, kaufe gerne ein. Dieser Anzug hier aus Mailand. Krawatte und Hemd von Hackett in London. Kleidung sei etwas, an dem man Charakter und Persönlichkeit eines Menschen ablesen könne. Nicht auf den Preis, auf die sorgfältige Zusammensetzung käme es an. Die Ästhetik. Aber, sagt er, eine Hülle ohne Hirn sei wie eine Verpackung ohne Inhalt. Eine reine Farce. Dann erzählt er die Anekdote von den beiden Engländern im Urwald, die sich täglich um fünf Uhr rasieren, einen Anzug anziehen, Tee trinken. Um sich einmal am Tag als Mensch zu fühlen. Das könne er verstehen, sagt er. Er liebe nun mal schöne Dinge. Die Freude daran verdanke er seiner Mutter. Einer wahren Kosmopolitin. Aufgewachsen in Istanbul. Mit allen Nationalitäten, allen Religionen, allen Sprachen vertraut. Tolerant und offen für alles. Ihr hat er ganz privat ein Denkmal gesetzt. Eine Volksschule für 800 Kinder in Side-Manavgat. Die Perihan-Öger-Schule. "Für ihre und meine Seele." Pause. Das war eine lange Antwort auf Ihre kurze Frage, oder?, fragt er.

Wir reden noch ein bisschen über seinen Vater, zu dem er nie ein inniges Verhältnis gehabt habe, der Ordnung, Disziplin und Gehorsam verkörperte. Und ja, sagt er, vielleicht sei er auch manchmal autoritär seinen drei Kindern gegenüber. Aber er stünde nun mal ein für gewisse Grenzen, Werte und Selbstverantwortung. Stolz erzählt er von Nina, seiner ältesten Tochter, die als Geschäftsführerin in die Firma eingestiegen ist. Mit der es nach anfänglichen Reibereien ganz toll laufe. Von seinem Sohn Erol, der mit großer Begeisterung politische Wissenschaften studiert und der jüngsten Tochter Alia, die in England aufs College geht.

Dann kommen wir zu seiner ewigen Unruhe, der allzu schnell auftretenden Langeweile, der Erwartung an andere, sich seinem Weltbild zu fügen. Das nerve selbst ihn manchmal. Sei verbesserungsfähig. Vielleicht. Jetzt, wo er wieder mehr Zeit habe. Aber, sagt er, dummes Geschwätz könne er einfach nicht leiden. Unsachliche Gespräche. Ein Graus! Ohh!? Nein, sagt Vural Öger schnell, das war keine Anspielung. Das würden auch Sie nicht aushalten.

Über seinen Urlaub reden wir. Zusammen mit der Familie in der Villa auf einer der Prinzeninseln vor Istanbul, wo ihnen von der Terrasse aus die ganze Stadt zu Füßen läge. Und eine Woche Segeln in der Ägäis mit Freunden. Auf seiner hölzernen Yacht. Einer Gulet. Geschrieben, sagt er: Gustav, Ulrich, Ludwig, Emil, Theodor.

Und über seine Ängste. Vor Unfällen mit schweren Verletzungen, vor schweren Krankheiten, einem langen Sterben auf Raten. Und auch über das Glück, das kein Dauerzustand sei. Nichts mit Geld und Erfolg zu tun habe. Immateriell sei. Auf Liebe, Gefühl, Empfindungen basiere. Und das er natürlich in seltenen Momenten auch fühle.

Sein Motto schaffen wir auch noch: Aus Misserfolgen kann man lernen. Ja, sagt er. Wie sein Versuch, sich den französischen und österreichischen Markt zu erobern. Ein glatter Fehler. Nicht voll zu Ende gedacht. Über unsägliche Katastrophen, die viele Menschen töteten und das Unternehmen an den Rand des Ruins brachten. Der Absturz 1996 der gecharterten Boeing der Birgenair mit 189 Passagieren. Kurdische Terroranschläge auf Ferienanlagen und Synagogen in Istanbul 2003. Und selbst daraus lerne man, sagt er vorsichtig. Einen klaren Kopf zu bewahren, nach Lösungen, einem Neuanfang suchen. Wir Südländer, sagt er, und gerade die Türken neigen dazu, uns selbst zu bemitleiden. Das sei nicht seine Sache. Er konzentriere sich auf das, was machbar sei.

Sollte er wenigstens eine südländisch-romantische Ader haben? Ja, als Student, sagt er lachend. Mondschein und Opernarien. Das habe ihm das Leben abgeschliffen. Aber man wisse ja nie. Alles könne sich ändern. Auch bei ihm, der Opern liebe. Und ja, singen könne er auch. Sogar gut, sage seine Frau. Und tritt den Beweis an. "Soltanto sei que felice ..." Irgendetwas zwischen Adriano Celentano und Rossini. Was für ein starker Abgang nach einem so zögerlichen Auftakt! Und übrigens: Seine Augenfarbe ist ein warmes, sattes Braun.

Vural Öger wurde am 1. Februar 1942 in Ankara geboren. Er studiert an der TU Berlin Hüttenwesen und Maschinenbau und eröffnet 1969 den Kern seines heutigen weit verzweigten Unternehmens mit der Öger Türk Tour, spezialisiert auf Gastarbeiter – Nonstopflüge in die Türkei. Ein Jahr später gründet er sein erstes Reiseunternehmen, das heute zum sechstgrößten Anbieter mit einem Umsatz von mehr als 700 Millionen angewachsen ist. 1990 wird er deutscher Staatsbürger, engagiert sich stark für interkulturelle Integration, wird Mitglied der Zuwanderungskommission der Bundesregierung, Gründungsmitglied der Deutsch-Türkischen Stiftung, tritt in die SPD ein und kandidiert 2004 erfolgreich auf Listenplatz 10 für das Europaparlament. Vural Öger lebt mit seiner Familie in Othmarschen.