Sie sind Glückspilze, die es durch die Mauerritzen des Babelturms geschafft haben: Wörter, die Sprachen übergreifen. Über sie wird hier im Döner-Stammlokal sinniert.

Der Döner-Verkäufer in meinem Stammladen ist mir sympathisch, nicht nur seiner Speisekarte wegen. Er ist authentisch, und vor allem: nicht zu freundlich. Das soll jetzt nicht heißen, dass er einem geradezu ins Gesicht springt, wenn man die Frechheit besitzt, bei ihm einen Hähnchen-Döner (gern auch: "Chicken-Döner"), eine türkische Pizza ganz ohne Fleisch oder überhaupt irgendwas zu bestellen. Aber sagen wir mal so: Der junge Mann nimmt die Bestellungen nicht gerade euphorisch entgegen, sondern mit der enervierten Haltung dessen, dem das Leben noch nicht den Platz zugewiesen hat, den er für sich beansprucht. Ein wenig hochmütig notiert er diese oder jene Order. Mit seinem Vater, dem Chef des Imbiss', spricht er Türkisch, einmal hörte ich, wie er in die fremdländischen Worte ein deutsches mischte: "Zulassungsbescheinigung".

Ich hoffte sehr, dass er von irgendwelchen Unterlagen für irgendeine Uni sprach.

Außerdem freute ich mich über den kulturellen Hinweis, den mir diese stolze Existenz der einsamen "Zulassungsbescheinigung" unter all den vielen, sich vertrauensvoll aneinanderschmiegenden türkischen Lauten gab. Denn auch in den Gesprächen einer Kollegin mit ihrer deutschtürkischen Freundin gibt es hin und wieder Germanisches zu hören, "Gewerbeschein" zum Beispiel, oder: "Versandbestätigung".

Wir sind halt ein Volk der Ordnungsfanatiker.

Und das könnte einen flugs in schwere Identitätsnöte stürzen, denn wer will sich schon einer Sprache befleißigen, die schnöden Verwaltungsakten ihre Worte schenkt? Ein Glück, dass mir unlängst erst ein Buch in die Hände fiel, ein Lexikon sogar. Ausgerechnet beim Döner-Essen klaubte ich es aus der Jute-Tasche. "Besservisser beim Kaffeeklatsching. Deutsche Wörter im Ausland" (Heyne, 256 Seiten, 7,95 Euro) heißt es, und seine Lektüre ist erquickend und ersprießlich, weil unser Selbstwertgefühl in luftige Höhen flattert, wenn von Sprach-Exporten die Rede ist. Unser Zungenschlag, benutzt von ambitionierten Mündern in fremden Ländern! Denn angesichts doppelt gepolter Begabungen, die in zwei Sprachen zu Hause sind und aus dem Deutschen wenig Schmeichelhaftes ins Türkische transportieren, und erst recht angesichts der vielen penetranten Anglizismen, die über die entblößten Flanken in unseren Wortschatz einfallen, muss doch mal festgehalten werden: Das Deutsche wandert gerne auch mal aus. Schön zu wissen, dass auch andere Sprachen keinen Verteidigungswall errichtet haben. Ach was: Schön, wie bunt es in der Welt der Sprachen zugeht!

Wie langweilig, immer wieder über die "Denglisch"-Seuche zu jammern: Delektieren wir uns lieber an über 10 000 deutschen Wörtern, die international benutzt werden. "Weißt Du eigentlich, was die Engländer für ein Wort verwenden, wenn sie eine positive Einstellung zum Dasein beschreiben wollen?", fragte ich meinen Dönerverkäufer. "Hä?" "Sie sagen: 'There is much of Lebenslust.'" "???"

Ich blätterte weiter in meinem Büchlein, ich glaube, er wusste nicht, was ich von ihm wollte. Manchmal scheitert Kommunikation, ganz egal, wie polyglott man ist.

Die Soße tropfte aufs Buchpapier, genau aufs "German Fahrvergnuegen", von dem die "New York Times" schwadroniert. Hm, deutsche Autos sind eben Wertarbeit, da ergeben sich nette Nebeneffekte. Manche Wörter werden auch mit geringfügigen Veränderungen eingemeindet, dann heißt es "Epoch-making", lese ich. Und den "Doppelganger" gibt es natürlich auch (längst nicht nur im Englischen), das "Waldsterben", der "Kindergarten", das "Dirndl", und weil wir das Land der Dichter und Denker sind, auch "Das Ding an sich".

Dass ich mich nicht entscheiden kann, ob ich mich meinem Döner vollumfänglich widmen soll oder ihn mir weiter beiläufig reinstopfe, entspricht den Tischmanieren in allen Ländern der Erde. Kulinarisch, lerne ich, sind "Currywurst", "Müsli" und "Delikatessen" auch anderorts bekannt. Na ja, das spricht jetzt nicht unbedingt für die deutsche Sprache, die "délicatesse" aus dem Französischen übernommen hat, nicht für mich spricht das Resultat meines Wissenshungers: Knoblauchsoße auf der Hose.

Ich seufze, pfeffere Buch und Döner auf den Tisch. Ich benötige jetzt dringend eine Serviette, schaue mich suchend um und frage mich noch, wo die "Serviette" wohl etymologisch hingehört, da fällt mein Blick auf das Gesicht des Döner-Verkäufers.

Er grinst.

"Schadenfreude" ist eines der beliebtesten deutschen Wörter im Ausland.