Über dem Gartentor spannte sich ein Rosenbogen mit den schönsten Rosen, die ich je gesehen hatte. Sie blühten in einem hellen Gelb-Rosa und waren...

Über dem Gartentor spannte sich ein Rosenbogen mit den schönsten Rosen, die ich je gesehen hatte. Sie blühten in einem hellen Gelb-Rosa und waren schon durchsetzt von tiefroten Hagebutten.

"Und es macht dir wirklich keine Umstände?", fragte ich.

"Kein Problem", sagte er und drückte das Tor auf. "Im Gegenzug kannst du mir ja bei der Quittenernte helfen."

Er deutete auf den Obstgarten zur Linken. Dort sah ich sie stehen: eine ganze Wiese voller Quittenbäume. Noch jetzt, im fahlen Licht eines Herbsttages leuchteten sie, wie nur Quitten leuchten können. Er pflückte eine ab, wägte sie in der Hand und reichte sie mir. Sie hatte flaumige Stellen, die sich anfühlten wie Weidenkätzchen. Ich rieb sie an meiner Wange, da spürte ich seinen Blick.

"Wusstest du, dass der Apfel des Paris, den er der Schönsten der Frauen gab, in Wirklichkeit eine Quitte war?"

Im Haus stand der Geruch von kaltem Fett und Mottenkugeln.

Micha half mir, meine Sachen in das Dachzimmer zu bringen. In dem Ehebett aus Wurzelholz hatten früher seine Großeltern geschlafen. Die Matratze war durchgelegen, die Tapete löste sich von den Wänden, und vor Spinnen war ich hier auch nicht sicher. Trotzdem war ich froh, dass Micha mich aufgenommen hatte. Vor zwei Tagen hatte ich ein paar Sachen in eine Tasche gestopft und war einfach losgefahren, gen Süden. Ich wollte nur noch weg, aus meiner Stadt, aus meinem Leben. Dann war ich mit dem Wagen auf der Autobahn liegengeblieben und hatte mich in die nächste Werkstatt abschleppen lassen.

"Heute wird das nichts mehr", sagte der Meister. "Es ist 16 Uhr, und der Geselle ist krank."

"Ja, wie", stotterte ich, "gibt's hier denn ein Hotel?"

"So was gibt's hier nicht. Aber fragen Sie doch mal den da." Damit hatte er auf den großen dünnen Mann mit dem Zopf gezeigt, der gerade ein Ersatzteil für seinen Trecker abholte. Das war Micha. Irgendwo unterzuschlüpfen, wo mich niemand kannte, das war mir ganz recht. Was wollte ich auch in Italien?

Als ich am nächsten Morgen in die Küche kam, war Micha gerade dabei, den Holzherd einzuheizen. Zum Frühstück gab es Haferflocken mit H-Milch und Salbeitee. Anschließend ging er in den Garten und sah sich die Quitten an. Wir sollten noch den ersten Nachtfrost abwarten, dann müssten sie von den Bäumen, befand er. Offenbar ging er davon aus, dass ich eine Weile bleiben würde.

Ich spürte, dass es auch bei ihm Probleme gab, genau wie bei mir. Im Flur hing ein Foto, auf dem er ein kleines Mädchen auf dem Arm hielt. Es war etwa fünf Jahre alt und ihm wie aus dem Gesicht geschnitten.

Gegen Mittag rief ich in der Werkstatt an. Der Geselle sei noch immer krank und er habe noch keine Zeit für mein Auto gefunden, sagte der Meister. Langsam dämmerte mir, dass hier alles etwas länger dauerte.

In der Nacht gab es tatsächlich den ersten Frost und wir begannen zügig mit der Ernte. Micha bat mich, ihm Geld zu leihen, um Gelierzucker zu kaufen. Oder noch besser: Ich könne dann ja Quittengelee mitnehmen. Ich fand, das war ein fairer Handel.

