Heike Gätjen trifft jede Woche Menschen aus Hamburg. Heute Birgit Schnieber-Jastram, Sozialsenatorin a. D.

Was für ein Tag! Die Sonne scheint. Und ein Hauch von Freiheit liegt in der Luft. Eine Sozialsenatorin außer Dienst. Das lässt sich gut an. Auch wenn sie in der nächsten Woche wieder dabei ist. Als Bürgerschaftsabgeordnete. Nach sieben Jahren das Ganze mal wieder aus einer anderen Perspektive angucken, darauf freue sie sich, sagt Birgit Schnieber-Jastram. Politik in kleineren Dosen also. Aber ohne geht nicht? Doch natürlich, sagt sie, aber sie wolle es gar nicht.

Politik gehört zu ihrem Leben. Als Kind schon. Mittags, wenn sie aus der Schule kam, die Kartoffeln nicht rechtzeitig auf dem Tisch standen, war die Politik dran schuld. Ihre Mutter, Margarete Hunck-Jastram, war in Sachen Schule und Kirche unterwegs. Als CDU-Bürgerschaftsabgeordnete. Birgit Schnieber-Jastram tritt früh in ihre Fußstapfen. Wird Mitglied der Jungen Union, macht eine Atempause, als ihre beiden Kinder klein sind und stürzt sich dann wieder voll rein ins Getümmel. Die Ochsentour durch Ortsverbände und Bezirksversammlungen, Wahlkampfbüros, Bürgerschaftsausschüsse bis hin zum Bundestag. Zweimal ist sie dicht dran an der Macht. Als Senatorin im Schattenkabinett von Hartmut Perschau und acht Jahre später in dem von Volker Rühe für Schleswig- Holstein. Dann endlich schafft sie es. An der Seite von Ole von Beust.

Was für ein Riesenpacken an wuseliger Parteiarbeit bis zum Ziel! Nein, sagt sie, Senatorin sei ja nie ihr Ziel gewesen. Die Sache immer, aber nie die eigene Person. Und Gier nach Macht schon gar nicht. Ihr Antriebsmotor sind Pflichtgefühl und Disziplin, die Liebe zu Menschen, das Gefühl, der Stadt dienen zu wollen und beweisen, dass die CDU es in Hamburg schaffen kann. Auch in einer schwierigen Situation. Damals, 2004, nach dem Debakel mit der Schill-Partei.

Wir bestellen im Literaturhaus-Restaurant erst mal was zu trinken. Mineralwasser. Eine große Flasche. Aber wenn Sie stilles Wasser gesagt hätten, hätte ich mich Ihnen angeschlossen, sagt sie. Verbindlich ist sie, höflich, wirkt warmherzig und doch distanziert. Der Preis für ein Leben im Fokus der Öffentlichkeit. Sozialpolitik unter Kostendruck. Da wisse jeder, wie es besser laufen soll, sagt sie. Sieben Jahre Sozialsenatorin, das koste schon Lebenskraft. Man würde dabei altern ohne es zu merken.

Tiefe Spuren haben diese Jahre nicht in ihrem Gesicht hinterlassen. Beneidenswert. Birgit Schnieber-Jastram lacht. Sie könne abschalten, sagt sie. Das sei ihre Stärke. Sie sei auch nie unzufrieden, mit sich nicht und auch nicht mit der Welt. "Ich freu mich einfach, dass ich gut drauf bin." Griesgrämigkeit und Gejammer lägen ihr absolut fern. Auch im täglichen politischen Geschäft. Selbst als sie stark unter Beschuss stand. Wegen der Missstände im Geschlossenen Heim für Jugendliche an der Feuerbergstraße. Das habe ihre Kinder viel mehr beschäftigt, sagt sie, da habe ihr Sohn während seines Studiums schon mal besorgt aus Weimar angerufen und gefragt, was denn jetzt schon wieder über sie in der Zeitung stünde. Wenn man drinsteckt, weiß man, dass das dazugehört. Und Probleme aussitzen? Um Gottes willen, das sei ein völlig falsches Bild. Sie mache nur nicht ein großes Bohei um alles. Erledige die Dinge lieber im Stillen. Ordentlich und pflichtbewusst eben.

Der bestellte Spargel kommt. Mit dem dünn geschnittenen Schinken. Und farbenfroh aufgemischt durch eine leuchtende Blüte. Eine thailändische, essbare Orchidee, sagt die Kellnerin. So was gäbe es bei ihr zu Hause nicht, sagt Birgit Schnieber-Jastram entschieden. Und nein, essen wolle sie die auch nicht.

Irgendwie landen wir plötzlich bei den dunkelblauen Polizeiuniformen, dem Nachlass des geschassten Innensenators Schill. Fürs Auge findet sie die auch viel besser als diese grün-beigen. Aber ansonsten - völlig unwichtig! Und schon gar kein politisches Vermächtnis. Um Gottes willen, sagt sie. Es sei doch wichtig, notwendige gesellschaftliche Veränderungen in die Tat umzusetzen. Das habe sie geschafft, und darauf sei sie stolz. Wie auf das eine zum Beispiel - das Kinderbetreuungsausbaugesetz. Ein elender Wortbandwurm, den sie kurz Kibeg nennt. Unter schwierigen Umständen gestartet, und, ja, da hätte sie sich von den Medien schon mehr Jubel gewünscht. Jeder Frau, die arbeiten will, die Möglichkeit dazu zu geben, sagt sie mit Nachdruck. Das ist doch was!

