Sie agieren wie richtige Menschen. Dabei handelt es sich um Figuren in Computerspielen oder Animationsfilmen. Und doch: Ohne Menschen vor der Kamera geht es auch hier nicht. Wie aus Schauspielern Computerhelden werden.

Haben Sie sich schon mal gefragt, wie sich Computerfiguren bloß so realistisch bewegen können? Philip Weiss (34) kennt die Antwort. Der Gründer und Geschäftsführer der Firma Metricminds, eines Softwaredienstleisters aus Frankfurt, verrät, warum sich Figuren in Computerspielen so realistisch bewegen können.

"Motion Capture" heißt das Verfahren, bei dem Körperbewegungen (engl. motion) realer Personen von Kameras eingefangen (engl. capture) und in mehreren Schritten auf den virtuellen Charakter übertragen werden. Für das gerade erschienene Actionrollenspiel "The Witcher" haben die Frankfurter den Abspann erstellt. Diese Arbeit gefiel den Spieldesignern bei CD Project so gut, dass sie kurzerhand auch die Kampfszenen neu erstellen ließen.

Doch wie funktioniert "Motion Captu re" eigentlich genau? Zunächst werden diverse Kameras benötigt. Im Falle der "The Witcher"-Arbeiten setzte Metricminds 32 Spezialkameras ein, die im englischen Oxford von der Firma Vicon produziert wurden. Eigentlich sind diese Geräte für medizinische Studien entwickelt worden, um bei Gelenkproblemen Ganganalysen durchführen zu können. Sie bilden Abweichungen von weniger als einem halben Millimeter ab. Daher sind diese Kameras auch genau die richtige Hardware.

Als Nächstes wurden zwei Stuntmen in schwarze, wie Ballettanzüge anmutende Outfits gesteckt und diese dann mit etwa tischtennisballgroßen, weißen Markern bestückt. Letztere werden nicht willkürlich auf dem Körper verteilt, sondern mit System. Jedes Gelenk, jeder Hebel muss markiert werden. Um die Bewegung eines Armes zu erfassen, braucht man also Punkte an Schulter, Ellenbogen, Ober- und Unterarm sowie Hand. Da in der Bewegung immer wieder mal einer der Marker verdeckt werden könnte, sind diese häufig mehrfach an einem Körperteil vorhanden. Die Darsteller tragen zur Erfassung der Kopfbewegungen Stirnbänder mit vier dieser Marker - je einen vorn und hinten, rechts und links. Insgesamt waren 60 Punkte pro Person nötig, um einen Bewegungsablauf bei "The Witcher" lückenlos zu dokumentieren. Dann werden die gewünschten Bewegungen mit 160 Bildern pro Sekunde aufgezeichnet.

Was nun folgt, ist Handarbeit. Jedem Marker muss eine Bezeichnung zugewiesen werden. Dieser Arbeitsschritt nennt sich "Labeling". Erst dann erkennt die Software gleiche Marker.

Es kann vorkommen, dass einer dieser Marker verdeckt wird. Dies tritt besonders häufig bei Kampfszenen auf, wenn sich zwei Personen gegenüberstehen und einer die Sicht zur Kamera verstellt.

Auch hier muss wieder Hand angelegt werden. Beim sogenannten Cleanup (engl. aufräumen) werden die Markerlücken gestopft.

Im nächsten Schritt wird der Mittelpunkt eines jeden Markers bestimmt. Normalerweise erledigt diese Arbeit der Computer. Doch bei den Kameraaufnahmen kann es zu Unschärfen kommen, sodass statt eines sauberen Punktes eine Ellipse erzeugt wird. Um unrealistische Bewegungen bei der fertigen virtuellen Figur zu vermeiden, bessert man hier wieder manuell nach.

Sind alle Marker sauber erfasst und die Datenlücken geschlossen, werden alle Messpunkte auf eine Art virtuelles Skelett übertragen ("Skeleton Solving": engl. Skelettlösung). Dieses kann nun die Bewegungen, die vorher die Darsteller ausgeführt haben, perfekt imitieren. Als letzter Schritt folgt das "Retargeting". Hier wird dem animierten Skelett das Aussehen des zu animierenden Charakters verpasst.

Nun kann sich, dank der Arbeit realer Schauspieler, eine virtuelle Figur wie der Hauptcharakter aus "The Witcher" namens Geralt realistisch bewegen.

Doch nicht nur für Computer- und Konsolenspiele ist "Motion Capture" ein wichtiger Bestandteil, um die virtuelle der tatsächlichen Wirklichkeit immer stärker anzugleichen. Auch in der Fernsehwerbung finden sich ständig neue Anwendungsgebiete. Zurzeit philosophiert beispielsweise ein animierter Crashtest-Dummy über das Für und Wider einer neuen Autoversicherung und flimmert geradezu anmutig über den Bildschirm.

Nicht nur Bewegungen des ganzen Körpers werden durch die beschriebene Methode eingefangen und umgesetzt. Gesichtszüge lassen sich so ebenfalls "capturen". Auch hier werden wieder Marker auf dem Gesicht eines Schauspielers platziert. Der schaut dann mit unterschiedlichen Stimmungen in die Kameras. Die gewonnenen Daten können auf jedes künstlich erzeugte Antlitz übertragen werden.

Trotz der atemberaubend echt wirkenden Figuren in "The Witcher" soll nicht unerwähnt bleiben, dass das Spiel erst ab einem Alter von 18 Jahren freigegeben ist und für Jüngere unter dem Weihnachtsbaum nichts zu suchen hat.