Ein Gespräch über ausgezeichnete Zeitungsseiten und die Träume und Beobachtungen des Blattdesigners Norbert Küpper.

Journal:

Herr Küpper, am Dienstag werden in Wien die "European Newspaper Awards" für vorbildliche Zeitungsgestaltung und -konzepte verliehen. Der Preis gilt als europäischer Zeitungs-Oscar. Warum haben Sie den Wettbewerb vor acht Jahren ins Leben gerufen?



Norbert Küpper:

Es ging mir darum, den Informationsaustausch innerhalb Europas zu verbessern. Die Zeitungen sind voller kreativer Einfälle. Man kann viel voneinander lernen. Kreative Ideen, neue Konzepte, das ist das, was die gedruckte Zeitung immer wieder braucht, um interessant und leserfreundlich zu bleiben.



288 Zeitungen aus 26 Ländern haben sich am 9. Wettbewerb beteiligt. Was sind die größten Trends, die Sie beobachten?

In ganz Europa geht der Trend eindeutig zum kleineren Tabloid-Format, dem halben Zeitungsformat. Nur in Deutschland herrscht bislang Zurückhaltung. Als Tageszeitungen erscheinen lediglich "Welt Kompakt" und "Frankfurter Rundschau" im halben Format. Aber es ist abzusehen, dass andere aufs Tabloid- oder aufs Berliner Format folgen. Bei den Fotos geht der Trend zu größeren Bildern aber auch zu weniger Bildern. Es gibt mehr Grafiken, mehr Ergänzungstexte und einen Trend zu einer magazinigen Zeitung. Aber viel entscheidender sind die Inhalte: Die Tageszeitungen müssen sich auf die Suche nach neuen Inhalten machen, die noch nicht verbraucht sind. Die nackten Nachrichten kennen die Leser meist schon aus dem Fernsehen, dem Radio oder der Startseite im Internet.



Wie sollte die Tageszeitung damit umgehen?

Magazin heißt auch, dass man öfter mal aus dem normalen Layout und dem täglichen Raster herausbricht. Zum Bei-spiel: die Terroranschläge am 11. September 2001. Selbst bei einem so großen Ereignis brachen die meisten Zeitungen nicht aus ihrer normalen Struktur heraus. Da fehlt die nötige Flexibilität, die Ressortmauer einzureißen.



Wo führt der Trend zur Magazin-Zeitung hin?

Der logische nächste Schritt wäre irgendwann, dass die Zeitungen auch auf ein besseres Papier gehen. In Dubai gibt es Zeitungen, die auf Hochglanzpapier gedruckt werden, aber das ist natürlich extrem teuer.



Sollte die Tageszeitung edler werden?

Ja, es gibt einen eindeutigen Trend bei den Tageszeitungen zu einer wertigeren Optik. Die Zeitung soll filigraner, soll edler wirken. Selbst bei den Boulevard-Zeitungen wie "Bild" werden immer mehr seriös wirkende Schriften mit Serifen eingesetzt. Das wirkt nicht nur edler, sondern auch femininer.



Ganz wichtig: Das Layout muss immer zum Inhalt passen. Eine Lokalzeitung darf nicht wie ein großes überregionales Blatt daherkommen, und Sportseiten dürfen nicht so statisch sein, wie Wirtschaftsseiten.

Sie haben in den vergangenen 20 Jahren mehr als 80 Zeitungen neu gestaltet. Was hat sich verändert?


In den 90er-Jahren sollten die Artikel bei vielen Zeitungen nur noch maximal 80 Zeilen lang sein, weil man festgestellt hatte, dass Leser bei längeren Berichten aussteigen. Das führte bei manchen Zeitungen zu lauter gleich langen Texten. Derzeit werden die Aufmacher wieder länger. Die restlichen Texte aber deutlich untergeordnet. Die Seiten sollen eine klare Hierarchie bekommen. Das signalisiert dem Leser: Das ist wichtig - und das ist weniger wichtig. Es werden mehr Schwerpunkte gesetzt. Früher ging es beim Neugestalten einer Zeitung nur darum, ein neues Design zu entwickeln. Ein paar neue Schriften, andere Farben, ein neues Layout. Heute geht es mehr darum, mit der Redaktion gemeinsam das Konzept für die jeweilige Zeitung weiterzuentwickeln.


Welche Auswirkungen hat das Internet aus Sicht des Gestalters auf die Zeitung?

Das Internet hat kaum Einfluss auf die Gestaltung der Zeitung - sehr wohl aber auf die Inhalte. Einzige Ausnahme ist vielleicht der Trend zu extremen Querformaten bei den Bildern, der aus dem Internet herüberschwappt. Extreme Hochformate funktionieren auf Webseiten gar nicht, weil man die Seite hoch und runter scrollen muss, um das Bild ganz zu sehen. Mit Hochformaten tun sich aber auch viele Redakteure schwer, obwohl sie auf der Zeitungsseite wunderbar funktionieren. Generell kann man aber bei den Bildformaten einen Trend weg von den klassischen Postkartenformaten hin zu extremen Formaten beobachten. Das macht eine Seite immer spannender.



Sie gestalten Zeitungen in ganz Europa neu. Was fällt im Vergleich zwischen den Ländern auf?

Deutsche Journalisten sind immer geschockt, wenn sie hören, wie viele Gestalter und Fotografen es bei den skandinavischen aber auch bei den spanischen und portugiesischen Zeitungen gibt. Bei der norwegischen Zeitung "Bergens Tidende" gibt es 100 Redakteure, 15 Layouter, 13 Fotografen und obendrein sogar zwei Art-Direktoren und einen Kreativ-Direktor. Da wird auf die optische Führung und Umsetzung sehr viel Wert gelegt.



Wohin geht der Trend bei den deutschen Zeitungen?

Es gibt interessante Tendenzen zu einer Magazinisierung der Zeitung: Die "Thüringer Allgemeine" zum Beispiel macht jeden Sonnabend eine stark an ein Magazin angelegte Zeitung. Das beginnt vorne auf der Titelseite mit einer Gestaltung, die sich deutlich von den Werktagen abhebt und geht bis hin zu ganz anderen Themensetzungen als an den übrigen Tagen.



Wenn Sie eine ganz neue Zeitung entwickeln dürften: Wie sähe die Wunschzeitung aus?

Die Zeitung sollte entgegen dem allgemeinen Trend nicht im Tabloid-Format erscheinen, sondern im sogenannten Berliner Format. Das ist deutlich kleiner als das nordische Format, in dem das Hamburger Abendblatt gedruckt wird. Es ist so handlich wie eine Tabloid-Zeitung und bietet gleichzeitig die Möglichkeit, so gut wie im vollen Format zu präsentieren. Meine Wunschzeitung hätte täglich eine ganze Sektion, die aussähe wie ein Magazin. Die Zeitung hätte eine Doppelseite mit einer Fotoreportage. Dieses Genre, eine Geschichte vor allem mit wirklich guten Bildern zu erzählen, beherrschen die Skandinavier hervorragend. Im Rest Europas ist das Genre absolut unterbelichtet.



Das Gespräch führte Berndt Röttger