. . . als unsichtbaren Freund, der dem überlasteten Menschen von heute wieder zu sich selbst verhilft? DIETER WEDEL kombiniert in seinem neuen Film Komödie, Märchen und Kritik am Profitdenken in Krankenhäusern. Ein Interview.

Das Interview sollte nur eine halbe Stunde dauern, dann wurde eine Stunde daraus. Denn Dieter Wedel hat für seinen neuen Film "Mein alter Freund Fritz" lange recherchiert und vieles gesehen, über das er sich aufregen kann: Es geht um die Auswirkungen von Kosten- und Leistungsdruck in Kliniken. Kein leichter Stoff, den er in einen Spielfilm verpackt hat: Der leitende Arzt Dr. Seidel steht unter wachsendem Kosten- und Zeitdruck, für Menschliches bleibt kaum Zeit, auch privat läuft nicht alles rund. Nach einem Verkehrsunfall taucht plötzlich sein alter, längst gestorbener Freund Fritz auf und wird zum kritischen Begleiter, den nur Seidel sehen kann. Der Arzt fällt seinem Umfeld nun durch vermeintliche "Selbstgespräche" auf - und merkwürdige Entwicklungen nehmen ihren Lauf.

Ein erzählerischer Spagat also zwischen OP-Besteck, Märchen und Fallpauschale - aber die starke Darstellerriege bewältigt ihn glaubwürdig und leichthändig: u. a. Ulrich Tukur (in großer Form!) als Dr. Seidel, Veronica Ferres als seine Ehefrau und Uwe Bohm als Klinik-Verwaltungschef. Das ZDF zeigt "Mein alter Freund Fritz" am 26. Februar um 20.15 Uhr.

JOURNAL: Die Ärzteproteste im vergangenen Jahr waren wie eine Begleitmusik zu Ihren Dreharbeiten. Hat Sie das gefreut?

DIETER WEDEL: Ich hätte es vorgezogen, wenn die Proteste mit der Sendung des Films zusammengefallen wären. Aber die Problematik bleibt ja hochaktuell. Im Drehbuch gab es eine Szene, in der Ärzte auf die Straße gehen. Ich habe mich überreden lassen, sie zu streichen, weil es bis dahin so etwas noch nie gegeben hatte. Ein Jahr später war es soweit: Die Ärzte streikten.

JOURNAL: Was würden Sie gern mal der Gesundheitsministerin Ulla Schmidt sagen?

WEDEL: Dass man den Bürgern mehr Wahrheit zumuten sollte! Dass die Schere zwischen dem medizinisch Machbaren und dem Bezahlbaren immer weiter auseinanderklafft. Dass wir die Zwei-Klassen-Medizin längst haben. Viele Menschen glauben, wenn sie ein Leben lang in die Krankenkasse einbezahlt haben, liegt das Geld für sie bereit, wenn es darauf ankommt. Ist nur leider nicht so. Ich würde Frau Schmidt fragen, warum ein gesetzlich Versicherter keine Rechnung vom Arzt bekommen und sie dann seiner Kasse einreichen kann wie bei den Privatkassen. Warum dieser aufgeblasene Verwaltungsapparat? Ihr muss doch auch längst klar sein, dass Krankenhäuser im Zuge der Privatisierung immer kommerzieller werden. In unserem Film erzählen wir, dass eine Operation durchgeführt wird, die medizinisch nicht zwingend notwendig ist, bloß weil der teure OP ausgelastet werden muss.

Nichts gegen Leistungsdruck. Aber wenn Profitdenken dazu führt, dass immer weniger Menschen immer mehr tun müssen - und das ist inzwischen in sehr vielen Bereichen der Gesellschaft so -, dann läuft das auf eine Minderung der Qualität hinaus. Das ist eine sehr gefährliche Entwicklung. Und es ist die Aufgabe eines kritischen Autors, die zu beschreiben. Ich kann das benennen, was viele Ärzte sich schon nicht mehr offen zu sagen trauen.

JOURNAL: Die Idee, dass ein "Geist" oder ein unsichtbarer Begleiter einen Menschen humaner macht, seine guten Seiten wachruft, ist nicht neu. Da denkt jeder an "Mein Freund Harvey" . . .

