Ein Bollywood-Film braucht nicht nur Herz, Schmerz & Happy End, sondern auch jede Menge Indopop und Tanz. Sieht toll aus, will aber gelernt sein - das stellten Hamburger Fans in einem Bollywood-Tanzkursus fest. Wir waren dabei.

Unsicher schaut Florian (25) auf seine Nachbarinnen. Welche Schritte machen die jetzt, und wie soll man gleichzeitig mit der Hüfte wippen und die Finger zeichenartig verbiegen? Trainingsstunde Bollywood-Tanz. Neun Frauen und der Neuling Florian haben sich in dem geräumigen Tanzstudio an der Feldstraße verteilt, jeder mit viel Platz um sich herum. Ihre Arme schlängeln sie wie Tempeltänzerinnen, öffnen die Hände wie Lotusblumen, stampfen mit nackten Füßen den Takt aufs Parkett. "Step, side, step, side", gibt Tanztrainerin Tatjana Wegner vor und beobachtet ihre Schüler im großen Spiegel.

Während die sich drehen, dröhnen aus der Musikanlage Indopop und Bhangra-Rhythmen (ein Mix aus Hip-Hop und R'n'B und indischen Erntetänzen). Indienflair auch bei Helga, Anja, Daniela, Karin und Mandy. Sie tragen heute ihren Punjabi-Look: weite Hosen und passende Tunika. Die anderen haben sich sari- ähnliche bunte Tücher umgeschlungen. Und bei jedem glitzert ein Punkt zwischen den Augenbrauen: ein Bindi, selbstklebend. Der Stirnpunkt, der traditionell als Segenszeichen oder Statussymbol getragen wird, ist in Indien heute auch Modeaccessoire. "Zum Bollywood-Tanz gehört der einfach dazu", findet Daniela Winge (43).

Man kennt ihn schließlich auch aus den Bollywood-Filmen. Die sind der Grund dafür, dass immer mehr Europäer den Tanz lernen wollen. Produziert werden sie in Bombay (heute Mumbai), dem Hollywood Indiens.

Ein typischer Bollywood-Streifen dauert gut drei Stunden, es geht um Liebe und die Werte der Großfamilie zwischen Tradition und Moderne. Ein gefühlsgeladenes Auf und Ab zwischen Freude, Intrige und Verzweiflung, aber am Ende wird alles gut. An Ausstattung mit bunten Kostümen vor opulenten Kulissen wird nicht gespart. Die Schauspieler müssen nicht nur schön sein, sondern auch gut tanzen können, denn zu Bollywood-Filmen gehören immer Massen-Tanzchoreografien zu Ohrwurm-Musik. Auf dem Subkontinent verzücken die familientauglichen Kassenschlager Millionen Zuschauer. Und auch hierzulande sind sie längst von den Programmkinos ins Fernsehen und in DVD-Regale gewandert und sogar als Bühnenshows im Kommen (siehe Kasten links).

Auch Tatjana Wegners Schüler haben die berauschenden Werke im Kopf. "Kabhi Khushi Kabhie Gham" (In guten wie in schweren Tagen, 2001), "das ist ein Klassiker", sagt Mandy Selimi (28), die als Filialleiterin einer Videothek alle gängigen Titel kennt. Sie weiß auch, bei welchem Streifen man ein größeres Kontingent an Taschentüchern benötigt und kann flüssig die Namen ihrer Lieblingsschauspieler aufsagen. Natürlich gehört dazu Bollywood-Superstar Shah Rukh Khan. Der gibt häufig mit der ebenso umschwärmten Kollegin Kajol das Filmliebespaar, das sich seine Zuneigung weniger mit Worten und schon gar nicht mit Kuss- oder Liebesszenen zeigt, dafür aber mit leidenschaftlicher Mimik und ausdrucksstarkem Tanz.

