Jochen Distelmeyer besingt auf seiner neuen Platte “Heavy“ das “Jenfeld Mädchen“. Auch andere Hamburger Musiker schreiben Texte über ihre liebe Heimat.

Jochen Distelmeyer: Jenfeld Mädchen (aus: Heavy, 2009) Alle jungen Frauen aus Schnelsen, Rissen, Klein Borstel, Hamm-Süd und Wohldorf-Ohlstedt müssen jetzt ganz tapfer sein. Denn Jochen Distelmeyer, mit seiner Band Blumfeld so etwas wie der Posterboy der Geisteswissenschaftsstudentinnen, singt auf seinem Solodebüt ausgerechnet eine Ode an das "Jenfeld Mädchen". Und dabei gibt sich der Herr so, dass er Damenherzen zu entfachen versteht. Sinnsucher, einsamer Wolf - und doch voller Sehnsucht nach der Angebeteten. Eine unschlagbare Kombi. Als Schmacht-Verstärker kommt noch die Jahreszeit hinzu: "Der Herbst ist in der Stadt seit ein paar Tagen", singt Jochiboy zu den Moll-Akkorden der Akustikgitarre. Der so pop-lyrisch aufbereitete Stadtteil ist allerdings kein Utopia, sondern vielmehr Schauplatz einer romantischen Flucht: "Lass uns gehen, fort von Jenfelds Ebenen. Ich reich dir meine Hand und geh den ganzen Weg mit dir".

Solche Verse sind schon der poetische Hammer für einen Ort, der unter anderem für seine Autobahn-Anschlussstelle bekannt ist. "Jenfelds Ebenen" - das klingt nach weiter Steppe, nach "Jenseits von Afrika", nach ganz großem Kino. Im Süden des Bezirks Wandsbek steigen bestimmt spontan die Mieten bei derart herzergreifendem Standortmarketing.

Bernd Begemann: Oh, St. Pauli (aus: Jetzt bist du in Talkshows, 1996)

Der Gassenhauer unter den Stadtteil-Songs von der Rampensau unter Hamburgs Musikern. Als der Slogan "arm, aber sexy" noch nicht mal geboren war, ehrte Bernd Begemann mit seiner schmissigen Beat-Nummer bereits den Kiez als Trostpflaster für gescheiterte Existenzen: "Du hast mich umarmt, als mich niemand anders wollte." Eine feine Anspielung auf das Liebesgewerbe in Hafennähe.

Der Icherzähler ist - auch das ist typisch für die wechselvolle Geschichte des Ortes - ein Zugereister. Und der Ostwestfale zeigt sich durchaus besorgt ob der Strapazen, die seine Wahlheimat erdulden muss: "Samstagnacht kommen sie von überall her und am Sonntagmittag bist du wieder menschenleer. Oh, wie hältst du das nur aus, dieses Hin und Her?""Oh, St. Pauli" ist der legitime Nachfolger von "Auf der Reeperbahn nachts um halb eins". Postmodern ironisiert, versteht sich. Denn während in Hans Albers' Schlager der Matrose auf die See zurückkehrt, zieht bei Begemann eine Sexarbeiterin von der geilen Meile in ein Reihenhaus in Fischbek. "Aber heimlich träumt sie von ... Oh, St. Pauli. Einmal berührt, für immer verflucht".

ClickClickDecker: In Altona trank ich mal einen guten Kaffee (aus: Ich habe keine Angst vor ..., 2005)

Es soll ja Menschen geben, die behaupten, in den Szenequartieren Hamburgs gebe es mittlerweile mehr Latte-macchiato-Schänken als Wohnhäuser. Da scheint es glaubhaft, was Kevin Hamann alias ClickClickDecker mit seinem putzmunteren Gitarren-Stück behauptet: "In Altona trank ich mal einen guten Kaffee". Doch wer jetzt erwartet, musikalisch eine Story mit reichlich duftender Kaffeehaus-Romantik aufgebrüht zu bekommen, hat weit gefehlt.