Die Großeltern besaßen drei riesige schwarze Emailtöpfe. Wir wuschen die Früchte und zerkleinerten sie mit dem Fleischermesser. Als der erste Topf voll war, füllten wir mit Wasser auf und hoben ihn gemeinsam aufs Feuer. Bald setzte sich der Dampf an die Fensterscheiben, und es wurde bullig heiß in der Küche. Micha trat an den Herd, hob den Deckel vom Topf.

"Komm mal her", sagte er, "und riech! Der Geruch von Quitten enthält über 150 flüchtige Verbindungen, der von Äpfeln nur 19. "

Ich hielt mein Gesicht in den heißen Dampf. In dem kochenden Wasser zerfielen die Quitten und nahmen einen blassorangenen Farbton an. Ich dachte an Apfelmus, an Birnenkompott und an Rosen. Micha stand ganz nah neben mir und die Härchen auf unseren Armen berührten sich.

Als die Quitten weich waren, stellte er einen Stuhl mit den Beinen nach oben auf den Tisch, knotete einen alten Kissenbezug daran fest, stellte eine Wanne darunter und schöpfte die Quitten nach und nach in das Tuch. Das Fruchtfleisch zerdrückten wir mit den Händen und strichen mit einem großen Holzlöffel den Saft heraus. Den brachten wir dann zum Kochen, gaben den Zucker dazu und sobald es gelierte, füllten wir ein Glas nach dem anderen.

Das ganze Haus war erfüllt vom Duft des Quittengelees. Er wogte durch die Räume wie eine bernsteingelbe Wolke. Der Dampf legte sich auf meine Haut und verlieh ihr eine rosige Frische, ich fühlte mich geschmeidig und von innen und außen genährt und gesalbt. Micha strahlte, und als wir den ersten Topf verarbeitet hatten und die 37 Gläser vor uns standen, schlang er mir lächelnd den Arm um die Hüfte.

In diesem Moment rief die Werkstatt an. Der Wagen sei fertig, ich möchte ihn bitte abholen.

"Jetzt kannst du nicht weg", sagte Micha, "jetzt muss erst der Gelee fertig werden." Ich legte den Hörer auf und ging mit zitternden Knien auf ihn zu. Wir küssten uns zum ersten Mal.

In der Nacht schliefen wir beide im Ehebett der Großeltern. Er schloss mich fest in seine Arme, das dicke Plumeau lag auf uns, und ich erinnerte mich, dass manche Völker ihre Babys ganz fest einwickeln. Das beruhigt die Kleinen. Immer wieder schob sich das Bild des kochenden Gelees vor meine Augen. In dem sprudelnden Gelborange lag das Geheimnis der Bäume, der Rosen, und ich nahm den Duft und die Farbe ganz tief in mich auf.

Die Arbeit ging uns gut von der Hand, und wir malten uns aus, dass es jetzt immer so weitergehen würde. Der Quittengelee würde uns in aller Welt berühmt machen und Gourmets würden horrende Summen dafür zahlen. Wir würden eine richtige Plantage anlegen und von den Quitten leben.

Den Wagen holte ich irgendwann ab und fuhr ihn in die Scheune.

Sobald der Gelee fest geworden war, stellten wir die Gläser auf die Anrichte in der Küche, und als die voll war, auf die Fensterbänke. Wenn die Sonne hereinschien, leuchteten sie wie kleine Laternen.

Dann kam der Tag, an dem der Gelee fertig wurde. Es waren 371 Gläser voll. Hand in Hand schritten wir unsere Produktion ab und betrachteten unser Werk. Dann packten wir die Gläser in Kisten und Kartons und verstauten sie. Einen halben Tag lang waren wir stolz und zufrieden, doch schon bald regte sich eine unterschwellige Unruhe. Zwischen uns stand eine Frage im Raum. Micha machte Bemerkungen über Stadtmenschen, die nie die Ruhe hatten. Dabei hatte er selber in der Stadt gelebt, war erst vor ein paar Wochen hierher gezogen. Und was hieß das nun? Wollte er, dass ich blieb? Wenig später erklärte er, er sei nun einmal ein Einsiedler, ein einsamer Steppenwolf, und das sei auch gut so.

