ABENDBLATT: Weibliche Fans, die ohrenbetäubend schreien - ein Phänomen seit den Beatles bis heute bei Tokio Hotel. Sie haben Fan-Kultur erforscht. Warum ist das so?

BETTINA FRITZSCHE: Die Mädchen können sich so auf intensive Gefühle einlassen, aber in einem kontrollierbaren Rahmen. Am nächsten Morgen gehen sie wieder ganz normal zur Schule.

ABENDBLATT: Wird die Hysterie aus Sicht der Erwachsenen eher banalisiert oder dramatisiert?

FRITZSCHE: In den Medien gibt es oft Spott über die "kollabierenden Zahnspangenträgerinnen". Sich über Mädchen in diesem Alter lustig zu machen ist zu einfach. Daß alles sinnlos ist, was Fans machen, stimmt nicht.

ABENDBLATT: Wo liegt der Sinn?

FRITZSCHE: Die meisten Fans sind zwischen acht und 15 Jahre alt, im Übergang zwischen Kindheits- und Jugendphase. Insbesondere bei Boygroups spielt die Auseinandersetzung mit der ersten Liebe eine große Rolle. Die Mädchen können das Verliebtsein kennenlernen, ohne sich direkt auf eine Paarbeziehung einlassen zu müssen. Für Fans ist es reizvoll, daß Stars unerreichbar sind. So können ihnen die Objekte der ersten Liebe nicht zu nah auf die Pelle rücken. Wenn mir der Star nicht mehr gefällt, hänge ich die Poster ab, er kann sich nicht darüber beschweren.

ABENDBLATT: Die Mädchen üben also für ihren ersten Freund?

FRITZSCHE: Ja. Es gibt aber auch Mädchen, die schon reale Liebesbeziehungen haben und trotzdem für Boygroups schwärmen.

ABENDBLATT: Gibt es ähnliche Schwärmereien bei Jungs?

FRITZSCHE: Für Jungen ist es relativ heikel, sich als Boygroup-Fan zu bekennen, weil sie dann leicht als schwul gelten. Zudem gibt es seitens der Mädchen eine Abgrenzung. Die wollen das lieber unter sich ausmachen.

ABENDBLATT: Welche Rituale sind prägend fürs Fan-Sein?

FRITZSCHE: Oft ist es verbunden mit kulturellen Praktiken in der Mädchen-Clique. Viele gründen zum Beispiel Tanzgruppen, in denen sie Choreographien der Stars nachmachen. In dem Zusammenhang ist die Präsentation des eigenen Körpers sehr wichtig. Sie erkunden spielerisch ihre Geschlechtsidentität.

ABENDBLATT: Ist es ein Unterschied, ob ein Mädchen Fan der Sugarbabes oder von Tokio Hotel ist, also weibliche oder männliche Idole bevorzugt?

FRITZSCHE: Diese Lebensphase ist ja häufig mit starker Verunsicherung verbunden. Sprich: Alles ist peinlich. Gruppen wie die Spice Girls wurden da oft als starke Vorbilder genannt.

ABENDBLATT: Der Sänger von Tokio Hotel hat stark androgyne Züge, auch früher haben Stars wie David Bowie und Mick Jagger ihre feminine Seite betont. Wie wichtig ist dieser Faktor?

FRITZSCHE: Ich glaube, es gibt drei Gründe dafür, daß sich Mädchen seit Generationen für androgyne Männer begeistern. Erstens wirken die Typen weicher, weniger einschüchternd als ein Macho. Zweitens fällt die Identifikation leichter, wenn ein Star feminin aussieht. Drittens eröffnet Androgynität die Möglichkeit, homoerotische Gefühle auszuleben, was sich aber wegen der sozialen Tabuisierung sonst schwer artikulieren läßt.

ABENDBLATT: Ein Generalvorwurf ist, daß Teenies durch die Kommerzialisierung der Popmusik fremdgesteuert agieren.

FRITZSCHE: Das ist ein Element, das Tokio Hotel von den Beatles unterscheidet. Bands werden mittlerweile viel ausgefeilter vermarktet. Die Mädchen handeln dennoch nicht fremdgesteuert. Viele Fans, mit denen ich gesprochen habe, betonten, daß sie nicht einfach nur die Mode der Stars kopieren, sondern ihren eigenen Stil finden wollen. Individualität ist eine Erwartung, die heute verstärkt an Jugendliche gestellt wird.

ABENDBLATT: Wie wichtig ist die "Bravo"-Berichterstattung?

FRITZSCHE: Da Mädchen die Stars oft als eine Art Beziehungspartner sehen, ist es wichtig, persönliche Informationen über sie zu erhalten. Insofern spielen Zeitschriften wie "Bravo" eine zentrale Rolle. Mit zunehmendem Alter wird das Verhältnis gegenüber Medien aber kritischer, dafür steigt das Interesse an Liedtexten.

ABENDBLATT: Beeinflußt die Liebe zu einer Boy- oder Girl-Band das Verhältnis zu den Eltern?

FRITZSCHE: Fan einer Teenie-Band zu sein ist keine Jugendkultur, die mit starker Abgrenzung gegenüber den Eltern verbunden ist. Heute machen Rentner Sachen, die als jugendkulturell gelten. Dadurch ist es für Jugendliche ohnehin nicht einfach, was Eigenes zu finden.

ABENDBLATT: Was würden Sie Eltern raten, deren Tochter vom Fan-Virus infiziert ist?

FRITZSCHE: Sich raushalten! Wenn Eltern meinen, die Tochter lebt nur noch in der Phantasie, ist es sinnvoll, das anzusprechen und alternative Angebote zu machen. Aber solange das nicht der Fall ist, ist es für Eltern hauptsächlich ein finanzieller Konflikt. Das Fan-Sein ist eine Phase, die ein paar Monate dauert, vielleicht ein Jahr, anderthalb. Danach ist wieder was anderes dran. Viele wissen ja schon, daß sie im nächsten Jahr kein Fan mehr sein werden.

Bettina Fritzsche: Pop-Fans. Studie einer Mädchenkultur . Erschienen bei: Leske+Budrich.