Dierk Strothmann über Witwen und Waisen und sich nicht unterkriegen lassen

Zwischen Witwen und leichter Muse muss es eine geheimnisvolle Affinität geben. Man denke nur an die "Lustige Witwe", Filme über Witwenbälle oder an die Witwe Hantje. Witwe Hantje? Viel weiß man nicht über sie, nur dass sie ihren Mann früh verlor, sich aber nicht unterkriegen ließ, sondern selbstbewusst durchs Leben ging, was nicht ganz ohne Einfluss auf die Geschichte unserer schönen Stadt war - jedenfalls auf die Theatergeschichte.

Diese Witwe Hantje erwarb nämlich trotz erheblicher Gegenwehr des Senats eine Konzession, in ihrem Ausflugslokal "Hotel de Rome" am Valentinskamp regelmäßig Theater spielen zu dürfen. Das war irgendwann in diesen Tagen vor 200 Jahren, im Jahre 1809. Gespielt wurde dann ab Herbst des Jahres.

Es war eine ziemlich unruhige Zeit, und es gehörte eine Menge Mut dazu, wichtige Lebensweichen zu stellen, denn niemand wusste, was als nächstes passieren würde. Die Pläne Napoleons waren unkalkulierbar, man musste damit rechnen, dass Hamburg eine durch und durch französische Stadt werden würde. Was dann im kommenden Jahr 1810 prompt geschah.

Doch in solchen Zeiten lassen sich die Menschen gern ablenken. Witwe Hantjes "Theater im Engelsaal" war von Anfang an rappelvoll. Der Name stammt von vergoldeten Engeln an der Balustrade, er soll entstanden sein, weil diese Hantjes kleinen Sohn an den verstorbenen Vater erinnerten. So jedenfalls schildert der heutige Engelsaal-Chef, Tenor und Schauspieler Karl-Heinz Wellerdiek es in seiner historischen Novelle "Die Prinzipalin".

Den Engelsaal gibt es heute noch. Seit 2005 wird auf der winzigen Bühne in der Beletage wieder getanzt und gesungen, gelacht und geweint. Allein im Juli werden mehr als 20 unterschiedliche Stücke gespielt, darunter heute, am 11. Juli, eine Premiere: "Die Haifischbar - die Legende lebt - Folge 2".

In den Jahren zuvor verfiel der Engelsaal zusehends. Nach 1920 wurde er als Teil der Neustädter Gesellschaftssäle genutzt, dann als Redaktionsraum für die kommunistische "Hamburger Volkszeitung", schließlich als Versteigerungssaal eines Auktionshauses. Ende der 90er-Jahre fanden sich Investoren, und der Engelsaal konnte wieder in goldenem Glanz erstrahlen - er steht heute unter Denkmalschutz.

Übrigens musste die Witwe Hantje damals mit ihrem Theater nicht ganz von vorn anfangen. Schon zuvor gastierten Theaterleute in dem alten Konzertsaal am Valentinskamp wie 1794 die französische "Hofschauspieler-Gesellschaft". Überhaupt wurde damals auf den Bühnen viel französisch gesprochen, aber das war kein Problem, denn die Stadt wimmelte von Emigranten, die vor dem Horrorregime der Revolutionäre um Robespierre und Danton geflohen waren. Die kehrten zwar unter Napoleon wieder in ihre Heimat zurück, den Theatern ging aber dennoch nicht das Publikum aus.

Nach dem Tod der Witwe Hantje wurde der Engelsaal von einer Familie Tütje weitergeführt. Nach dem Großen Brand von 1842 erwarb dann ein gewisser Charles Maurice Schwarzenberger, der sich selbst Chérie Maurice nannte, die Theaterkonzession der Witwe und gründete das Thalia-Theater. So gesehen sind das große "Talja" und der kleine "Engelsaal" Verwandte ersten Grades. Hamburgs Geschichte hat immer wieder Überraschungen parat ...