Der norddeutsche Nuschel-Chansonnier mag's subtil: Er erfindet gerne Liedtitel, die im Song selber nicht mehr vorkommen. Und so sucht der Hörer vergebens nach konkreten Passagen über den westlichsten Bezirk der Hansestadt. Aber die Geschichte über einen, der einzog, das Urbane zu beobachten, klingt schon sehr schön nach den gängigen Laternen-Aushängen "Suche WG-Zimmer in den üblichen Vierteln: St. Pauli, Schanze, Altona". Hamburg wird da erneut als Sehnsuchtsort zwischen Hipness und Hölle inszeniert: "Hier dreht sich alles schneller, Hamburg zeigt, was es kann - wo du gestern gespielt hast, erinnert sich morgen keiner dran". Der Ruhm, die Großstadt - so vergänglich wie ein Coffee to go.

Tocotronic: Nach Bahrenfeld im Bus (aus: Es ist mir egal, aber, 1997)

Anfangs lief die Band Tocotronic noch zu Fuß. 1995, im Video zu "Wir sind hier nicht in Seattle, Dirk" sieht man die Jungs genervt über die Straßen Hamburgs laufen, dass die Kordschlaghose nur so schlackert. Zwei Jahre später nimmt Frontmann Dirk von Lowtzow lieber öffentliche Verkehrsmittel. Das Gitarren-Intro von "Nach Bahrenfeld im Bus" schlurft allerdings so langsam daher, dass der 37er-Schnellbus nicht gemeint sein kann. Erst nach mehr als einer Minute ertönt die Strophe: "Halt mich fest, ich glaub' ich brauch das jetzt. Kauf mir ein Bier, ich trink es dann bei mir. Ich steige ein und bin dann gern allein".

Wer damals nicht in Hamburg wohnte und diesen Song hörte, der fragte sich unweigerlich, wie es wohl zugeht, in diesem Bahrenfeld. Ein erstes Fazit: Dort hat man seine Ruhe. Bierchen trinken und gut ist. Oder doch nicht? Denn als das Stück fast schon beendet scheint, gewittert der Sound noch mal richtig los. Ganz so idyllisch geht es in diesem Bahrenfeld offensichtlich doch nicht zu. Der Gitarrist, der auch der Sänger ist, scheint nicht wirklich im Reinen zu sein mit der Fahrt in den Westen der Stadt.

Fünf Jahre später dichtete die Hamburger Band Kettcar: "Irgendwie ist es doch besser, im Taxi zu weinen als im HVV-Bus". Stimmt, auch in Richtung Bahrenfeld.

Niels Frevert: Niendorfer Gehege (aus: Du kannst mich an der Ecke rauslassen, 2008)

Fast scheint es, als wolle Niels Frevert in "Niendorfer Gehege" einen musikalischen Kontrapunkt setzen zum Fluglärm, der über Hamburgs Nordwesten hinwegbraust. Statt dem Summen der Motoren erklingen da sanfte Streicher - und öffnen das Herz für eine nostalgische Geschichte par excellence. Der Musiker erzählt uns von einer Jugendfreundschaft - und von einem Wiedersehen als Erwachsene: "Wir kennen uns seit wir zwölf sind aus der Diskothek und aus der Jugend Hamburg Niendorf, jeden zweiten Freitagnachmittag". Er schwelgt in Erinnerungen ("Und wir flippten zusammen zu 'I was made for lovin' you'") und schafft Raum für den vertrauten, fremden Menschen ("Hier ist genug Platz für krumme Gedanken"). Niendorf mag keines dieser medial hochgejazzten In-Viertel sein. Und doch zieht es den Protagonisten dieses wunderschönen Liedes kurz zurück: "Und vielleicht auf dem Weg, auf die Wiese im Gehege" - zurück zur Natur, zurück in die Jugend - zumindest für einen Moment.