Schuhmacher ist er, einer der letzten in Hamburg. Doch die Werke von Benjamin Klemann sind nicht für jedermann: Handgemacht und 2000 Euro teuer.

Hamburg. Sie ist nicht hinzukriegen. Die Kurve vom heutigen Nikolaustag zu dem Mann, der Schuhe macht, die nicht vor die Tür gestellt werden sollten. Denn der Nordfriese, der so nett "Hamborch" sagt und so wunderschön erzählen kann, stellt teure handgearbeitete Unikate her, die selbst viel gelebte Füße sanft umhüllen und um die 2000 Euro kosten. Benjamin Klemann, einer der beiden letzten Schuhmacher, die in Hamburg auf reine Maßschuhanfertigung spezialisiert sind - laut Hamburger Schuhmacherinnung.

Ein buntes Leben hat ihn hierher geführt. In die Neustadt. Wenn er davon erzählt, vergisst man alles um sich herum. Den feinen Lederstaub überall. Den kalten Wind, der durch die Ritzen pfeift in diesem alten Haus, in dem schon Schlachter, Tischler und Sattler zu Hause waren. Und sogar die wenig anheimelnde aber perfekte Arbeitstemperatur, wie er sagt, von etwa neunzehn Grad.

In Boldixum ist er geboren. Einem kleinen Dorf gleich neben Wyk auf Föhr. Ein Nachfahre vieler Walfängergenerationen, der ein ganz anderes Handwerk erlernt. Ein solides, findet der Großvater, denn "de Schoster hat immer wat to freten". Ja, sagt Benjamin Klemann, er könne jetzt von all diesen ganz wichtigen Punkten in seinem Leben erzählen. Vor unserem Treffen habe er einen gedanklichen Probedurchlauf gestartet. Und sei drauf gekommen, dass er viel Glück gehabt habe. Aber wie klingt das, sagt er. Glück!? Beharrlichkeit sei besser, denn die sei seine Stärke. Er habe eine Allergie gegen Sätze wie: Geht nicht, das gibt's nicht oder das haben wir noch nie so gemacht.

Wir sitzen neben der Werkstatt in einem Raum, gegenüber der alten Singerledernähmaschine vom Föhrer Sperrmüll, mit der er einst nach London aufbrach, um für den königlichen Hofschuster in der St James Street neben dem Buckingham Palace zu arbeiten. Und einem wunderschönen alten Lederkoffer vom Londoner Spermüll, in dem er sein Werkzeug vier Jahre später zurücktransportiert, um sich auf Gut Basthorst selbstständig zu machen. Sich endlich seinen Traum zu erfüllen. Was für Geschichten!

Dieser Mann mit dem kantigen Profil ist handfest und bodenständig, voll heiterer Herzlichkeit und ansteckender Begeisterung für diesen Beruf mit einer fünfhundert Jahre alten Tradition, dem er schon als Dreizehnjähriger verfallen war. Damals bei dem alten Dorfschuster. Doch bis zum Abitur ist alles vergessen. Er will nur runter von der Insel. Studieren. Theologie, Philosophie oder Sinologie. Macht Zivildienst in Husum. Trifft ihn wieder. Seinen alten Traum. An der Straße Ostende. Eine kleine Werkstatt auf einem Hinterhof. Ein alter Mann mit Brille an einer Nähmaschine. Ein Schuster. Ein Freund tut ein Übriges, erzählt von den teuersten Schuhen seines Lebens, die er für seine Hochzeit gekauft hat. Bei Prange in Hamburg.

An einem bitterkalten Februartag steht Benjamin Klemann dann vor der verspiegelten Eingangstür des luxuriösen Schuhhauses am Jungfernstieg. Er, der Junge aus der Provinz, mit Bart, langen Haaren, Parka, kehrt um, traut sich erst im zweiten Anlauf. Bekommt die Adresse des damals besten dieses Metiers, des Ungarn Julius Harai. Eine Werkstatt fast um die Ecke. In Neumünster. Wie aus einem Charles-Dickens-Roman. Ein morsches Hinterhofgebäude. Ein knurriger, unberechenbarer, cholerischer Chef. Lehrlinge, die vor ihm zittern. Kohleöfen, die morgens angeheizt werden müssen, bevor die Gesellen kommen. Sprechverbot. Nur einmal, sagt Benjamin Klemann, gab es ein Radio für alle. Bei der Bundestagsdebatte um den Misstrauensantrag gegen Helmut Schmidt. So kann Geschichte auch hängen bleiben.

