Interview mit Susanne Rinecker von der Interessenvertretung “Fairwork e.V.“

Viele Absolventen machen ein Praktikum nach dem anderen, oft zum Nulltarif. Doch die "Generation Praktikum" bereitet sich auf den Rückschlag vor: Der Berliner Verein Fairwork ist die deutschlandweit erste Interessenvertretung für Hochschulabsolventen und klärt Praktikanten über ihre Rechte auf. Die Vorstandsvorsitzende von Fairwork e.V., Susanne Rinecker (28), erzählt im Interview vom schwierigen Einstieg in den Job, erklärt die Ziele von Fairwork und Auswege aus der Praktikumsmühle.

JOURNAL: Oft haben Praktikanten den Eindruck, daß sie billiger Ersatz auf Vollzeitstellen sind, oft ohne Bezahlung. Wo liegt das Problem, kennen sie ihre ihre Rechte zuwenig?

SUSANNE RINECKER: Viele haben leider keine andere Wahl. Es hat sich in den letzten Jahren so entwickelt, daß viele Unternehmen Vollzeitstellen als Praktika ausschreiben und so die wirtschaftliche Notlage von Absolventen ausnutzen. Die wiederum hoffen, durch das Praktikum doch noch einen Job zu finden. Oft wird die Übernahme am Ende des Praktikums versprochen. Diese Erfahrung habe ich selbst schon gemacht. Am Ende hat es aber doch nicht geklappt.

JOURNAL: Wie viele Praktika haben Sie denn schon gemacht?

RINECKER: Ich habe vier Praktika während des Studiums gemacht und zwei danach, man sollte ja eigentlich meinen, daß das ausreicht.

JOURNAL: Haben Sie mittlerweile eine feste Stelle gefunden?

RINECKER: Ja, jetzt arbeite ich in einer Online-Redaktion. Den Job habe ich über eine Zeitarbeitsfirma gefunden. Es ist allerdings nicht die Stelle, die ich ursprünglich angestrebt hatte, eigentlich bin ich Theaterwissenschaftlerin.

JOURNAL: Wann kam für Sie der Punkt, an dem Sie sich gesagt haben, daß es so nicht mehr weitergehen kann?

RINECKER: Ich war unzufrieden mit der ganzen Situation und habe dann zufällig ein Interview mit Bettina Richter (Mitbegründerin von Fairwork, d. Red.) gelesen, die in der gleichen Situation war und meinte, man müßte endlich etwas gegen diese Ausbeutung unternehmen. Ich habe Kontakt zu ihr aufgenommen, und schließlich haben wir Fairwork e.V. als erste Interessenvertretung für Hochschulabsolventen gegründet. Unser wichtigstes Ziel war, das Thema in die Medien zu bringen und eine breite Diskussion auszulösen. Das haben wir mittlerweile auch geschafft. Ich hatte oft das Gefühl, daß viele gar nicht wissen, wie es um Hochschulabsolventen in Deutschland bestellt ist und daß viele ein Praktikum nach dem anderen machen. Mittlerweile berichten alle großen Zeitungen und Fernsehanstalten über das Thema.

JOURNAL: Gibt es ein besonders schlimmes Beispiel?

RINECKER: Es gab viele. Mir fällt zum Beispiel eine Soziologin ein, sie wollte nach ihrem Abschluß auf Mallorca ein Praktikum in einem Heim machen. Sie sollte Flug und Unterkunft selbst zahlen und erhielt gerade mal 100 Euro im Monat. Nach ihrer Ankunft ließ sich die Chefin nicht mehr blicken, sie sollte das Heim praktisch alleine leiten und war völlig überfordert. Mit einem Praktikum hat das nichts zu tun.

JOURNAL: Sind die Firmen schuld, oder können zu viele Praktikanten einfach nicht nein sagen?

RINECKER: In gewisser Weise sind die Praktikanten Opfer und Täter zugleich. Sie werden von den Unternehmen ausgenutzt, treiben aber gleichzeitig die Praktikumsmühle weiter an, indem sie sich auf solche Praktika einlassen. Eigentlich müßte man sie dazu bewegen, solche Stellen gar nicht anzunehmen.

JOURNAL: Fairwork fordert ein Praktikantengehalt in Höhe des Arbeitlosengeldes II und eine Praktikumsdauer von höchstens vier Monaten. Sind diese Ziele realistisch?

JOURNAL: Wir gehen davon aus, daß man ca. 700 bis 800 Euro zum Leben braucht, für Essen, Miete u.s.w., das sollten die Unternehmen auch zahlen. Die Umsetzung dieser Ziele kann Fairwork aber nicht allein bewerkstelligen, das ist auch Aufgabe der Politiker, die wir schon auf das Problem aufmerksam gemacht haben.

JOURNAL: Die Zeitschrift "Karriere" vergibt das "Fair Company"-Gütesiegel an Unternehmen, die Praktikanten zu fairen Konditionen einstellen. Ist diese Selbstverpflichtung von Unternehmen wirkungsvoll?

RINECKER: Nur, wenn man auch überprüft, ob die Firmen sich wirklich an diese Konditionen halten. Ohne Kontrolle macht das System keinen Sinn.

JOURNAL: Warum wird in den Gewerkschaften bisher nicht erkennbar über einen Mindestlohn für Praktikanten verhandelt?

RINECKER: Hochschulabsolventen waren bisher einfach nicht die Hauptzielgruppe der Gewerkschaften. Mittlerweile hat sich aber auch hier etwas getan, wir arbeiten z. B. viel mit der DGB-Jugend zusammen und machen gemeinsame Projekte.

JOURNAL: Wäre denn ein Praktikumsboykott überhaupt durchsetzbar?

RINECKER: Das Problem ist, daß die Praktikanten noch nicht gut organisiert sind. Unter solchen Voraussetzungen bringt ein Streik nicht viel. Wir veranstalten statt dessen Demonstrationen und arbeiten auch mit vielen anderen Organisationen zusammen, z. B. mit der französischen "Generation Precaire".

JOURNAL: Wozu rät Fairwork den Praktikanten?

RINECKER: Jeder sollte sich genau über seine Rechte informieren, denn viele wissen gar nicht, daß sie auch Rechte wie jeder Arbeitnehmer haben. Wenn man wirklich das Gefühl hat, ausgebeutet zu werden, sollte man das Praktikum abbrechen. Wir versuchen den Praktikanten mitzuteilen, daß sie etwas können, etwas wert sind und sich nicht alles gefallen lassen sollten. Absolventen raten wir, sich lieber auf feste Stellen zu bewerben.

JOURNAL: Bekommen Sie viel Resonanz?

RINECKER: Jede Woche erreichen uns 30 Zuschriften von Praktikanten, wir haben mittlerweile 200 feste Mitglieder. Es gibt so viel zu tun, daß wir eigentlich jemanden einstellen müßten. Aber keinen Praktikanten!