Das Hotel Hassler in Rom, am Kopfe der berühmten Spanischen Treppe. Leonardo DiCaprio hat sich in Schale geworfen. Sonst fläzt er sich gern in Sweatshirt und Jeans herum. Heute sieht er wirklich smart aus, weltmännisch - gar nicht mehr so jungenhaft wie sonst. Ein Gespräch über Amerikas Zukunft mit Barack Obama, die Liebe zu kontroversen Filmprojekten und seine Verbindung zu seinem Mutterland Deutschland.

Journal:

Herzlichen Glückwunsch! Freuen Sie sich über die Wahl Obamas?

Leonardo DiCaprio:

Natürlich! Und wie!



Was erwarten Sie persönlich von diesem Sieg?

Ich habe gerade eine Rede von Martin Luther King gehört, darin hieß es: "Man soll jemanden aufgrund der Tiefe seines Charakters beurteilen, nicht nach der Farbe seiner Haut." Ich bin so stolz auf mein Land, dass es genau das getan hat. Die Menschen wussten, dass die vorige Regierung uns in vielen Bereichen auf einen falschen Weg geführt hat. Jetzt aber hat Obama die Kraft - ich möchte bewusst das Wort Macht vermeiden, das ist ein so sensibler Begriff -, um einige Gesetzgebungen zu veranlassen, die weitreichende Veränderungen in unserem Land bewirken werden, ob beim Umweltschutz, in der Wirtschaft oder im Krieg. Und diese Veränderungen werden eine weltweite Wirkung haben. Ja, das ist ein wunderschöner Tag für Amerika und ein historischer Moment zugleich.



Haben Sie sich die Wahl im Fernsehen angeschaut, trotz Zeitverschiebung?

Natürlich! Ich war im Jahr 2000 auch schon in Rom, als das Gore-Bush-Debakel stattfand, für "Gangs of New York". Ich blieb die ganze Nacht auf, aber morgens hatten wir immer noch keinen Präsidenten. Und es dauerte noch Monate, bis das Ergebnis endgültig feststand. Ich weiß, dass ich schon längst wieder vor der Kamera stand und während der Dreharbeiten noch immer fragte: "Haben wir endlich einen Präsidenten?" Zum Glück war es dieses Mal anders.



In der "New York Times" wurde schon geunkt, ob Bush in der Übergangsphase wohl noch Schaden anrichten kann ...

Nun, es sind nur zwei Monate, bis er seinen Krempel aus dem Weißen Haus schaffen muss. Was für Schaden er noch anrichtet? Ich hoffe einfach, dass es unter Obama eine Wende um 180 Grad geben wird. Das Land muss endlich wieder mit seiner Regierung und ihren Visionen übereinstimmen, was jetzt so lange schon nicht mehr der Fall war.



Sie haben sich aktiv eingemischt: Sie haben die Initiative gestartet, im Internet einen Werbespot zu schalten, in dem Sie und einige Hollywood-kollegen zur Stimmabgabe aufrufen.

Ja, das ging von mir aus. Etwa 1 1/2 Monate vor der Wahl wollten wir darauf aufmerksam machen, dass der Stichtag für die Registrierung zur Wahl immer näher rückt. Das ist nur einer der verwirrenden Punkte in unserem ... ähem, derangierten Wahlsystem, das hoffentlich auch bald geändert wird! Das Tolle an dieser Wahl war, dass sie im Zeitalter des Internets stattgefunden hat. Das ist ein völlig neues Medium, um Leute zu erreichen.



Obama hat es auch verstanden, das Internet für sich zu nutzen und damit die jungen Leute an sich zu binden.