Ja, sagt Benjamin Klemann, da hätte er noch was. Der Tag im Sommer 1985, an dem Boris Becker das Wimbledonfinale gewinnt. Was für ein Sprung! Also dann. Vier Jahre später. Klemann, längst Geselle, will raus aus der "Harai-Hölle", sich bei dem königlichen Hoflieferanten John Lobb bewerben. Mit seinem Gesellenstück unterm Arm. Hier, sagt er und zieht die beiden Schuhe aus dem Regal. Feinste Herrenschuhe. Bei einem Schuster in einer Londoner U-Bahnstation lässt er sich die Fachbegriffe auf Englisch beibringen. Bekommt bei Lobb das Angebot, als Freelancer zu arbeiten. Er soll einfach rüberkommen und sich eine eigene Werkstatt einrichten. Und Boris Becker? Jetzt, sagt Benjamin Klemann. Nun komme der dazu. Boris Becker im Endspiel. Diese Euphorie auf dem Rückflug. Der Pilot, der alle paar Minuten den neusten Spielstand durchgibt. Der Sieg Boris Beckers und sein eigener Aufbruch in eine neue Lebensphase verschmelzen miteinander. So sei auch der zwei Monate später geborene Sohn zu seinem Namen gekommen. Vincent, der Siegreiche.

Der Neubeginn in London wird nicht einfach. Wanderjahre, sagt Benjamin Kleemann. Die Werkstatt in der Wohnung. Kleine Kinder, seine Frau fühlt sich ohne Englischkenntnisse verloren. Doch die Aufträge laufen gut. Für Großherzöge, saudische Prinzen, Tina Turner. Reiner Fußkontakt. Aber edel. Und einmal schüttelt er sogar Sean Connery die Hand. "Eine total spannende Zeit."

Maggie, ruft er plötzlich nach nebenan. Komm doch mal. Erzähl mal von dieser schwierigen Zeit. Ehefrau Magrit, auch Schuhmachermeisterin, steht sympathisch und gelassen in der Tür. Ach, sagt sie, sie hätten das alles immer gemeinsam durchgestanden und aufgebaut. Die Familie, den Betrieb, ihr Leben eben. Und verschwindet wieder.

Und wenn es mal kracht in dieser Idylle. Bei dieser engen Verquickung von Ehealltag und Beruf, von Werkstatt und Wohnung gleich dahinter? Das diszipliniere schon sehr, sagt Benjamin Klemann. Wenn ein Dritter zuhöre, erkenne man doch erst die Blödheit der eigenen Argumente bei einem Streit.

Aber jetzt zu Gut Basthorst, sagt er schnell. In Kurzfassung! Das sei schwer, denn es sei eine so schöne Geschichte. Der erste Kontakt von London aus über einen Makler. Von einer geheimnisvollen Person des öffentlichen Lebens ist die Rede. Die erste Begegnung im Salon des Gutshauses mit Enno Freiherr von Ruffin und seiner damaligen Ehefrau, der Sängerin Vicky Leandros. Die schnelle Einigung per Handschlag. Wie immer. Das seien für ihn einfach die besten Verträge, die direkt von Mensch zu Mensch geschlossenen. Und, ja, vielleicht sei er blauäugig und naiv. Aber mein Gott, sagt Benjamin Klemann. Sonst würde man sich ja gar nichts trauen! Die siebzehn Jahre auf Basthorst werden zu einer herrlichen Zeit. Ein wahres Bullerbü. Kinder, die überall herumtoben, in den Werkstätten, auf den Wiesen und abends am Lagerfeuer. Ennos Gäste, so sagt er, die sich für sein Handwerk begeistern und sich das Ergebnis auch leisten können. Gleichgesinnte Handwerksbetriebe und Künstler als Nachbarn.

Als die Kinder groß sind, brechen Klemanns auf zu neuen Ufern. Wieder dichter ran ans Meer. Finden dieses Haus an der Poolstraße. Mit der perfekten Fassade in ihren Firmenfarben. Gold und Grün. Und unverkäuflich. Aber das Glück eben, sagt Benjamin Klemann. Es klappt. In den ersten Wochen steht er manchmal im Dunkeln draußen, wenn in der Laieszhalle die Lichter ausgehen und die Leute vor seinem Schaufenster mit den vielen hölzernen Schuhleisten stehen bleiben. Hört ein amerikanisches Paar staunend sagen. This man must make a fortune. Der muss ein Vermögen machen. Und ist das so? Nein, sagt er. Nicht mit diesem Handwerk. Pause. Aber verdammt, was sei denn schon Reichtum! Ein glückliches Leben? Ein gutes Auskommen? Man müsse doch nicht alles besitzen. Sich irgendwo hinzusehnen sei doch viel schöner als anzukommen. Und das sagt dieser Mann, der sich seinen großen Traum erfüllt hat! Ja, sagt er lachend. Aber etwas fehle ihnen doch noch. Ein größeres Stück Himmel. Wie auf dem Lande. Und so hat diese Begegnung doch noch was mit dem Nikolaustag zu tun. Dieser Nordfriese bringt einen einfach zum Lächeln. So wie eine Überraschung im Schuh. Selbst wenn man sich die von ihm nicht leisten kann.