Hotelmanager steht es auf seiner Visitenkarte. So hat es Andreas Fraatz am liebten. Bezeichnungen wie “Prinz von St. Pauli“ oder “Willis Erbe“ mag er nciht.

Hamburg. An ihm kommt man nicht vorbei. Auch wenn er es eigentlich lieber so hätte. Der Kiez ohne Willi, das ist heute ganz klar der Kiez mit ihm, dem Enkel, den keiner hier beim Vornamen nennt, wie den Mann, zu dem er selbst Großvater sagte. Der nicht Hof hält wie der Alte und als so verschlossen und verschwiegen gilt, dass sich die Wochenzeitung "Die Zeit" in einem Porträt über ihn am Wort langweilig entlanghangelte, ihn bodenständig nannte und als einen der Mächtigsten auf St. Pauli bezeichnete. Andreas Fraatz, Hotelmanager. So steht es auf seiner Visitenkarte, und so hat er es auch am liebsten. Bei Bezeichnungen wie "Prinz von St. Pauli" oder "Willis Erbe" sträuben sich ihm die Nackenhaare.

Das wird schnell klar, hier oben im gläsernen Turm des Hotel Hafen Hamburg, von dem man auch das neue im vergangenen Jahr fertiggestellte Hotel "Empire Riverside" im Blick hat. Korrekt sieht er aus. Groß und breitschultrig mit einem leichten Hang zum Übergewicht, wie er es selbstkritisch nennt. Und dann muss er doch lachen, dieser so ernsthaft und besonnen wirkende Mann. Nein, also die Fußstapfen des Alten, die seien ihm nicht zu groß. Von der reinen Schuhgröße her zumindest. Willi Bartels, der König von St. Pauli, hatte Größe 43. Und er Größe 45. Na bitte.

Es war ein anderer Kiez als heute, auf dem sein Großvater sein Imperium aufbaute, damals Ende der 40er- und Anfang der 50er-Jahre. Der mit Damenringkämpfen im Schlamm, der verruchten "Jungmühle", dem legendären Hippodrom und in den 60er-Jahren mit dem Eros Center für moralischen Aufruhr sorgte. Ein Kiez, auf dem noch ein Handschlag Geschäfte besiegelte.

Die beiden Enkel, Andreas und Patrick Fraatz, arbeiten anders. Mit nüchternen Verträgen. Sehen sich in der Rolle der Verwalter, Vermieter und Verpachter der weit verzweigten "Fraatz Bartels Unternehmensgruppe", zu der rund um die Reeperbahn und quer über die Stadt verteilt Wohnungen, Gastronomiebetriebe und Hotels gehören. Die beiden hochklassigen direkt am Hafenrand ebenso wie das Low-Budget-Hotel "Stern" an der Reeperbahn.

Er habe den Part übernommen, den Kopf hinzuhalten, sagt Andreas Fraatz. Für offizielle Statements. Aber er halte sich privat lieber bedeckt. Sei kein Freund von persönlichen Geschichten. Das Baugeschäft des Vaters hat Halbbruder Rene geerbt, und Fraatz steht auch groß auf dem Bauzaun am Hotel Hafen Hamburg, das bis zum Jubiläum zum 30-jährigen Bestehen im nächsten Jahr in Teilbereichen modernisiert werden soll. Der Hotelbetrieb läuft trotzdem auf vollen Touren weiter.

Sie hätten ein sehr enges Verhältnis untereinander. Die drei Brüder, sagt er. Mit dem jüngeren, Patrick, würde sogar ein Augenzwinkern zur Verständigung reichen. Und dann diese Männercrew um sie herum. Einfach sensationell und lebenswichtig. Freunde aus Grundschulzeiten, die ihn auch zur Jagd begleiten. Ohne Vorbehalte. Ohne Show. Manchmal auch ohne zu reden. Eine kleine Flucht aus dem Alltag eben. Und am Ende des Tages, sagt er, sitze man doch wieder ganz brav zu Hause auf der Couch bei Frau und Kindern.

