In der Getränkeabteilung reiht sich Biermischgetränk an Biermischgetränk. Die Invasion der süßen Versuchungen bereitet manchem Sorge. Unser Autor meint, Bier muss herb schmecken!

Meistens, eigentlich so gut wie immer, bin ich nüchtern. Manchmal versuche ich freilich, aus diesem oft tristen Zustand auszubrechen. Dann trinke ich ein Bier. Und noch eins. Und dann ... trinke ich noch eins. Bis ich die Welt nicht mehr mit den kalten Augen des tapfer vor sich hin Lebenden sehe, sondern durch den zarten Schleier des Bierseligen. Ab und an gehen solche Zustände in eine Phase des absoluten Verständnisses über. Wenn ich diesen Zustand erreiche, nach dem vierten Bier etwa, fühle ich mich als Träger des Weltgedankens und in Besitz der reinen Wahrheit.

Kürzlich, in einem Café mit Außenbestuhlung am Hein-Köllisch-Platz, erlebte ich einen dieser hehren Augenblicke. Und zwar, als sich eine junge Dame neben mir, eine Hamburg-Schöne, ein Beck's Green Lemon bestellte. Also eines dieser neumodischen Brausebiere, die der größte Frevel sind, den es gibt auf Erden. Kein normaler Bierfreund trinkt so was, dieser Süßkram rinnt nur verzärtelte und honigweiche Kehlen hinunter, dachte ich mir und musterte sie, die elegant zur Flasche griff - diese ruhte nicht mal ganz in ihrer Handfläche, sondern sophisticated an den Kuppen ihrer Finger - und mit gespitzten Lippen zwei Schlückchen nahm. Manchmal macht es ja Spaß, den "echten Kerl" zu mimen, der friesisch herb ist und Pils nur bitter mag. Sollen die Damen doch lieber Cocktails oder Prosecco trinken. Ich mag die Bedienungen, die Kellnerinnen, die nicht nur in München vor wogenden Brüsten dicke Humpen tragen. Das ist eine Frau-Bier-Kombination! Alles andere ist Mumpitz und schadet dem Gerstensaft. Stichwort Reinheitsgebot! Meine Idee also war: Frauen ab sofort jeglichen Biergenuss zu untersagen. Eine klare Ansage, deutlich und mit einfacher These, Prost. Absolute Verbote für Berliner Weiße mit Schuss, Alsterwasser und alle anderen Mischgetränke, in denen Süßes mit Hopfen und Malz gemixt wird. Ab sofort kommt nur noch Pils und meinethalben Weizen auf den Tisch. Das ist artgerechte Bierhaltung, kalauerte ich vor mich hin.

Wenn wir in diesem Heft schon über Geschlechterunterschiede sprechen: Die sollten nicht verwässern. Wenn das schöne Geschlecht zu schwach für Untergäriges mit amtlicher Stammwürze ist, soll es eben die Finger davon lassen. Gerade Gerstensaft, ein urdeutsches Getränk mit uralter Tradition, ist doch identitätsstiftend - auch regional: Müssen zum Beispiel Westfalen neuerdings auch Weizenbier brauen? Noch schlimmer ist aber die allerorts, egal ob in Nord- oder Süddeutschland, anzutreffende Begeisterung, aus Bier zuckrige Ergüsse zu machen.

Am Ende überrennt die Invasion der Fruchtbiere jedes einzelne verheißungsvoll gelb glänzende Pils mit formschöner Schaumkrone. Tragischerweise haben wir, räsonierte ich in Richtung meines Nebenmannes, der nach einem tiefen Zug aus dem Bierglas genüsslich mit der Zunge den Schaumschnäuzer wegleckte, die Misere, dass sich in jedem Supermarkt Biermischgetränk an Biermischgetränk reiht, unserer eigenen Schwäche für Süßes zu verdanken. Es ist jedenfalls nicht überliefert, dass Kopfschmerzbeförderer wie "Diesel" (Bier mit Cola), "Dr. Pepper" (Bier mit Amaretto) und Bockbierbowle von Frauen erfunden worden sind. Worüber ich mich dann eigentlich so echauffiere, fragte mich mein Nebenmann.

Hm, machte ich und bestellte mir einen Kaffee.