Eigentlich ist Annie Leibovitz kein öffentlicher Mensch. Sicher, sie ist die berühmteste Fotografin der Welt. Und wer von ihr abgelichtet wurde, ist angekommen im Olymp der Eitelkeiten. Doch ihr Privatleben hat die 57-jährige Amerikanerin bisher für sich behalten. Ihre jahrelange Liaison mit der Schriftstellerin Susan Sontag ist zwar bekannt, ebenso kann sie ihre drei Töchter nicht verbergen. Dennoch gibt Workaholic Leibovitz kaum Interviews. Die große, blonde, schwarz gekleidete Fotografin mit dem hageren Gesicht stellt klar, dass sie die Frau hinter, nicht vor der Kamera ist. Privat zieht sie sich zurück in ihr New Yorker Penthouse, meidet Partys und Stars, die sich doch so darum reißen, vor ihre Kamera zu kommen.

Umso erstaunlicher ist es, dass sie nun in ihrer Ausstellung im New Yorker Brooklyn Museum of Art ("Annie Leibovitz: A Photographer's Life 1990-2005") so viele geradezu intime Fotos aus ihrem Privatleben zeigt. "Ich habe keine zwei Leben. Es gibt nur das eine, und die persönlichen Bilder und die Auftragsarbeiten sind alle ein Teil von ihm", hat Leibovitz zur Ausstellungseröffnung am 20. Oktober gesagt. In Deutschland kommt fast zeitgleich ein Bildband unter dem gleichen Titel (Schirmer/Mosel, 472 S.; 78 Euro) heraus.

Zu sehen sind darin Schwarz-weiß-Bilder von ihrer blutverschmierten Tochter Sarah Cameron, die 2001 per Kaiserschnitt zur Welt kam, und Fotos von Leibovitz' totem Vater. Ihrer Freundin Susan Sontag widmet Leibovitz sogar eine kleine Hommage. Sie zeigt sie an der Seine, beim Frühstück in Venedig oder in Sarajevo, wo Leibovitz eine Reportage über den Krieg machte. Doch genauso porträtiert die Star-Fotografin ihre Partnerin als Tote mit Flecken, aufgebahrt im Leichenschauhaus. "Nichts könnte weiter entfernt sein von den Bildern, für die Annie Leibovitz berühmt ist, als diese privaten Aufnahmen, die leise und zart . . . von der Zerbrechlichkeit des Lebens erzählen", schreibt die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung".

Denn sonst überlässt Leibovitz bei ihren Fotos nichts dem Zufall - ihre Bilder der Hollywood-Stars sind sorgsam inszeniert, manchmal mit viel Überredungskunst entstanden. Wer sonst als Leibovitz könnte Whoopie Goldberg in eine Badewanne voller Milch bekommen oder Demi Moore dazu kriegen, sich als nackte Schwangere fotografieren zu lassen? "Der beste Weg, eine schöne Frau zu fotografieren, ist immer, sie nackt zu fotografieren", sagte Annie Leibovitz hinterher. Clint Eastwood ließ sich von ihr fesseln, und Bette Midler wurde in Rosen gebettet. Doch ihr wohl berühmtestes Bild zeigt John Lennon nackt, wie er in unterwürfiger Fötus-Stellung die bekleidete Yoko Ono umarmt - es ist aufgenommen wenige Stunden vor seiner Ermordung in New York.

Bekannt wurde Leibovitz, Tochter eines US-Offiziers und einer Tänzerin, 1975 durch ihre Bildreportage von der Amerika-Tournee der Rolling Stones. So nah wie sie war bisher keiner an die britischen Rockmusiker herangekommen: Leibovitz zeigt sie im Rausch, kotzend, mit Fans, mit Kindern. "Auf ihren Bildern sieht man erstmals die Seele des Rock 'n' Roll", steht in der Zeitschrift "Max". "Fünf Jahre habe ich mich von dieser Zeit erholen müssen", sagte Leibovitz dazu.

1983 wechselte sie zum Hochglanzmagazin "Vanity Fair", übernahm Werbeaufträge und begab sich damit in die Branche, in der Glamour und Schein die größte Rolle spielen. Aus Annie Leibovitz ist die First Lady der Fotografie geworden, die teuerste Fotografin der Welt; für ein Shooting soll sie zwischen 25 000 und 100 000 Dollar verlangen.

Doch dafür bereitet sie sich auch gründlich vor. Für ihr jüngstes Werk, ein Porträt von Tom Cruise und Katie Holmes mit Tochter, lebte Leibovitz zwei Wochen mit der Familie auf deren Anwesen in Colorado. Die Aufnahmen, die "Vanity Fair" derzeit auf seinem Oktobertitel zeigt, sind wie immer sehr gelungen. Doch Leibovitz soll hinterher erzählt haben, dass kaum eine Aufnahme in ihrer gesamten Karriere nerviger gewesen sei.

Kein Wunder, wenn zwei Kontrollfreaks wie Cruise und Leibovitz aufeinandertreffen.