Während der Kerry-Kampagne gab es das Internet auch schon, aber es hatte nicht die weitreichende Wirkung wie heute. Ich weiß noch, wie ich für John Kerry in 14 Staaten gereist bin, um über Umweltschutz zu sprechen. Aber das hatte längst nicht die Breitenwirkung wie dieses kleine Video. Schon am folgenden Tag war es von mehreren Millionen angeklickt worden. Und viele User haben sich direkt im Anschluss für die Wahl registrieren lassen, das wurde nachgewiesen. Ich finde es noch immer völlig unfassbar, was man durch das Internet erreichen kann.



Da haben Sie also der Demokratie Ihres Landes einen großen Dienst erwiesen. Wie haben Sie es angestellt? Einfach den Hörer abgehoben und Cameron Diaz, Scarlett Johansson, Harrison Ford, Steven Spielberg, Tom Cruise und die anderen angerufen?

Ja, so ziemlich. Alle waren Feuer und Flamme, etwas beizusteuern. Wir sind fast wie eine Armee angetreten, um zur Wahl aufzurufen. Jetzt ist es geschafft! (wirft die Arme hoch und lacht)



Fehlt jetzt nur noch der Anruf bei Obama, um zu gratulieren.

Ich bin mir sicher, er hat gerade zu viel auf dem Tisch, um von mir einen Telefonanruf entgegenzunehmen. "Hallo Mr. Obama. Ich wollte nur sagen: Herzlichen Glückwunsch!" "Oh danke, wie nett. Sonst noch was?" "Nein, nein, das war's schon."



Glauben Sie, dass nun auch die Drohungen aus dem terroristischen Lager abnehmen werden?

Darauf weiß ich keine Antwort. Aber die neue Regierung ist ganz klar gegen den Krieg, das wird einige Änderungen mit sich bringen. Jedenfalls hat Obama in den Fernsehdebatten klar geäußert, dass er die Truppen dort abziehen will.



Ihr neuester Film "Der Mann, der niemals lebte", basiert ja inhaltlich auf dem Einmarsch der USA in den Mittleren Osten. Ein stark politischer Film.

Wir porträtieren darin die Unzulänglichkeiten der amerikanischen Politik. Aber wir haben uns der üblichen Klischeeeinteilung in "gute Jungs, böse Jungs" verweigert. Stattdessen haben wir das gesamte Spektrum der Beteiligten diffamiert. Alle sind schlecht, niemand ist schuldfrei. Bei uns ist der Krieg rau, verwirrend und sehr chaotisch.



Was hat Sie dazu veranlasst, bei diesem Film mitzuwirken: die Story, der Nahe Osten - oder einfach eine Zusammenarbeit mit Ridley Scott und Russell Crowe?

Filme wie diesen machen die großen Studios nicht oft. Sie stecken ihr Geld selten in Filme, die sich einem kontroversen Thema widmen, mit dem die Leute eh jeden Tag in den Nachrichten berieselt werden. Wenn dieser Film in den USA nicht so erfolgreich lief, dann lag das meiner Meinung nach daran, dass die Menschen sich mit den darin enthaltenen Tatsachen nicht auseinandersetzen wollen. Aber das Studio ist dieses Risiko eingegangen, und ich hoffe, dass weiterhin solche Filme finanziert werden. Würde man mir wieder die Möglichkeit geben, an so einem Projekt mitzuwirken, wäre ich auf jeden Fall dabei! Ich wurde ja auch noch damit belohnt, auf so tolle Leute wie Ridley Scott und Russell Crowe zu treffen.



Sie spielen einen Geheimagenten, der versucht, al-Qaida zu manipulieren. Mit einer Story à la 007 hat das wenig zu tun. Stylish sind Sie in diesem Film nie - Sie verunstalten sich sogar mit einem Vollbart. Wessen Idee war das?

Nun, ich habe viele Gespräche mit Agenten vor Ort geführt. Sie haben mir gesagt: "Es ist einem permanent bewusst, dass man ein Außenseiter ist. Du ziehst immer Aufmerksamkeit auf dich. Auf der Straße fällst du als Nicht-Araber sofort auf. Du fühlst dich, als hättest du Micky-Maus-Ohren auf." Um sich also der Umgebung so gut wie möglich anzupassen, gaben sie mir den Rat, mir einen Bart wachsen zu lassen, und Bart, Augenbrauen und Haar mit Schuhcreme dunkel zu färben. Diese Gespräche waren mir sehr nützlich.



