Ein Mann steht unter Strom. Das drittälteste Mitglied der Kelly Family hat schon mit 33 Jahren fast alles erreicht, was es im Extremsport zu bewältigen gibt - je härter, desto besser.

Diedeldi Diedeldum, Diedeldi Diedeldum": Wir traben gerade mal eine halbe Stunde durch Leipzig, aber schon zum sechsten Mal klingelt das Handy von Joey Kelly. Kein Grund für den 33jährigen, eine Pause einzulegen. Ob es um die abendliche Show der Kelly Family im Roncalli-Zirkuszelt auf der Festwiese geht, um eine Auspuffreparatur oder um komplizierte Reisebuchungen, alles wird im Laufschritt erledigt. Von Stress keine Spur.

"Auf Tour kann ich gut trainieren", sagt Joey und lächelt zufrieden. "Ich muß ja erst gegen 17 Uhr zur Probe." Davor liegen Drei-Stunden-Läufe oder längere Ausfahrten mit dem Mountainbike. Zuhause, bei Frau Tanja und den beiden Söhnen Luc (5) und Leon (2), ist schon etwas mehr Organisationstalent gefordert, um ein Programm zu absolvieren, das zwei Trainingseinheiten pro Tag vorsieht.

Besonders, weil Joey Kelly auch beruflich unter Strom steht. Seit elf Jahren organisiert er die Auftritte der Geschwisterband, seit sechs Jahren ist er Geschäftsführer der Firma Kel-Life, die er von seinem Vater Dan übernommen hat. Hinzu kommen etwa 100 Konzerte im Jahr, ein "Nebenjob" als Immobilienhändler und Vorträge für Manager, denen er vermitteln will, daß große Ziele nur mit langem Atem zu erreichen sind. Andere würden vielleicht einen Gang zurückschalten, für Joey Kelly kommt das nicht an Frage. "No Limits" heißen ein Bildband und eine DVD, die den sportlichen Werdegang des Ausdauer-Extremisten dokumentieren. Treffend, denn für Joey Kelly scheint es keine Grenzen zu geben.

1997 hatte das begonnen, was Außenstehenden als Irrsinn erscheinen mag: Joey war längst mit der Kelly Family zum Star geworden, verkaufte Millionen Platten und spielte Tag für Tag vor tausenden Fans in den großen deutschen Konzerthallen - da infiziert ihn der Triathlon-Virus. Mit seiner Schwester Patricia wettet er, einen Kurzdistanz-Wettkampf (1,5 Kilometer Schwimmen, 40 Kilometer Radfahren, 10 Kilometer Laufen) durchzuhalten - und kommt tatsächlich ins Ziel.

Eine Wendemarke in seinem Leben, denn dieses Glücksgefühl will er wieder erleben. Bei immer härteren Wettkämpfen, die ihn in immer neue Grenzbereiche führen. Nach wenigen Monaten tritt er erstmals zum Ironman im fränkischen Roth an. 3,8 Kilometer Schwimmen, 180 Kilometer Radfahren und anschließend 42,195 Kilometer Laufen. Eine Wahnsinnsdistanz, die er in 13 Stunden und 36 Minuten absolviert - obwohl er bei Kilometer 120 mit dem Fahrrad stürzt, sich ein Schlüsselbein bricht und die letzten Stunden den linken Arm in einer Schlinge trägt. Was folgt, hat vor ihm noch keiner geschafft: Innerhalb eines Jahres beendet er alle acht weltweit ausgetragenen Ironman-Rennen.

Seitdem geht es Schlag auf Schlag. Kelly läuft den Marathon des Sables (240 Kilometer in der Sahara), den Mount Everest Ultramarathon (160 Kilometer auf bis zu 5000 Meter Höhe), das Iditasport Race in Alaska (160 Kilometer bei bis zu minus 20 Grad) und den legendären Badwater-Ultra (210 Kilometer im Tal des Todes). Er durchquert beim Race Across America im Zweierteam per Rennrad die USA (4800 Kilometer), fährt von Perth nach Sydney (4600 Kilometer) oder von Berlin nach Bagdad (5300 Kilometer). Und zwischendurch bleibt immer noch Zeit für einen RTL-Spendenlauf von Berlin nach Köln oder wie vergangene Woche die erfolgreiche Teilnahme an Stefan Raabs Wok-Weltmeisterschaft.