Von den Filmtänzen war Anja Pflegpeter (28) verzaubert. "So anmutig und sehr fraulich", schwärmt die Bürokauffrau besonders über die weiblichen Parts. Und die Buchhändlerin Karin Söhnholz (38) findet: "Die Musik reißt mit, und es kommt eine Menge Lebensfreude rüber." Das möchte sie nun auch mal ausprobieren. Daniela Winge kam nicht wegen der Filme - "die finde ich zu kitschig" -, sie wollte nach einem Bauchtanzkurs noch etwas anderes ausprobieren. "Der Bollywood-Stil ist viel lebendiger", hat die Mutter von drei Kindern für sich festgestellt.

Eigentlich ist der Tanz ein Mix aus verschiedenen Stilen. Aus dem orientalischen Tanz kommen die kreisenden Hüften. Was ihn "indisch" wirken lässt, sind die zahlreichen Handgesten. "Das sind die Mudras aus dem klassischen indischen Tanz, daher stammen auch die Bewegungen von Augen und Kopf und der Grundschritt", erklärt Tatjana Wegner. Ballett oder Salsa-Elemente und neue Trends wie JazzDance oder Hip-Hop fließen aber auch in die Choreografien ein.

Bei den Klängen, die jetzt im Tanzstudio aus dem Lautsprecher schallen, herrschen flotte Discorhythmen vor: "Maahi ve" (aus dem Film "Kal Ho Naa Ho", "Lebe und denke nicht an morgen", 2003) lädt sofort zum Mitwippen ein. Jeder wirbelt dazu ein buntes Tuch durch die Luft, lässt es um die Schulter kreisen, schwingt es "wie ein Lasso" über den Kopf, schlägt es "wie eine Peitsche" auf den Boden - Tatjana Wegner gibt klare Anweisungen. Die Teilnehmer geben ihr Bestes. Noch nicht bei jedem sieht das Hantieren mit dem Tuch elegant aus, manchmal wirkt es eher wie das Auswringen eines Feudels. Aber Tatjana Wegner ruft: "Los Mädels, das schaffen wir auch" und setzt ein professionelles Lächeln auf.

"Die unterschiedlichen Bewegungen von Händen und Füßen sind erst mal schwierig, aber eine gute Übung fürs Gehirn und die Koordination", sagt sie. Für ihren Kursus BollyDance hat die 34-Jährige die Choreografien selber entwickelt und schützen lassen. Die ausgebildete Ballett- und Profitänzerin ist quasi mit Bollywood-Filmen aufgewachsen. "In meiner Heimat, der Ukraine, habe ich die Filme schon in meiner Jugend gesehen und war fasziniert von der indischen Kultur." Als das ehemalige Ensemble-Mitglied der Staatsoper Kiew für Ballett und Musical-Engagements nach Deutschland kam, bildete sie sich auch im klassischen indischen Tanz weiter. Für Fitnessstudios konzipierte sie ein Workout mit Bollywood-Tanz-Elementen und gründete wegen der großen Nachfrage Anfang des Jahres den BollyDance-Kursus für alle.

Was sie gelernt hat, zeigt die Gruppe jetzt auch schon mal auf Festen oder Bollywood-Partys. "Das macht viel Spaß", findet Hobbytänzerin Anja Pflegpeter. Für sie ist jede Trainingsstunde wie ein Kurzurlaub, "man kommt mal raus aus dem normalen Alltag". Daniela Winge bringt das Training "einfach gute Laune". Und Helga Drews (47) erinnert das Tanzen "an die Leichtigkeit und Fröhlichkeit, die ich bei meinen Reisen nach Indien erlebt habe".

Zum Schluss wird's noch einmal traditionell: Die Gruppe stellt sich im Kreis auf, macht ein paar Handgesten.

"Wir erden uns und verbinden uns mit dem Universum, wir holen uns den Segen Shivas, des Gottes des Tanzes, und bedanken uns", sagt Tatjana Wegner. Schließlich drückt jeder seine Handflächen auf Brusthöhe gegeneinander und spricht den indischen Gruß "Namaste".