Haben Sie eine besondere Beziehung zum Nahen und Mittleren Osten?

Gedreht haben wir in Marokko. Ehrlich gesagt hat es mich noch nie in den Orient verschlagen. Marokko muss für Hollywood ja immer als Mittlerer Orient herhalten. Allein Ridley Scott war schon viermal dort und hat dort jedes Mal ein neues Land "abgedreht". Auf jeden Fall bin ich sehr fasziniert von dieser Welt-region. Ich würde gern mehr über die Kulturen, Menschen und Geschichte wissen. Leider habe ich außer jetzt für Marokko bisher noch keine Gelegenheit gehabt, dorthin zu reisen.



An Ihrer Seite fällt - nicht nur wegen ihrer Schönheit - eine junge iranische Schauspielerin auf, die hier ihr Hollywooddebüt hinlegt. Golshifteh Farahani. Wie sind Sie mit ihr ausgekommen? War sie als Debütantin eingeschüchtert?

Golshifteh schüchtern? Überhaupt nicht! Ich habe mich mit ihr angefreundet. Sie ist für mich nicht nur eine großartige Schauspielerin - wir teilen auch politische Ansichten. Sie hat viele Probleme auf sich genommen, um diesen Film machen zu können. Ich will und kann nicht an ihrer Stelle sprechen, aber Golshifteh hat eine gehörige Portion Mut bewiesen, dass sie diese Rolle spielen wollte. Ich finde, die Leute sollen sie in diesem Film sehen: Ihr Talent reicht bis zum Himmel, sie ist extrem begabt und hat eine glänzende Zukunft vor sich.



Sie ist, das fällt auf, immer den gesellschaftlichen Sitten entsprechend, respektvoll gekleidet. Hat sie Ihnen den Mittleren Osten nähergebracht?

Oh ja, sie hat sehr großen Anteil daran gehabt, die Beziehung zwischen Ferris und der Krankenschwester zu gestalten. Sie hat uns darauf hingewiesen, wo die Grenzen sind, die man nicht zu überschreiten hat, besonders zwischen einer einheimischen Frau und einem amerikanischen Mann. Sie hat mir klargemacht, was geht und was nicht: Miteinander reden ist okay, aber alles, was darüber hinaus geht, ist unangebracht. Ich habe nur mit großen Ohren gelauscht. "Okay okay, ist gut! Alles klar! Habe verstanden!" Sie hat viel Wert darauf gelegt, dass wir diese Freundschaft so darstellen, wie sie sich in Wirklichkeit abspielen würde.



Gibt es in Ihren Filmen eine Figur, die Ihrer eigenen Persönlichkeit am nächsten kommt?

Schwierige Frage. Ich glaube, dass "Der Mann, der niemals lebte" meine politischen Ansichten spiegelt. Ich halte mich für einen Patrioten, obwohl ich nicht alles für gut befinde, was mein Land so tut. Andererseits bin ich nur ein Schauspieler, der eine Rolle verkörpert, während es Leute gibt, die ihr Leben tatsächlich in der Weise riskieren und dabei unheimlichen Mut beweisen. Ich selbst könnte das in der Form nie tun, umso mehr respektiere ich die Leute, die das können.



Was verbindet Sie denn mit Deutschland?

Eine Menge, immerhin bin ich der Sohn meiner Mutter. Sie kam als Einwanderin aus Deutschland und besaß so gut wie nichts. Auf jeden Fall kein Geld. Sie hat hart gearbeitet, um sich hier ein Leben aufzubauen. Aber trotzdem hat sie es geschafft, mir alles zu geben, was ich brauchte. Sie hat ihre Kraft buchstäblich in mich investiert. Durch sie bekam ich die Chance, das zu werden, was ich bin. Stellen Sie sich vor, da kommt ein neunjähriger Steppke an und heult, er will Schauspieler werden. Sie nahm mich ernst. Und wenn ich schrie: "Bring' mich zu Castings!", tat sie es tatsächlich. Ich verdanke ihr alles.