Das Pensum könnte vermuten lassen, Joey Kelly sei eine Art sportlicher Übermensch oder doch mindestens ein Verrückter. Aber wie wir so durch Leipzig traben, wirkt nichts an ihm bizarr und außergewöhnlich. Im Gegenteil: Auch beim siebten Handy-Klingeln bleibt er die Ruhe selbst und erzählt nebenbei eher bescheiden von seinen spektakulären Wettkämpfen. "Mir fehlt jedes Talent. Andere trainieren nur die Hälfte und sind trotzdem schneller", habe er einst seinem Trainer Hubert Schwarz geklagt. Der deutsche Triathlon-Pionier anwortete: "Dein Talent ist, daß du dich quälen kannst."

Hier liegt Joey Kellys Erfolgsgeheimnis. Er ist jemand, der nie aufgibt, der Schmerzen ebenso überwindet wie Langeweile angesichts endloser Stunden auf tristen Landstraßen. Der ein "Es geht nicht mehr" nicht akzeptiert, sondern weitermacht. Der voller Ehrgeiz an den Start geht und selbst in schwierigsten Situationen geradezu stoisch einen Fuß vor den anderen setzt.

Manchmal auch gegen den gesunden Menschenverstand, wie beim Marathon des Sables, als er sich trotz 38 Grad Fieber und starker Bauchschmerzen weiterschleppte - und tatsächlich das Ziel erreichte. Oder wie beim Jungle Marathon im brasilianischen Regenwald. Nachts verfolgt von Leoparden, immer der Gefahr eines tödlichen Schlangen- oder Spinnenbisses fernab der Zivilisation ausgesetzt. "Ich hatte Glück, daß nichts passiert ist", sagt er jetzt. "Da würde ich nicht wieder mitmachen."

Bis heute hat er noch nie einen Wettkampf abgebrochen. Eine Sache der Einstellung nach dem Motto "Wer will, der kann". "Jedes Rennen ist für mich ein Kampf", sagt er. "Es geht immer um Zeiten und Plazierungen." Der olympische Leitspruch "Dabeisein ist alles" gilt ihm nichts. Nur die Qual, das Vortasten an körperliche und mentale Grenzen, verschafft ihm das ganz große Glücksgefühl. Hinterher, versteht sich.

So jemand braucht ständig neue und härtere Herausforderungen, um den Adrenalinspiegel hochzuhalten. Nach mehr als 30 Marathonläufen (Bestzeit: 3 Stunden, 2 Minuten) 13 Ironman-Triathlons und zahlreichen Ultra-Rennen ist ein simpler 100-Kilometer-Lauf für Joey Kelly kein besonderes Abenteuer mehr. So träumt er von anderen Extremen. Etwa davon, das Race Across America als Solofahrt durchzustehen, in zwölf Tagen knapp 5000 Kilometer im Fahrradsattel zu sitzen und dabei rund 35 000 Höhenmeter zu überwinden. "Es ist das brutalste Rennen überhaupt", weiß er und will doch unbedingt starten, denn: "Vielleicht liegt da mein Limit."

Vorher aber zieht es ihn in die Berge. Nach kurzen Klettertouren - teilweise mit seiner Frau Tanja - soll es nun richtig zur Sache gehen. Zum Beispiel am argentinischen Aconcagua, der mit 6962 Metern schon eine mächtige Herausforderung ist. Wenn es gut läuft, könnte im Spätsommer der Mount McKinley in Alaska folgen, der wegen der enormen Kälte als einer der am schwersten zu besteigenden Berge gilt. Auch das wird nicht der Schlußpunkt sein. Zwar mag Kelly an ein Mount-Everest-Abenteuer noch nicht denken, aber das ist wohl seine Strategie: konsequent stets nur einen Schritt nach dem anderen zu machen.

Die ganz große Zeit der Kelly Family ist vorbei, das weiß Joey. Aber selbst wenn es einmal gar nicht mehr laufen sollte, wird ihm gewiß nicht langweilig. Irgendein Land, das noch nicht zu Fuß durchquert wurde, dürfte sich immer noch finden lassen.

Joey Kelly: No Limits Sportverlag Berlin, 136 Seiten, 25 Euro.

Joey Kelly: The Ironman und Joey Kelly: No Limits DVD, je ca. 18 Euro.

Internet: www.joeykelly.de