WEDEL: Das Stück habe ich mal am Thalia-Theater inszeniert. Im Gegensatz zu "Harvey" ist unser Geist wirklich zu sehen, hat Text und ist dem, dem er begegnet, überhaupt nicht willkommen . . .

JOURNAL: Jetzt taucht in Ihrer Szenerie eines modernen Krankenhauses ein Begleiter aus der Zwischenwelt auf. Manche werden sagen: Ach, jetzt wird der Wedel auch esoterisch.

WEDEL: Wird er nicht. Die Frage, ob es so etwas gibt wie Seele, eine ordnende Kraft über uns, oder ob da nur schwarze Leere ist und Eiseskälte, hat nicht unbedingt etwas mit Esoterik zu tun. Irgendwann fragt sich vermutlich jeder, ob sein Leben einen Sinn hat und wie der lauten könnte. 52 Prozent der Deutschen glauben an die Existenz von Geistern und Engeln. Man kann nicht hochmütig mehr als die Hälfte unserer Bevölkerung einfach als absonderliche Spinner oder Esoteriker abtun.

Was passiert, wenn wir sterben? Werden wir gelöscht wie eine Computerfestplatte? Oder kommt da noch was? Viele Menschen, auch wenn sie nicht religiös sind, stellen sich solche Fragen. Die Religion verliert zunehmend an Bedeutung in unserer Gesellschaft. Eine Zeit lang gab es als Ersatz die Gesellschaftsreligion, den Traum vom Sozialismus. Jetzt kann doch nicht als einziger Wertmaßstab übrig bleiben, wie man möglichst rasch zu möglichst viel Kohle kommt.

JOURNAL: Denken auch Ärzte nur noch an Geld?

WEDEL: Viele werden regelrecht ausgebeutet, weil sie sich auch heute noch ihrem hippokratischen Eid verpflichtet fühlen. Die lassen einen Patienten nicht im Stich, nur weil ihre Arbeitszeit zu Ende ist. Aber sie werden zur Fließbandarbeit gezwungen, fühlen sich mehr als Händler denn als Heiler und müssen mehr als die Hälfte ihrer Zeit mit Verwaltungsarbeiten am Computer verbringen statt am Krankenbett. Viele tüchtige junge Ärzte wollen wegen der schlechten Arbeitsbedingungen Deutschland verlassen. Ein Land, in dem das Wort "Besserverdiener" ja schon irgendwie diskriminierend klingt.

JOURNAL: Weil hinter Besserverdienen ein moralischer Vorwurf steckt?

WEDEL: Dass derjenige, der viel arbeitet und Leistung bringt, besser verdient, finde ich in Ordnung.

JOURNAL: Ein Krankenhaus ist kein guter Ort zum Sterben. Auch Ihr Film-Arzt Dr. Seidel hat damit Probleme. Warum meiden Ärzte Sterbende?

WEDEL: Weil sie häufig den Tod als berufliche Niederlage empfinden. Je effektiver, je erfolgreicher der Krankenhausbetrieb, desto mehr "stören" Sterbende. Die verhageln die Erfolgsstatistik. Bei Schwerkranken wird darauf geachtet, dass sie vom OP-Tisch runter sind, bevor sie das Zeitliche segnen. Natürlich sind Ärzte häufig auch persönlich belastet. Sie müssen sehr viel Leid sehen. Sie versuchen es von sich wegzuschieben. Schließlich müssen auch Ärzte sterben.

JOURNAL: Davon abgesehen: Hat denn jeder Arzt einen Sinn dafür, mit Menschen umzugehen?

WEDEL: Er hat kaum noch Gelegenheit, diesen Sinn zu entwickeln, eine persönliche Beziehung zu dem Patienten aufzubauen. Er wird nur gehetzt. Dass der Patient persönliche Zuwendung braucht, wissen viele Ärzte, aber sie können es sich zeitlich nicht mehr erlauben. Viele leiden unter der Entpersönlichung im Krankenhaus.