Mit 34 Jahren sind Sie schon ein Veteran in diesem Geschäft - Sie kennen es seit 20 Jahren. Einer Ihrer ersten Erfolge war "Gilbert Grape". Jeder dachte, Sie seien wirklich zurückgeblieben, so überzeugend spielten Sie. Denken Sie gern an Ihre Anfänge zurück?

Nun, ich weiß noch, dass das die Zeit der großen Veränderungen in meinem Leben war. Jedenfalls war ich so überglücklich, dass ich die Chance bekam, mit Lasse Hallström, Johnny Depp und Juliette Lewis arbeiten zu dürfen. Diese Rolle war fantastisch, und dass ich mitmachen durfte ... Ich werde fast wehmütig, wenn ich mir den Film heute anschaue. "Gilbert Grape" und "This Boy's Life" mit Robert De Niro nehmen einen ganz besonderen Platz in meinem Leben ein. Ich denke an beide sehr gern zurück und fühle mich nach wie vor geehrt, dass ich dabei sein durfte.



Sie haben hart, aber auch erfolgreich daran gearbeitet, Ihren jungenhaften Charme aus "Titanic" abzulegen. Verfolgt der Vorwurf des "Milchbubis" Sie noch manchmal?

"Titanic" war der erfolgreichste Film aller Zeiten. Angesichts dieser Tatsache war mir schon klar, dass ich von nun an machen kann, was ich will, dieser Film wird immer ein Teil von mir und meinem Image sein - bis in alle Ewigkeit. Wenn man eine lang anhaltende Zukunft in der Filmindustrie haben will und sich als Schauspieler in verschiedenen Rollentypen weiterentwickeln will, dann nimmt man so einen Film als große Ausnahme hin und geht danach einfach seinen Weg weiter. Das ist alles! Ich bin nach wie vor stolz auf diesen Film und dass er Geschichte geschrieben hat. Aber ich bin mir dessen bewusst, dass mein Name weiterhin automatisch mit diesem Film assoziiert werden wird.



Den Kinozuschauern bedeutet es viel, Sie im Januar in "Revolutionary Road" mit Kate Winslet wieder vereint zu sehen. Was bedeutet es für Sie?

Kate und ich haben es geschafft, seit "Titanic" Freunde zu bleiben. Für mich ist sie einfach die großartigste Schauspielerin ihrer Generation. Ganz abgesehen von der interessanten Thematik dieses Films wäre sie allein schon Grund genug gewesen, um hier mitzumachen. Unser Erfolg in "Titanic" hätte uns prädestiniert, wieder miteinander zu arbeiten. Aber das ist es nicht. Es ist Kate - und der großartige Stoff.



Worum geht es in dieser Geschichte?

Um ein Ehepaar. Der Mann rebelliert gegen das Klischee des für die 1950er typischen idealistischen Amerikaners. Er will nach Paris ziehen, um diesem Klischee zu entgehen. Aber das funktioniert nicht so richtig, trotzdem versucht er weiterhin sich anzupassen und systemkonform zu leben, während es seine Frau innerlich regelrecht zerreißt.



Ein psychologisches Drama?

Es ist eine tief menschliche Geschichte. Kate und ich haben schon viel über "Revolutionary Road" diskutiert. Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass das Paar, das wir spielen, Jack Dawson und Rose DeWitt sein könnten, die Figuren aus "Titanic" - allerdings nach ihrer Hochzeit und dem Umzug in einen beschaulichen Vorort. Wir spielen, was mit ihnen und ihrem Leben passiert, wenn die Realität sie erstmal einholt.