In der neuen Kolumne “Das Experiment meiner Woche“ nimmt Abendblatt-Redakteur Joachim Mischke das Leben und seine speziellen Herausforderungen unter die Lupe. Teil eins der Serie: Unterwegs mit dem Liegefahrrad.

Besitzer von Liegerädern müssen jetzt 93 Zeilen lang ganz tapfer sein, aber das sind sie ja gewohnt. Denn neben Fußpilz und Nordic Walking schafft es kaum ein Begriff, so zuverlässig für hämisches Schnaufen zu sorgen wie eben: Liegerad. Wer da nicht mindestens grinst, der flunkert.

Erwachsene Menschen, die Liegerad (ab jetzt: LR) fahren, verkörpern für mich Brahms' Lebensmotto: frei, aber einsam. Man sollte charakterlich schon sehr gefestigt sein für so was. Kann sich jemand ernsthaft eine Tour de France à la LR vorstellen? Na bitte.

Versuch macht bekanntlich klug. Also: Runter vom hohen Ross, runter aufs LR.

Der Fachhändler für solche Fälle trägt Gesundheitssandalen und rät, sicher ist sicher, zur Jungfernfahrt auf einem zweispurigen Modell. Das hat drei Räder. Aber Dreirad ist eine Vokabel, mit der man jenseits des Kindergartens nicht auf den Straßen seiner Heimatstadt in Verbindung gebracht werden möchte. Die Premiere klappt, danach darf ich aufs Zweirad. Einspurig heißt das und ist eindeutig heikler, was Balance und erst recht gewollte Richtungswechsel angeht.

Die anderen Radfahrer sehen auf Souterrain-Treter herab, oft ist das nicht nur konstruktionsbedingt. Denn das LR, das es sogar als LR-Tandem gibt, ist unter den theoretisch möglichen Fortbewegungsmitteln das, was für manche die FDP bei den Parteien ist: Es gibt sie, bloß - warum? Außerdem bin ich mir sicher, dass Gesundheitssandalen in den stolzen Preisen (ab etwa 2000 Euro und dann steil aufwärts) für diese Mutationen inklusive sind. Und dass es Gleichgesinnten-Rabatte für Oberstudienräte und Physikstudenten mit Zopf gibt.

Das Internet bietet LR-Freundeskreise, deren Mitglieder sich im tiefergelegten Anderssein bestärken. Da steht auch, dass LRs für die sensiblen Fortpflanzungsorgane von uns Männern viel gesünder seien als normale Räder, weil die Sitzposition an entscheidenden Stellen ja viel geräumiger sei. Die dazugestellten Videos von LR-Piloten, die mit windschlüpfrig verkleideten LR-Modellen evelknievelartig über Hindernis-Parcours brettern, sehen sehr nach Slapstick aus. Bestimmt gibt es auch echte Teufelskerle unter LR-Fahrern, trinkfeste Brad-Pitt-Doubles, die einhändig Frauen aus brennenden Häusern retten, sich morgens mit Eiswürfeln waschen, ihre Bierflaschen mit den Zähnen aufmachen und klaffende Radtour-Wunden mit rostigen Heftklammern zutackern.

Auf einer Preisliste ist von "rassigen Liegern" die Rede, aus meiner verwackelten Perspektive war rassig aber äußerst relativ. In einem Katalog ist zu lesen, normales Radfahren bedeutet "vor allem nach oben buckeln und nach unten treten". Das soll dann wohl heißen: Wer im Sitzen unterwegs ist, ist auch sonst ein vor allem karrierefixiertes Kollegenschwein. Ein Mensch, der sitzend über Leichen fährt, zur Strafe aber kinderlos bleibt. Klingt nach Unsympath. Ist mir aber immer noch lieber, als auf Auspuffhöhe und mitleidig belächelt gegen den Strom zu radeln.