Ach, sagt sie plötzlich, wie schmeckt denn diese Blüte? Knackig und nach nichts. Gut, sagt sie, dann werde ich es auch mal wagen. Der Spruch der neuen spanischen Verteidigungsministerin Carmen Chacón fällt mir ein. Von diesem Schneckenhaus, das Frauen ewig mit sich herumtragen würden. Dieses Schuldgefühl, nicht allem gerecht werden zu können. Familie, Beruf, Politik. Ihr Schneckenhaus sei leicht gewesen, sagt Birgit Schnieber-Jastram. Die Familie hätte alles mitgetragen. Problemlos und pflegeleicht. Selbst als sie mit ihrem Bundestagsmandat zur Dauerpendlerin zwischen Berlin und Hamburg wurde. Ein Privileg auch, sagt sie ein bisschen zögernd. Eine intakte Familie, ein Mann, der zu einem hält, zwei Kinder, von denen man weiß, sie haben es gepackt. Da sei eine große Dankbarkeit in ihr. Wie ihre Mutter als Alleinerziehende und unter sehr schwierigen finanziellen Bedingungen das damals geschafft hätte, sei ihr ein Rätsel.

Ihre Kindheit jetzt also. Die Mutter frisch geschieden. Der Vater, ein Pastor, wird strafversetzt. Zwei Brüder, die sehr unter der Trennung leiden. Der Wechsel aus dem großen Pastorenhaus in Kirchsteinbek nach Lohbrügge, dann in eine Zweieinhalbzimmerwohnung in Hamm. Zwei Etagen hoch über einer Eckkneipe. Das Geld ist knapp. Das halbe Zimmer wird untervermietet, als der ältere Bruder zum Studium nach Marburg geht. Birgit Schnieber-Jastram jobbt in den Schulferien beim Otto-Versand und gilt als aufmüpfig. Ja, sagt sie. Sie habe sich Aufmerksamkeit immer erzwungen. Als einziges Mädchen zwischen zwei Brüdern. Und in der Schule. Da ist sie "stinkefaul" und heilfroh, dass nach der Mittleren Reife endlich Schluss ist. Sie arbeitet mit großer Freude bei PR-Agenturen und als Redakteurin. Gibt zu Hause Geld ab und lernt schon früh, dass man seine Pflicht tun muss. "Das wurde einem so eingepflanzt." Fürs Nichtstun wird man nicht bezahlt, der Satz stecke drin. Selbstdisziplin und Pflichtbewusstsein. Ja, sagt sie, sie habe im Leben immer so gearbeitet, wie es gebraucht wurde, nie gefragt oder woanders hingeschielt. Kann man sich damit auch ein bisschen selbst im Wege stehen? Sich zuviel abverlangen? Tja, sagt sie, nö, aus der Perspektive habe sie das noch nie betrachtet.

Aber jetzt, wo der Tag nicht mehr so verplant sei, diese Fremdbestimmung wegfalle, da könne sie sich endlich mal um all das kümmern, was auf der Strecke geblieben sei. Reisen mit dem Ehemann. Und ach, sagt sie lachend, endlich mal abends sehen, was man getan hat. Das sei in der Sozialpolitik schwierig. Aber Unkraut jäten - und abends ist das Beet sauber. Das ist doch ein Riesenerfolgserlebnis, oder? sagt sie, noch mehr lachend. Spargel schälen und mit Freunden zusammen aufessen. Und sich auch wieder mehr in ihren Lesekreis einbringen. Sieben Frauen, die ein Buch gemeinsam lesen, drüber reden und manchmal dabei auch völlig abgleiten, erzählen und einfach nur miteinander lachen.

Und so gleiten wir jetzt auch ein bisschen ab. Weg von der Politik, der großen Frage, warum auch sie es nicht geschafft hat, mehr Frauen in verantwortliche Positionen in ihre Ex-Behörde zu bringen. Weg von den praktischen flachen Schuhen, der täglichen Form von Understatement in der Kleidung, "weil man ja allzeit bereit sein muss für jeden Anlass". Dabei geht sie gerne einkaufen. Auch mal was Verrücktes. Wie dieses Knallrote. Ein Kleid etwa? Die Antwort geht im Gelächter unter. Nie getragen auf jeden Fall. Sie sei ein Hosen- und Blazertyp. Genauso wenig rockgängig wie die Kanzlerin. Bei Kleidern habe sie immer dieses Gefühl, "das bin ich nicht". Im Job sei sie außerdem dicker geworden. Und das ihr, die einst ein Twiggy-Typ war. Kaum vorstellbar. So wenig wie die Sache mit den rot lackierten Fingernägeln. Doch, sagt sie, zweimal im Jahr. Schon beim Auftragen auf dem Waschtisch verschmiert. Und dann dieses furchtbare Gefühl, dass die Fingernägel keine Luft mehr kriegen!

Wir trinken noch einen Kaffee. Lachen viel und reden. Über Ehemänner, Kinder, Menschen und Macken. Selbst bei Politikern. Dieser Hauch von Freiheit in der Luft hat schon was. Und steht ihr gut. Vor dem nächsten politischen Einsatz.