TISCHFUSSBALL ist aus den kleinen Eckkneipen in die Szene-Lokale rübergewandert: Auf dem Kiez wird gebolzt - mit Liga und Feldstudien.

st das ungesund! Immer diese Haltung, leicht nach vorn gebückt, die Hände an zwei Griffen. Man kann sich auch im Stehen verausgaben, zwischen Herbertstraße und Hans-Albers-Platz. Aus dem offenen Fenster der "Roten Laterne" hört man Reggae-Vibes und das Klackern einer Kugel. Eigentlich ist in der Bar auf St. Pauli vor 23 Uhr noch nichts los. Nur der Tischkicker ist umlagert. Hier treffen sich Ricus, Daniel, Jan und Co., alle Anfang 20, um sich die Stange(n) zu halten. Sie haben den Dreh raus. Tischfußball-Time! Es gibt viele Möglichkeiten, eine Nacht auf dem Kiez zu verbringen - Tischfußball ist die andere. Ricus schätzt das Gesellschaftliche: "Ist schön, sich einmal pro Woche zu treffen, Zeit für ein Bierchen bleibt auch zwischendurch." Der 23-Jährige war schon während der Schulzeit in seinen Freistunden auf den Tisch gekommen, in einer Eckkneipe. Doch die kleine Kneipe stirbt langsam aus. Und in der anderen Domäne der Tischfußballer, den Häusern der Jugend, ist die Stimmung eine andere. Wenigstens beim Deutschen Roten Kreuz fanden Ricus und Freunde noch Tischkicker, in den Pausen ihres Zivildienstes. "Zivis" sind sie nicht mehr, am Tisch stehen sie weiterhin. "Einmal haben wir von zehn Uhr abends bis fünf Uhr früh gespielt", erzählt Jan, Azubi zum IT-Systemkaufmann. Erst danach hätten sie gemerkt, dass es taghell ist, sagt Daniel. Doch die Szene schläft nicht. In Kiez-Lokalen wie "Lunacy" oder dem "Ex-Sparr" erlebt Tischfußball ein Revival. Die U 30, die Unter-30-Jährigen, haben es meistens in der Hand, nicht selten in Trainingsklamotten bekannter Sportausrüster. Nachdem die New Economy das Spiel zu ihren Boomzeiten für sich entdeckt hatte - ein Tischkicker zum Abreagieren von der Bildschirmarbeit in einem Nebenraum war fast Pflicht -, haben auch andere Unternehmen den Trend aufgegriffen. Zum Beispiel der Snackhersteller Chio. Der hatte noch vor der Fußball-WM eine Turnierserie initiiert und ermittelte für den "Chio Kick 2002" bei sieben Events in sieben deutschen Großstädten die regionalen Gewinner - Ricus und Daniel wurden in der "Roten Laterne" gecastet. Als Hamburger Sieger mischten die beiden unter dem Teamnamen "Die Zwei ??" beim Finale in der Hamburger Bar "Nouar" mit. Dort gaben Duos wie "Knall den Ball" oder "Lucky Punch" den Ton an, während Moderatoren wie der ehemalige Viva-Vorzeigetyp Nilz Bokelberg bei lauter Disco- und House-Musik verbal ihren Senf dazugaben. In bierseliger Stimmung wurden zwar nicht die Partien verschoben, jedoch die jeweils vier Stangen. Das nennt man dann Taktik. Das Bewegen des Tisches ist allerdings verboten, und bei sechs erzielten Toren steht der Sieger fest. Es gibt schließlich Regeln, nachzulesen im Internet unter www. tischfussball.de . Auch das Drehen der Stangen ist laut Absatz 11.1. regelwidrig. "Drehen bedeutet die Rotation irgendeiner Figur um mehr als 360 Grad vor oder nach einer Ballberührung", heißt es. Und wenn schon solche Regeln existieren, darf natürlich eine Tischkicker-Bundesliga nicht fehlen. In der hat auch "Knall den Ball" seine Finger im Spiel, nennt sich dort aber "Kicker Arena Frankfurt". Chris Marks, die eine Hälfte des in Hamburg siegreichen Duos, war bereits süddeutscher Meister und Weltmeisterschafts-Fünfter im Einzel. "Bei Wettbewerben gibts die Kategorien Neulinge, Amateure, Master und Elite", klärt der Hesse auf. Bei den Deutschen Meisterschaften im Vorjahr wurde um 36 000 Mark gekickert; bei der WM in Las Vegas ging es schon um 130 000 Dollar. Da wird das Hobby schnell zum Geschäft. Gilt übrigens auch für die Kicker-Hersteller: Jedes Land hat seine eigenen Tische. In den USA heißen die Geräte "Tornado", in Frankreich "Babyfood", in Belgien "Jupiter", und in Deutschland wird am "Löwenkicker" hantiert. Der in der "Roten Laterne" sei der Schönste, meint Jan. Von dem "Ligakram im Süden" hält er nicht so viel. Eine 50-Cent-Münze (für neun Bälle) müssen Neulinge trotzdem auf den Rand des Tisches legen. Nur dann dürfen sie das siegreiche Duo fordern. Im "Roschinsky's" am Hamburger Berg haben sich Maria (21) und Tine (22) einen Platz als Damen-Doppel erobert. Seit gut zwei Jahren kommen die Musikstudentinnen regelmäßig einmal pro Woche, in den Semesterferien öfter. "Hauptsache, unser Ball geht rein. Ab und zu gewinnen wir auch mal", versichert Angreiferin Maria. Aber heute Abend verlieren sie 4:6 gegen ein männliches Duo. Tine, zuständig für Torwart und Verteidigung, flucht. "In das Spiel kann man sich echt reinsteigern", sagt sie. Genau das untersucht Psychologiestudent Johannes. Tischfußball - so weit ist es schon gekommen - ist für ihn Teil einer wissenschaftlichen Feldstudie. Johannes will ermitteln, ob beim Spiel der so genannte Flow-Zustand eintritt, bei dem man alles um sich herum vergisst, und führt während der Partien Strichlisten. Schießt etwa ein Spieler drei Tore in Folge, kann das ein Indiz für diesen "Flow" sein. Maria und Tine haben für ihre Hochschule ein anderes Anliegen: "Dass in die Musikhochschule ein Tischkicker kommt, ist ein Ziel unseres Asta", erzählt Maria. Spielerinnen am Tisch sind zwar im Kommen, aber noch in der Minderzahl. "Es ist schwierig, da als Frau reinzukommen. Am Anfang stellen sich nicht so schnell Erfolge ein, und viele springen wieder ab", sagt Simone Meister aus Oberursel. Als einzige Frau war die Sekretärin beim "Chio Kick 2002" mit "Lucky Punch" Dritte geworden, an der Seite ihres Mannes Georg. Beide hatten sich vor zehn Jahren beim Tischfußball kennen gelernt - als Gegner. Heute haben sie zu Hause selbstverständlich ihren eigenen Tisch. Genauso übrigens wie Robin Hanke, die zweite Hälfte des Turniersiegers "Knall den Ball". Der gelernte Tischler lieferte mit seinem eigenen Tischkicker sein Gesellenstück. Aber nach bis zu acht Stunden Training täglich musste er mehrere Wochen pausieren und sogar in physiotherapeutische Behandlung. Hanke: "Ich konnte mich nicht mehr vorbeugen." So weit ist es bei den Jungs in der "Roten Laterne" noch nicht. Heute Abend verlieren Maria und Tine 4:6 gegen ein männliches Duo. Tine flucht. "In das Spiel kann man sich echt reinsteigern."