Es war inzwischen Anfang November, und wenn ich noch nach Italien wollte, musste ich mich beeilen. Mein Auto hatte nicht einmal Winterreifen, und bei Schnee konnte ich die Pässe nicht überqueren. Als ich ihn nach Schneeketten fragte, erwiderte er schroff, er habe keine Schneeketten, und was ich denn damit wolle. Ich suchte meine Sachen zusammen, schaute mir die Landkarte an, beobachtete aufmerksam das Wetter. An dem Abend trank er einige Obstler, war schweigsam und in sich gekehrt.

Als er schließlich zu mir ins Bett kam, lagen wir stumm nebeneinander und starrten in die Dunkelheit. Schließlich sagte er, ich solle doch bitte morgen fahren, es habe alles keinen Sinn, und er könne diesen langsamen Abschied nicht ertragen.

In der Nacht schneite es. Am Morgen lagen 30 Zentimeter Neuschnee, und es war kein Fortkommen. Wir blieben im Bett und liebkosten uns ausgiebig. Im Laufe der Jahre hatte sich in den Nebengebäuden eine Menge Unrat angesammelt: alte Fahrräder, Pferdegeschirr, Küchenschränke aus den Fünfzigerjahren, halbvolle Dosen mit roter Treckerschmiere ... und Micha machte sich schließlich ans Aufräumen. Was er nicht mehr haben wollte, stellte er hinter den Hühnerstall, wo es schon bald unter Neuschnee verschwand. Im Frühjahr wollte er das auf die Kippe fahren. Ich kümmerte mich um das Haus.

"Was ist mit den Kristallgläsern?", fragte ich, als ich die Vitrine in der Stube ausräumte.

"Damit könnten wir doch Weihnachten schön anstoßen!", antwortete er. "Und Ostern."

Im Keller entdeckte ich Vorräte, die wir nun verspeisten: Etwa 100 Gläser Marillen, Apfelmus, aber auch eingeweckte Rotwurst und Braten. Daneben Birnen, Stachelbeerkompott, Pflaumenmus, Grünkohl, Bohnen. Die beiden alten Leute mussten den ganzen Sommer über geschuftet haben, damit sie im Winter zu essen hatten. Wir waren fast einen Monat eingeschneit.

Dann schmolz der Schnee. Eine Schneelawine löste sich vom Dach und ging vor der Haustür zu Boden. Die Luft war viel zu lau für die Jahreszeit, in den Regenrinnen sprudelte das Schmelzwasser, und bald gab der Winter erste Flecken Erde frei. Ich bekam Kopfschmerzen und Michas Laune wurde auch Stunde um Stunde schlechter. Ich ging in die Scheune, um nach meinem Wagen zu sehen. Spaßeshalber ließ ich ihn an und fuhr einen Meter vor und wieder zurück. Als ich ins Haus zurückkehrte, raunzte Micha mich an: "Du kannst es wohl gar nicht erwarten, wieder nach Hause zu kommen?!" Ich war perplex. Wie konnte er das sagen? Ich fühlte mich inzwischen bei ihm zu Hause. Wollte er mich loswerden? Aus Ärger sprach ich kein Wort mehr mit ihm. Er suchte im ganzen Haus meine Sachen zusammen und legte sie mir auf den Küchentisch.

Nun, da der Schnee es nicht mehr bedeckte, sah man erst, wie baufällig das Anwesen war. Der Hof glich einer Müllhalde, doch als ich Micha anbot, ihm zu helfen, den Krempel auf die Kippe zu fahren, winkte er ab. Er war mürrisch und abweisend. Trotzdem wollte ich eigentlich gar nicht fahren. Ich wartete darauf, dass er endlich sagte, ich solle doch bei ihm bleiben, aber er sagte nichts. Er packte ein paar Kisten mit Quittengelee und stellte sie mir ans Auto.


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