Im Film gibt es diese Episode: Der Chefarzt lässt auf der Station Bilder aufhängen, um eine angenehmere, privatere Atmosphäre zu schaffen; die Verwaltung verbietet das, weil das Abstauben der Bilder durch die Putzfrauen zu teuer sei. Das basiert auf einer wahren Begebenheit hier in Hamburg. Der betreffende Verwaltungsdirektor war vorher Controller bei der HVV. Was ihn für die neue Position qualifizierte, wussten meine ärztlichen Informanten auch nicht.

JOURNAL: Haben Sie selbst Angst vor dem Tod?

WEDEL: Natürlich. Allmählich fange ich an, mich an mich zu gewöhnen. Da möchte ich mich nicht schon wieder verlieren. Noch mehr Angst haben wir alle vermutlich vor dem Sterben. Aus dem Koran stammt der Gedanke, dass man ja auch schon tot war, bevor man geboren wurde, ohne dass einem das geschadet hätte. Irgendwie tröstlich, finde ich.

JOURNAL: Haben Sie Angst vor dem Alter?

WEDEL: Gerade habe ich in "Jedermann" von Philipp Roth gelesen, das Alter sei "das größte Massaker des Lebens". So dramatisch empfinde ich es bislang nicht. Aber natürlich entdecke ich auch morgens vor dem Spiegel wieder ein graues Haar und frage mich, warum man mit den Jahren immer mehr Haut hat und immer weniger Haare. Aber solange das die Menschen, die mir wichtig sind und die ich liebe, nicht zu stören scheint, bleibt es erträglich.

JOURNAL: Sie machen Unterhaltungsfilme mit Themen von Rentenbetrug über Bestechung bis Scheidung. Sind Sie vielleicht doch ein Weltverbesserer?

WEDEL: Ich maße mir nicht an, die Welt verbessern zu können, aber im Gegensatz zu anderen frage ich mich nicht: Was will das Publikum sehen?, sondern: Was will ich unbedingt dem Publikum erzählen, weil eine bestimmte Thematik mich ängstigt, ärgert, amüsiert? Manchmal auch alles gleichzeitig.

JOURNAL: Ist das Thema zu ernst für eine Komödie?

WEDEL: Trotz des ernsten Themas ist "Mein alter Freund Fritz" ein sehr heiterer Film. Wie beim "Bellheim" versuche ich wieder den Spagat zwischen Komödie und Drama. Übrigens, als Ulrich Khuon unlängst seinen Weggang vom Thalia-Theater ankündigte, wurde er - auch in Ihrer Zeitung - dafür gelobt, dass er sein Publikum nicht nur unterhalten, sondern auch "erzogen" habe. Warum soll das im Fernsehen nicht auch erlaubt sein? Warum wird dann gleich mit den Zähnen gefletscht? Etwas kann auch ohne zu zerstreuen unterhaltend sein. Hängt uns nicht allen allmählich die dauernde banale Blödelei zum Hals heraus, diese zynische Menschenverachtung im Fernsehen? "Du verhälst dich, als hättest du eine Klobürste im Arsch", und alles brüllt vor Lachen. Wo ist da der Witz?

Natürlich, die Leute sehen gerne "Traumschiff" oder eine verzuckerte Liebesgeschichte. Das ist verständlich. Sie haben Sorgen und Probleme, und da flüchten sie in TV-Traumwelten. Aber früher oder später kommt jeder von uns mal ins Krankenhaus. Was für ein Riesenschock, wenn es dann da völlig anders zugeht als in diesen beschönigenden Krankenhausserien, in denen die Ärzte für ihre Patienten alle Zeit der Welt haben und für alle Probleme eine Patentlösung. Im wirklichen Leben müssen Menschen Krisen bewältigen. Manchmal wachsen sie sogar dabei über sich hinaus. Bloß muss man sie darauf vorbereiten, dass auf jeden von uns so etwas zukommen kann. So ein wichtiges Medium wie das Fernsehen verhielte sich unverantwortlich, wenn es die Menschen nicht auf solche Momente vorbereiten würde, möglichst unterhaltsam, möglichst mit heiterer Leichtigkeit, ohne deutschen Bierernst.