Dann machen wir uns auf in "Willis Bierstube". Schleichen uns an seiner bronzenen Büste vorbei bis in eine abgelegene ruhige Ecke, in die sein Blick und der Baulärm kaum vordringen. Über Zahlen sollten wir vielleicht mal sprechen. Lächeln. Schweigen. Ist er wenigstens ein mehrfacher Millionär? Hmmm. Dieser Mann hat erstaunlich grüne Augen. Und kann erstaunlich wortkarg sein. Die Besitzverhältnisse seien sehr verzweigt, sagt er dann. Quer durch die Immobilien und die Hotellerie. Wollen Sie das wirklich erklärt haben? Schön wäre es. Aber muss ja nicht sein. Also haken wir es ab. Genau wie die Frage, wie sehr man bei Geschäften auf dem Kiez immer mit einem Fuß am Abgrund steht. Pause. Selbst sein Großvater, sagt Andreas Fraatz dann, habe lange schon nicht mehr seine Finger in allem drin gehabt, wie die Legende gerne glauben machen möchte.

Ein liebevoller Großvater sei er gewesen. Ein richtiger Vorzeigegroßvater. Großzügig mit Zeit, Geschenken und handfesten Ratschlägen. Wie leben und leben lassen, Arbeit stinkt nicht und jeder Pfennig, den du verjubelst, landet bei jemand anderem in der Tasche. Oder so. Das habe ihn schon geprägt. Er sei nicht geizig, nicht übermäßig sparsam, aber auch kein Verschwender. Finde Wassersparanlagen sinnvoll und vernünftig. Und eine Zisterne zum Regenwasser auffangen, um den Garten zu bewässern. Und womit der Großvater sein Geld verdiente, habe er überhaupt erst mit zwölf auf dem Schulhof erfahren. Und nein, auf dem Kiez sei er damals auch nie bewusst gewesen. Mit dem Opa ins Hotel "Stern", ja. Auf dem Innenhof rumstehen, warten und dann wieder zurück ins Auto und ab nach Hause, an mehr könne er sich nicht erinnern.

Es war eine behütete Kindheit draußen in Blankenese. Mit Colaeis und Fußballspielen, den traditionellen Kämpfen ums höchste Osterfeuer am Elbstrand. Mit Eicheln- und Kastaniensammeln im Hessepark, dem Weiterverkauf für fünf Mark pro Zentner an den eigenen Vater, der es als Winterfutter fürs Wild nutzte und mit einer Schulzeit, die eher als störend empfunden wurde.

Es ist längst ein sehr leises Gespräch geworden. Nur manchmal übertönt vom dröhnenden Lärm eines Schlagbohrers. Wann eigentlich der Großvater in die Zukunftsplanung seiner Enkel eingriff, bleibt dabei immer wieder auf der Strecke. Richtig kennengelernt habe er ihn ja erst, als der Großvater schon siebzig war. Ein komplizierter Mensch, kumpelhaft und knallharter Geschäftsmann zugleich, der genau wusste, wo der Frosch seine Locken hat. Von großer beneidenswerter Autorität. Vor 13 Jahren ist Andreas Fraatz bei ihm eingestiegen, und wenn er selbst jetzt über den Kiez ginge, spüre er zwar eine gewisse Distanz. Aber die Glitzermeile mitsamt ihren brüchigen Ecken sei sein Lebensinhalt. Und auch ein Job, der ihm Spaß mache und von dem er abends nach Hause fahre. Wenn Sie das bodenständig nennen wollen, ja. Dann sei er das. Verheiratet, verantwortlich für eine Familie, ein spannender geregelter Job.

Über seinen vierzigsten Geburtstag reden wir. Ein Punkt, um Bilanz zu ziehen. Ein gut verlaufendes Leben. Mit überschaubaren Träumen. Ohne große Veränderungspläne. Denn das hier sei seine Welt. An der er sehr hänge. Dieses Grau-Grau jetzt im Herbst an der Elbe, sagt er plötzlich verblüffend sanft, wenn die Sonne durchbreche, sich auf der Elbe spiegele, die dunklen Wolken drum herum, der Wind ... Hier in Hamburg ist mein Mittelpunkt, sagt er noch einmal mit Nachdruck.

Auf dem Weg nach draußen gehen wir wieder an dem bronzenen Willi vorbei. Der dunklen Wandtäfelung, dem Buddelschiff, der Schiffsglocke, den vergilbten Fotos. Eine andere, vergangene Welt, aus der er uns fast nachsichtig hinterher blickt. Ein bisschen stolz auch auf den Enkel, an dessen nett verpackter Verschwiegenheit man sich doch fast die Zähne ausbeißen kann.